Von Maria Müller
Die Menschen in Peru geben nicht auf. Seit dem inszenierten Staatsstreich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Pedro Castillo nehmen die Widerstandsaktionen kein Ende. Inzwischen gibt es wöchentliche, manchmal tägliche Demonstrationen – in der Hauptstadt Lima und in allen Provinzen. Besonders zu den Feierlichkeiten am 28. Juli, dem Unabhängigkeitstag des Landes, kam es zum "dritten Marsch auf Lima", an dem wieder Zehntausende teilnahmen. Die bisherige Bilanz der schweren Polizei- und Militärgewalt, die die "Interims"-Präsidentin Dina Boluarte gegen die Unruhen einsetzt, zählt 68 Tote und Hunderte von Verletzten, dazu viele Verhaftungen.
Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, forderte die peruanische De-facto-Regierung auf, die Menschenrechte zu achten und soziale Konflikte bereits im Vorfeld zu lösen. Außerdem müsse die Regierung besser mit der Justiz umgehen.
Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission verlangte von den peruanischen Institutionen, die Grundelemente demokratischer Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und die Todesfälle von auf Menschenrechte spezialisierten Justizbeamten untersuchen zu lassen. Der Bericht spricht von "außerjustiziellen Hinrichtungen", von "Schusswaffengebrauch der Ordnungskräfte gegen Unbewaffnete", von "Massakern" und einer Repression mit "ethnisch-rassistischem Hintergrund".
Auch andere Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilen die brutale Repression der neuen "eisernen Lady" Südamerikas.
Joe Biden beglückwünscht Dina Boluarte für den "demokratischen" Machttransfer
Als ob das alles nicht existieren würde, beglückwünschte der US-Präsident Joe Biden Anfang Juni in höchsten Tönen die neue Exekutive in Lima. Beim Empfang des neuen peruanischen Botschafters äußerte Biden,
Peru habe "die Garantie einer demokratischen Machtübertragung an die Regierung von [Dina] Boluarte"ermöglicht.
Auch zum Jahrestag der peruanischen Unabhängigkeit am 28. Juli gab es warme Worte von Biden aus Washington, D.C. warme Wort in einem Schreiben an Dina Boluarte:
"Gemeinsam fördern wir demokratische Werte, einschließlich der Menschenrechte. Wir bauen integratives Wirtschaftswachstum auf, um die Zukunft mit großen Chancen und Gleichberechtigung für unsere Völker zu stärken. Wir arbeiten im Gleichschritt für globale Aufgaben wie die irreguläre Migration, die Korruption und den Klimawandel."
Er setzte noch eines nach:
"Die langjährige Partnerschaft zwischen den beiden Nationen hat die Sicherheit und den Wohlstand in den Anden und auf der ganzen Welt gestärkt."
Mit einer solch eindeutigen Rückenstärkung zieht Dina Boluarte gerne ihr Putschprogramm in die Länge – etappenweise, in kleinen Schritten, um die Menschen daran zu gewöhnen, dass hier ein Verfassungsbruch ersten Ranges vor sich geht. Denn eine der Grundregeln heißt: Wenn der Präsident das Regierungsamt definitiv nicht ausüben kann, übernimmt seine Vertretung dessen Funktionen bis zu den Neuwahlen, die unmittelbar auszurufen sind.
Dina Boluarte erklärte zwar kurz nach ihrer Machtübernahme, dass es im Jahr 2023 Neuwahlen geben werde, doch bald darauf verschob sie den Termin auf 2024, und heute will sie das Zepter bis zum regulären Ablauf einer regulären Regierungsperiode im Jahr 2026 in der Hand behalten.
Verglichen mit den Realitäten im Andenstaat Peru sind Bidens Worte aus dem Repertoire des Wertewestens leider nur leere Floskeln. Selbst der frühere Präsident Perus, Martín Vizcarra, bezeichnete den gegenwärtigen Zustand seines Landes als eine "parlamentarische Diktatur".
Wut und Ablehnung in der großen Mehrheit der Bevölkerung
Verschiedene Umfrageinstitute führten in den vergangenen Monaten Befragungen über die Zustimmungs- oder Ablehnungsraten hinsichtlich des Boluarte-Regimes durch. Die Resultate sind ähnlich, und die Prozentzahlen steigen:
Die Regierungsführung der peruanischen Präsidentin Dina Boluarte wird laut einer Umfrage des Instituts für peruanische Studien (IEP) vom 23. Juli nur von 10,9 Prozent der Bevölkerung befürwortet, während 81,6 Prozent sie negativ bewerten und ihren sofortigen Rücktritt wollen.
Zwischen Februar und Juli beispielsweise sank der Anteil der Bevölkerung, der Peru für eine Demokratie hält, von 57 Prozent auf 51 Prozent.
Die Legislative hat noch schlechtere Bewertungen als Boluarte, da 90,4 Prozent die Leistung der Kongressabgeordneten ablehnen, 78 Prozent der Meinung sind, dass diese ihre Macht missbrauchen, und 77 Prozent den Vorschlag unterstützen, sie zu entlassen. Die Schließung des Kongresses und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung sind zwei der Hauptforderungen der Protestbewegung.
