Von Dagmar Henn
Deutschland hat sogar eine Entwicklungsministerin, und sie heißt Svenja Schulze. Das würde vermutlich nach wie vor niemand wissen, hätte sie nicht die Gelegenheit genutzt und sich jetzt anlässlich des Russland-Afrika-Gipfeltreffens geäußert. Wie bei allen Bundesministern darf man auch bei ihr nicht davon ausgehen, allzu große Nähe zu den Fakten zu wahren. Sie hat jedenfalls, so t-online, "die Länder Afrikas nun vor einer engeren Zusammenarbeit mit Russland gewarnt". Es dürfte die Länder Afrikas sicher brennend interessieren, was die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze über deren Beziehungen zu Russland denkt:
"Wer afrikanischen Ländern billigen russischen Weizen verspricht und zugleich ukrainische Getreidehäfen bombardiert, will nicht den Hunger bekämpfen, sondern nur neue Abhängigkeiten schaffen."
Betrachten wir diese Äußerung einmal logisch. Was am Versprechen billigen russischen Weizens schafft neue Abhängigkeiten? Ein Versprechen schafft erst einmal gar nichts, außer vielleicht: gute Laune. Die entscheidende Frage ist doch wohl, ob dem Versprechen auch Taten folgen.
An diesem Punkt kann Frau Schulze natürlich auf nichts verweisen. Der Grund, warum der Getreidedeal geplatzt ist, war schließlich der, dass die gesamte EU irgendwie das Handeln vergessen hatte – zumindest, was ihre eigenen Zusagen anging. Keine Anbindung der russischen Landwirtschaftsbank an SWIFT, keine Freigabe der festgesetzten Düngerladungen, keine Regelungen zur Versicherung von russischen Getreideschiffen. Versprechen, aus denen nichts folgt, sind inzwischen irgendwie typisch für den gesamten Westen. Aber Russland ist bisher dafür bekannt, seine Zusagen tatsächlich einzuhalten.
Neue Abhängigkeiten? Da gibt es zwei relativ aktuelle Beispiele, wie auf geradezu katastrophale Weise neue Abhängigkeiten geschaffen werden: das sind Sri Lanka und Ghana. Beide Länder ließen sich auf die – auch vom deutschen Entwicklungsministerium propagierte – Klimapolitik ein, die beispielsweise die Anwendung von Kunstdünger untersagt, beide Länder ernteten nicht nur weniger Nahrungsmittel, sondern gleich auch noch Hunger und einen Zusammenbruch ihrer Staatsfinanzen.
Wer die Geschichte der neokolonialen Abhängigkeiten kennt, weiß, dass ein solcher Zusammenbruch das Einfallstor für die nächste Runde einer Kolonialherrschaft ist. Die Herren, die vorschreiben, wie das Land regiert zu werden habe und welche einheimischen Rohstoffe und Waren günstig feilzubieten seien, gehören dann zwar zu keiner Regierung, sondern zum Internationalen Währungsfonds, aber das Ergebnis ist das gleiche.
Wobei, vielleicht liegt der Schlüssel zu ihrem Unmut ja in dem Adjektiv "neu"? Weil die alten Abhängigkeiten keine Konkurrenz gebrauchen können?
Beabsichtigt Russland also, die Staatshaushalte der afrikanischen Länder mit Schiffen voller Getreide zu ruinieren? Und warum ist – laut Frau Schulze – das ukrainische Getreide gut, das russische aber verhängnisvoll? Abgesehen davon, dass sie zu erwähnen vergisst, dass ganze "überwältigende" 750.000 Tonnen von insgesamt 33 Millionen Tonnen aus der Ukraine exportierten Getreides in die ostafrikanischen Hungergebiete gingen. Vermutlich ist es schlicht das Beste gegen die Entstehung neuer Abhängigkeiten in Afrika, das ukrainische Getreide an europäische Schweine zu verfüttern, und das europäische Wohlwollen zeigt sich gerade im Nichtliefern an die Hungernden.
Aus den ukrainischen Getreidehäfen wurden mit Sicherheit in den vergangenen Monaten nur Getreidedrohnen ausgeschickt, und der Anschlag auf die Krim-Brücke war die Folge einer Mehlstaubexplosion. Ukrainische Häfen können schließlich für gar nichts anderes genutzt werden als zur Verschiffung jenes Getreides, das nicht nach Afrika geliefert wird, damit dort keine neuen Abhängigkeiten entstehen.
