Von Wladislaw Sankin
Die AfD bekommt auf kommunaler Ebene immer mehr Anerkennung der Bürger, und für die restlichen Parteien wird es immer schwieriger, das Verbot zur Zusammenarbeit mit der AfD durchzusetzen. Kommunal geht es in erster Linie um Bedarf und Nöte der Menschen, nicht um Ideologie. So fiel es sogar den Grünen schwer, sich einem Antrag der AfD auf Erhöhung der Theatersubventionen im schwäbischen Backnang querzustellen – und schwups haben wir einen bundesweiten Skandal.
Ja, es ist in einem Ort, in dem jeder jeden kennt, schon schwer genug, als Feind der Kunst dazustehen. Aber was, wenn ein Städtchen im ohnehin AfD-lastigen Sachsen-Anhalt plötzlich mit Ausländern "überflutet" wird? Oder was heißt überflutet – seit sechs Jahren ist der Ausländeranteil in Burg um vier auf insgesamt knapp zehn Prozent gestiegen. Auch für einen SPD-Kommunalpolitiker ist das ein "ordentlicher Anstieg".
Das ist jedenfalls um vier Prozent mehr als im ostdeutschen Durchschnitt. "Im Rahmen der Zuständigkeit der Stadt hat sich das vor allem auf die Betreuung von Kindern in den Kitas sowie Schulen ausgewirkt", schildert SPD-Stadtrat Heiko Jerkowski die Situation dem Tagesspiegel. Der Grund für das Gespräch ist der Brandbrief, den der Bürgermeister von Burg Philipp Stark (SPD) und der Vorsitzende des Stadtrates Markus Kurze (CDU) an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt haben.
Laut dem Schreiben fehlt es an Geld und genügend Lehr- sowie Betreuungspersonal. Es werde davor gewarnt, dass die von der Bundesregierung vertretene Asylpolitik bei den Einwohnern in Burg auf immer weniger Akzeptanz stößt. Den Menschen erschließe sich zum Beispiel nicht, zitiert die dpa aus dem Brief, wieso die Leistungen für Geflüchtete nicht in Sachleistungen erbracht werden. Außerdem steige das Haushaltsdefizit, und die Stadt könne keine weiteren Gebäude für die Unterbringung von Asylbewerbern und weiteren Flüchtlingen anmieten.
Nun erklärt sich der Vorsitzende der gemeinsamen Fraktion von SPD, Linken, Freien Wählern und Grünen Jerkowski den Medien, was es mit dem faktisch offenen Brief an den Kanzler auf sich hat. Der Grund liegt für ihn klar in der Konkurrenz zur AfD. "Die AfD-Fraktion im Stadtrat stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen, während wir mit der CDU-Fraktion gut zusammenarbeiten", sagt der SPD-Mann. Dann wird er etwas genauer.
"Die AfD stellte vor Kurzem einen Antrag, der auf die Probleme mit Migranten hinwies, aber im Ton viel zu scharf formuliert war und Falschaussagen enthielt. Daraufhin haben wir uns mit der CDU verständigt, womit der Antrag der AfD vom Tisch war." Verständigt auf den Brief an den Kanzler, wobei er aus der Feder der CDU-Fraktion stammt.
Der Brandbrief ist also eindeutig ein Versuch, angesichts der stark gestiegenen Umfragewerte der AfD dieser ihr Spezialthema und Alleinstellungsmerkmal aus der Hand zu schlagen. Mit sanfteren, politisch korrekteren Tönen, versteht sich. So beklagt z. B. Stadtrat Jerkowski die Änderungen in der Inhaberstruktur der Geschäfte in der Innenstadt, "die oft auf Unverständnis stoßen". Im Laufe des Gesprächs kommt er darauf zurück, wird etwas präziser: "Ein Barbershop nach dem anderen zieht dort ein."
Warum Barbershops nun ein Problem sein sollen, erklärt der Kommunalpolitiker nicht. Tragen die alteingesessene Bürger keine Bärte? Offenbar nicht so zahlreich. Wem und von wem die Bärte getrimmt werden, verrät er nicht. Auch legt er sich bei einem anderen Problem nicht so genau fest. Er betont:
"In der Wahrnehmung vieler Bürger wird es immer komplizierter, eine akzeptable Wohnung zu finden."
Also könnte es problematisch sein, eine Wohnung zu finden, aber es kann durchaus sein, und darauf spielt der Politiker an, dass die Bürger sich das Problem nur einbilden.
Insgesamt wird es immer schwieriger, den Menschen bestimmte Themen oder Entscheidungen zu vermitteln, "die oft auf ganz anderer Ebene getroffen werden, die hier vor Ort aber umgesetzt werden müssen", beklagt der Politiker. Das Problem sieht er nicht nur in der Komplexität der Fragen, sondern bei Menschen, die "die Politik nicht mehr verstehen".
