Von Dagmar Henn
Sagt mal, liebe Kollegen bei den deutschen Mainstream-Medien, habt ihr im Grundkurs Propaganda alle geschlafen? Das, was ihr da gestern geliefert habt, war ja schon ein Komplettausfall. Ganz ernsthaft – wenn sich jemand über einen lustig macht, dann steckt man das ein und kommentiert das nicht weiter.
Lesen zu müssen, wie nicht nur das ZDF, sondern auch noch diverse andere Medien sich tatsächlich an diesem netten Videoclip, in dem die Bundeswehr einer Familie für die Ukraine das Haus ausräumt, abarbeiten, das ist schon schmerzhaft. Gut, diejenigen, die auch noch stolz Argument auf Argument häufen, dass ausgerechnet Radio Liberty, der CIA-Sender, belegt habe, es handele sich um russische Schauspieler, sind aller Wahrscheinlichkeit nach zu jung, um sich daran erinnern zu können, als Satire in der Bundesrepublik noch mit der Staatsmacht kollidierte.
Es gab da eine Sendung im Jahr 1986, der klassische Scheibenwischer mit Dieter Hildebrandt, die in Bayern abgeschaltet wurde. Das war kurz nach dem Unglück von Tschernobyl, und bayrische Minister waren gerade damit beschäftigt, vor laufenden Kameras Milch zu trinken, um zu beweisen, dass das radioaktive Jod darin gar nichts ausmacht. Der Scheibenwischer machte sich über solche Dinge lustig, und der Bayerische Rundfunk drehte ihm daraufhin den Saft ab und die Bildschirme in Bayern wurden schwarz. Und wer hat am Ende davon profitiert? Der Scheibenwischer, weil sich die Regierung damit komplett lächerlich machte.
Es ist geradezu niedlich, wie das ZDF sich bemüht, die im Video eingeblendete Zahl von 22 Milliarden Hilfe an die Ukraine kleinzurechnen. 14 Milliarden davon seien schließlich in Deutschland geblieben und unter anderem an die Kommunen gegangen, für die ukrainischen Flüchtlinge. Man kann sich auch gerne darum streiten, mit welchem Wert man die in die Ukraine gelieferten deutschen Leopard-Panzer ansetzten soll, mit dem Schrottwert, dem aktuellen Marktwert (vor oder nach den Aufnahmen brennender Exemplare?) oder dem Einkaufspreis. Es gibt schließlich auch noch die ganzen Finanzhilfen, die über den Umweg der EU laufen. Und dann gibt es noch die Wohlstandsverluste der Deutschen wegen der Sanktionspolitik ...
Aber der Kernpunkt ist ein ganz anderer. Kollegen, ihr habt das Prinzip nicht verstanden. Es gäbe nur ein einziges Gegenargument, und das lautet: Es fließt gar kein Geld aus Deutschland in die Ukraine. Weil man mit Satire keine Detaildebatte beginnen kann. Sie trifft oder sie trifft nicht. Die Behauptung, es würde in Deutschland nichts weggenommen oder gekürzt, weil man "die Ukraine" unterstützen muss (in Wirklichkeit hilft man bei ihrer Zerstörung), oder weil wegen der Ukraine jetzt viel mehr Geld in die Rüstung gehen muss, ist schlicht nicht haltbar.
Zugegeben, das mit "Heil Selenskij" ist die knappste Zusammenfassung zum Thema ukrainischer Nazismus, die ich bisher gesehen habe. Aber da sind die ganzen deutschen Politiker, die völlig ernsthaft und ohne mit der Wimper zu zucken ihre Reden mit "Heil Ukraine" beenden. Auch Scholz. Das ist der nächste Punkt, an dem ihr euch nackig macht. Im Umgang mit Satire darf man nicht kleinlich sein.
Es ist völlig egal, ob die Schauspieler deutsch, russisch oder paraguayisch sind. Sie sind gut. Vor allem die Darstellerin der Bundeswehroffizierin (deren absolut akzentfreies Deutsch übrigens gegen die Russland-These spricht; wer russische Serien oder Filme mit akzentfreiem Deutsch sehen will, muss auf alte sowjetische Produktionen mit DDR-Darstellern zurückgreifen). Es ist auch egal, wo und von wem dieser Clip produziert wurde. Er sitzt, und das tut natürlich weh.
Die Bayerische Staatsregierung hat die Nummer damals übrigens auch versucht und hat behauptet, das, was der Scheibenwischer gesagt hätte, sei staatsfeindlich. Und noch einmal: Es hat alles nichts genützt. So wie es geradezu das Sahnehäubchen auf eure Fehlreaktion setzt, dann erst den "Investigativjournalisten Lars Wienand" als Zeugen zu zitieren, ein Mann, dessen wirklicher Auftraggeber, wie bei Bellingcat, irgendein Dienst und dessen Haupttätigkeit die Denunziation ist, und dann noch ganz ernsthaft das Bundesamt für Verfassungsschutz zu befragen. Wegen eines satirischen Videos. Die Passage sollte man sich ausdrucken und einrahmen.
"Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kennt das Video – es "fügt sich inhaltlich in fortlaufende Bemühungen prorussischer Desinformationsakteure ein", heißt es auf Anfrage von ZDF heute. Es werde immer wieder darauf abgezielt, "die hiesige Bevölkerung gegen die Bundesregierung sowie gegen die Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Aggressor aufzuwiegeln", schreibt die Behörde."
Wie geht das weiter? Veröffentlicht ihr demnächst Listen mit Witzen, die man nicht mehr erzählen darf? Oder verbietet ihr vorsichtshalber das Lachen an sich, weil man ja nie wissen kann, worüber derjenige lacht, der gerade lacht? Es könnte ja Baerbock sein, oder, Gott bewahre, Joe Biden?
Wenn ihr in die Archive geht und nachschlagt, was damals nach der Abschaltung des Scheibenwischers passiert ist, werdet ihr herausfinden, dass sich unzählige Leute damals in Bayern darum bemühten, irgendwie an ein Video der Passage zu kommen, bei der der Bildschirm schwarz wurde. Die Einschaltquoten des Scheibenwischers wuchsen beträchtlich. Aber damals kam natürlich noch niemand an und nannte es "Delegitimierung des Staates", wenn ein lächerliches Verhalten lächerlich genannt wurde. Wahrscheinlich habt ihr inzwischen einfach völlig die Orientierung verloren, was Satire ist, seit so etwas wie Böhmermann und Bosetti unter dieser Bezeichnung versendet werden. Also nur zur Erinnerung – Tucholsky antwortete einmal auf die Frage, was Satire dürfe: "Alles".
Übrigens, auch ihr kommt in dem Text schon vor, in dem Tucholsky das geschrieben hat. Der erste Satz lautet nämlich "Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt es übel."
Aber zurück zu eurem Versagen. Eigentlich wirklich nett von euch, dafür zu sorgen, dass jeder, der das Video noch nicht kannte, jetzt danach sucht. Wobei eure Hypothese, das Video sei russischen Ursprungs, mir fast einen meiner liebsten Witze zerstört:
Begegnen sich zwei Rotarmisten im Sommer 1945 vor dem Reichstag. Einer davon blickt bedrückt auf den Boden. Sagt der andere zu ihm: Genosse, warum schaust du so traurig? Der antwortet: Ich finde es so schlimm, dass wir den Informationskrieg gegen Goebbels verloren haben …
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