Übrigens liegen die Ernten dort in diesem Jahr um 15 Prozent niedriger – weil Dünger fehlt. Den kann der Westen ohnehin nicht mehr exportieren, weil die Ammoniakproduktion ohne das billige russische Gas zurückgefahren wurde, aber den russischen Dünger will man trotzdem blockieren, siehe oben. Sowohl der politisch motivierte Verzicht auf russisches Gas, der den Absturz der Düngerproduktion auslöste, als auch die Sanktionen, die die Lieferung russischen Düngers erschweren, sind einzig auf dem Mist des Westens gewachsen.
Dass um 15 Prozent niedrigere Ernten eine Lage verschärfen, die zuvor schon durch die (nicht zu vergessen: vor allem infolge Spekulation) gestiegenen Getreidepreise prekär war, ist keine Überraschung. Wenn man diese ganzen Punkte in der Summe betrachtet, dann ist das ganze Getreideabkommen im Grunde nur eine Art Ablasszettel, mit dem sich der Westen bescheinigen will, frei von Sünde zu sein.
"Tatsächlich", so Schulze, "zielt sein [Putins] Vorgehen in Afrika auf Abhängigkeit und Ausbeutung." Das Treffen in Sankt Petersburg sei nur "eine PR-Show".
Ja, mit PR-Shows kennt man sich im Westen aus, siehe Getreidedeal. Aber ernsthaft: Wäre die Haltung gegenüber der russischen Politik in Afrika so erbittert, wenn es wirklich um "Abhängigkeit und Ausbeutung" ginge? Wäre dem so, die deutsche Entwicklungsministerin dürfte keine Stunde rasten, die französische Afrikapolitik zu kritisieren. Immerhin führt der französische Kolonialpakt bis heute dazu, dass die ehemaligen Kolonien jährliche Abgaben leisten müssen, ihre Devisenreserven unter Kontrolle der Bank von Frankreich stehen und sie gezwungen sind, als "eigene" Währung den an den Euro angebundenen CFA-Franc zu nutzen. Französische Unternehmen haben grundsätzlich ein Vorkaufsrecht für alle Rohstoffe. Zugegeben, das einfach nur "Abhängigkeit" zu nennen, untertreibt den Zustand. Das ist blanke Kolonialherrschaft.
Aber hat man je ein kritisches Wort von Svenja Schulze zum Kolonialpakt gehört? Wo kämen wir da hin? Frankreich ist schließlich unser Wertepartner. Eben.
Russland habe "den afrikanischen Staaten wenig zu bieten". Meint Schulze wirklich, die Afrikaner hätten sechzig Jahre nach der formalen Unabhängigkeit die Tricks noch nicht durchschaut, mit denen der Westen sich seine Vorteile sichert? Russland exportiere "Waffen, Fake News und Söldner". Ein Glashaus hat den Nachteil, durchsichtig zu sein, also merkt man wohl manchmal nicht, wenn man in einem sitzt. Es bedarf zumindest einiger Dreistigkeit, die Fake News zum Getreideabkommen zu verbreiten und danach Russland Fake News vorzuwerfen. Und Waffen? Das wirklich Interessante ist, dass eine ganze Reihe von afrikanischen Ländern sich noch gut daran erinnert, wer ihren Unabhängigkeitskampf unterstützte und wer nicht. Angola und Mosambik zum Beispiel, die durch vom Westen finanzierte und ausgerüstete Südafrikaner angegriffen wurden. Man könnte behaupten, afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen hatten ein inniges Verhältnis zur AK47. Heckler & Koch benutzte eher die andere Seite.
Allerdings, wirklich übel nehmen kann man Frau Schulze ihr Gerede nicht. Für die Fortsetzung des kolonialen Systems eintreten, Fehlinformationen verbreiten und auch noch um Aufmerksamkeit ringen zu müssen, ist kein leichtes Schicksal. Zumal für eine Entwicklungsministerin sicher weder ein Hoffotograf noch eine Visagistin drin sein dürften. Da bleibt fasst nichts anderes übrig, als eine Absage von ganzen fünf Ländern (unter denen z.B. mit Nigeria auch solche sind, in deren Nachbarland gerade ein Putsch stattgefunden hat) hochzujubeln – als angeblichen Beleg dafür, dass die ganze Konferenz im Vorhinein gescheitert ist. Gönnen wir Frau Schulze ihre fünfzehn Minuten Ruhm.
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