"Man merkt, wie aggressiv Teile der Bevölkerung geworden sind. Es werden oft einfache Antworten auf schwierige Fragestellungen erwartet."
Er nennt ein Beispiel, woher die "Aggressivität" teilweise kommt, und das ist keineswegs die Asylpolitik. So wird ein neues Feuerwehrgerätehaus dringend benötigt, da das alte fast 100 Jahre alt und einsturzgefährdet ist. Und das würde etwa zehn Millionen Euro kosten. Aber:
"Dieses Geld hat unser Haushalt nicht, von Land und Bund kommt nichts. Unsere Bürger sagen: Dafür ist kein Geld da, während genug Geld für andere Themen zur Verfügung steht."
Wenn selbst für die engagierten Feuerwehrleute, die oft zu Einsätzen auf Bundesbaustellen eilten, nichts passiere, "haben wir ein Problem". Jerkowski betont, dass die Stadt sehr viel Arbeit für die Bund leistet – an der A3, am Mittellandkanal, an der Bahnstrecke, am größten Bundeswehrstandort in Sachsen-Anhalt.
"Die Menschen spüren dabei, dass der Bund nichts für uns tut!"
Interessant wird es auch, wenn der Fragensteller auf die Reaktion der großen Politik auf die Nöte der Burger zu sprechen kommt. Es heißt nur: "Unser Bürgermeister Philipp Stark hat mit der für Migration zuständigen Staatssekretärin im Sozialministerium, Frau Möbbeck, Kontakt aufgenommen und sie dringlich auf unseren Bedarf bei der Betreuungssituation in den Kitas und Schulen aufmerksam gemacht." Also im Klartext: Es gibt keine Reaktion.
Meine journalistische Pflicht wäre aber nicht vollständig erfüllt, wenn ich das Engagement vor Ort und Bürgerkommunikation in Burg zwischen den rivalisierenden Kräften, der AfD und "dem Rest", nicht verglichen hätte. Und was sehen wir da?
Auf der Webseite der SPD-Fraktion in Burg ist der letzte Eintrag unter dem Titel "Mit Stadträten direkt ins Gespräch kommen" mit dem 22. Dezember 2022 datiert. Die Rubrik heißt "Neuigkeiten/Fraktion vor Ort". Aktuelle Termine: Keine. Die CDU in Burg hat auch ihre "Neuigkeiten": eine Mitgliedervollversammlung des CDU-Ortsverbands Möckern und Neugründung und Vorstandswahl des Kreisverbands Jerichower Land der Senioren-Union, datiert auf den 24. bzw. 17. April. Aktuelle Termine: eine Veranstaltung der Senioren-Union Jerichower Land zum Thema Pflegegrad am 19. September.
Und die AfD? Die hat es eine Seite für den Landkreis Jerichower Land, die auch die Tätigkeit des Ortsvereins einschließt. Die Webseite funktioniert wie ein Nachrichtenportal, man kann einen Newsletter abonnieren. Neuigkeiten der letzten Wochen: "Wieder fast eine Milliarde Euro für Waffenlieferungen", "Spende für Kinder- und Jugendsport in Burg", "Nein zur Kita-Beitragserhöhung in Burg!", "Spende an die Freiwillige Feuerwehr in Gommern". Die Überreichung der Spende setzte der Kreisverband auch in den sozialen Medien geschickt in Szene.
Laut der AfD-Fraktion im Landtag fand der letzte AfD-Dialog in Burg im Mai in Form einer Podiumsdiskussion mit Landespolitkern statt. Angekündigte Themen: "Inflation", "Lehrermangel" und "Innere Sicherheit". Der nächste Termin ist ein Bürgerdialog in Möser am 30. August.
Auch auf Facebook ist die AfD viel präsenter als die politische Konkurrenz. Die Seite "AfD Jerichower Land" hat über 3.000 Follower, und neue Beiträge werden alle zwei bis drei Tage gepostet. Die CDU dagegen hat 1.256 Follower mit neuen Beiträgen alle zwei bis drei Wochen. Die SPD mit dem Banner "Solidarität mit der Ukraine" kommt lediglich auf 239 Follower.
Vielleicht ist mir hier etwas durchgerutscht. Aber schon dieser kleine Internetvergleich vermittelt ein deutliches Bild: Auch zusammengenommen sind die beiden "Volksparteien" SPD und CDU in ihrer Aktivität auf kommunaler Ebene in Burg bei Magdeburg der AfD deutlich unterlegen, wollen aber so tun, als ob sie es seien, die das alleinige Recht hätten, als Anwälte der Bürger gegenüber der Bundespolitik aufzutreten.
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