Der inhaftierte, gewählte Präsident Perus beantragte Haftbefreiung
Im Rahmen des Antrags von Pedro Castillo auf Befreiung aus der Untersuchungshaft ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Expräsidenten wegen angeblicher Verbrechen der "Rebellion und Verschwörung gegen den Staat". Doch die materiellen Beweismittel sind knapp und widersprechen den anfänglichen, von den Medien kolportierten Behauptungen des angeblichen "Tathergangs". Demnach habe Castillo am 7. Dezember 2022 eine Rede vor dem Kongress gehalten, deren Motiv die Auflösung des Parlaments gewesen sei.
Heute präsentiert die Gruppe der Verteidiger des ehemaligen peruanischen Präsidenten eine neue Version. Er habe diesen Schritt nicht aus eigenem Willen getan.
Am 12. Juni erklärte sein Anwalt Eduardo Pachas auf einer Pressekonferenz, dass Castillo "gezwungen wurde, die Rede zu lesen." Und weiter: "Man hat ihn in die Enge getrieben, ihm eine Falle gestellt, er hat Morddrohungen erhalten."
Pachas sagte, dass Castillo bereits am frühen Morgen des siebten Dezembers Drohungen erhalten habe. "Falls es nicht zu seiner Abwahl oder Entlassung käme, würde er getötet und seine Familie anschließend festgenommen", erklärte der Anwalt.
"Präsident Castillo traf diese Entscheidung unter Druck. Er bemerkte, dass bereits seit 6:00 Uhr früh ein Plan ablief, um die Regierung endgültig zu beseitigen", erklärte Pachas. Nach Abschätzung der Konsequenzen habe sich Castillo entschieden, eine (ihm vorgegebene) Rede zu verlesen. Der General (Jorge) Chávez Cresta, heute Verteidigungsminister, habe die gesamte Aktion geleitet.
Die Konstruktion von gefälschten Beweisen ist ein Verbrechen
Diese Version erhält Bekräftigung durch ein gewisses Indiz. Am 17. Juni veröffentlicht die argentinische Zeitung Página/12 einen Brief des Anwalts von Castillo. Darin schreibt er:
"Die Beweise wurden angeblich in der Nacht von Castillos gescheitertem Putschversuch gegen sich selbst von den Staatsanwälten Jesús Camacho Laura und Marco Carvajal Valencia bei den Durchsuchungen im Regierungspalast und in der Präsidentenresidenz sichergestellt. Es soll sich um den Text des von Castillo unterzeichneten Regierungsdekrets für die Auflösung gehandelt haben."
Die Meldung wurde damals von dem rechtsextremen, regionalen Medium Willax verbreitet, war jedoch eine Falschmeldung. "Das Regierungsdekret war nicht nur nicht unterzeichnet, was zunächst bekannt gemacht wurde, sondern es existierte gar nicht, was die Staatsanwaltschaft einige Zeit später selbst einräumte: Alles war falsch".
"Die stellvertretende Staatsanwältin selbst dementierte die Informationen: Sie hat bei der Druckerei, die für das Präsidialamt arbeitet, interveniert und nichts gefunden. Das heißt, es gibt keinen Beweis für diesen höchsten Beschluss. Doch niemand meldete das negative Ergebnis des Gutachtens. Es handelte sich insofern um eine Fehlinformation, die später gegenüber der Öffentlichkeit nicht korrigiert wurde."
Laut der Verteidigung gebe es keine Beweisgrundlagen dafür, dass Castillo über ein halbes Jahr lang "präventiv" inhaftiert bleiben müsse. Er werde wegen zweier Verbrechen angeklagt, die er unmöglich begehen konnte (Rebellion und Verschwörung, ohne Waffen und ohne weitere Personen, die daran teilgenommen hätten).
Auch Pedro Castillo ist ein Opfer der Verfolgung durch Justiz und Medien
Der Anwalt beendet seine Erklärung mit folgendem Hinweis:
"Die systematische mediale Desinformation ist Teil einer Verfolgungskampagne gegen zahlreiche linke Präsidenten wie Lugo (Paraguay), Lula (Brasilien), Evo (Bolivien), Cristina (Argentinien), Correa (Ecuador) und nun Castillo (Peru)."
Die Regierung Castillos hat dem Kongress mehr als 70 Gesetzesentwürfe von nationalem Interesse vorgelegt, die den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen zugutekommen sollen, unter anderem:
- Infrastruktur zur Nutzung des Gasvorkommens für die indigene Bevölkerung,
- Schaffung des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie,
- Freier Zugang zu den Universitäten,
- Die zweite Agrarreform,
- Die Steuerreform,
- Die Reform des Justizsystems,
- Die Abschaffung der subsidiären Wirtschaftstätigkeit des Staates,
- Das Verbot von Monopolen.
Sie alle wurden vom Kongress nicht bearbeitet.
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