Von Dagmar Henn
Spätestens seit dem NATO-Gipfel ist unübersehbar, dass der Westen in einer Sackgasse steckt. Da gibt es nach wie vor den Konflikt zwischen den Russland- und den Chinakriegern in Washington, aber nachdem die ukrainische Offensive ein Rohrkrepierer war und nicht nur die Wunderwaffen, sondern auch gewöhnliche Munition allmählich ausgehen, ist klar, dass irgendein Ausweg aus der Nummer den meisten recht wäre. Selbst wenn die westlichen Medien es immer noch nicht lassen können, einen Sieg der Ukraine herbeizuträumen, realistisch ist das nicht; nicht einmal, wenn Polen und Litauen einsteigen würden (was momentan selbst den Russlandkriegern in Washington zu riskant ist).
Allerdings ist das nicht ganz so einfach. Ein Einfrieren des Konflikts wird sich Russland nicht bieten lassen, warum auch. Kiew hat inzwischen so viele Soldaten verheizt, dass die ukrainische Armee in die Kreisklasse abgestiegen ist und sich die Frage stellt, wann sie kollabiert. Es gibt schlicht keinen Grund, auf die Erfüllung der Ziele des militärischen Einsatzes zu verzichten.
Die RAND Corporation hatte ja bereits vor Monaten darüber spekuliert und sogar Überlegungen getätigt, die inzwischen russischen Gebiete als solche zu akzeptieren. Ganz jenseits des Mantras, die Ukraine werde entscheiden, ist ohnehin jedem klar, dass genau dies nicht der Fall ist und eine Entscheidung über das Schicksal dieser Kolonie einzig in Washington gefällt wird. Aber es gibt mit dem RAND-Vorschlag nicht nur das Problem, dass Russland nicht mitspielen wird, gar nicht mitspielen kann, sofern die Bedrohung für das eigene Land nicht dauerhaft beseitigt ist. Es gibt als zusätzliches Problem noch die anstehenden US-Wahlen, die dafür sorgen, dass die Biden-Regierung auf keinen Fall eine weitere derart sichtbare Niederlage wie in Afghanistan einstecken will. Und die maximalistische Rhetorik der letzten Monate hat dafür gesorgt, dass jedes Nachgeben einer Niederlage gleichkommt.
Eine Fortsetzung der Kampfhandlungen bis zum Zeitpunkt der US-Wahlen ist aber ebenfalls kaum vorstellbar, weil im Grunde ohne Zuführung zusätzlicher (NATO-)Truppen nicht davon ausgegangen werden kann, dass die ukrainische Armee überhaupt bis November kommenden Jahres besteht. Gleichzeitig ist nicht nur die Erschöpfung der Lagerbestände bei Ausrüstung und Munition ein erschwerender Faktor, sondern auch der zunehmende Unmut europäischer Bevölkerungen über die Folgen der Finanzhilfen für die Ukraine wie der Sanktionen. Auch hier ist kaum vorherzusehen, wie sich die Lage bis November 2024 entwickelt. Zwei europäische Regierungen sind in den letzten Wochen bereits gescheitert.
Dazu kommt die Tatsache, dass sich immer weitere Teile des Globus von den USA und ebenso vom US-Dollar abwenden; eine Tendenz, die bestenfalls durch eine komplette Aufhebung der Sanktionen gegen Russland begrenzt werden könnte. Insbesondere im Finanzbereich sind die Wirkungen weit gravierender, als die NATO-Länder jemals öffentlich zugeben würden; aber inzwischen gibt es sogar die ersten offiziellen Aussagen, dass Gelder aus nicht-westlichen Ländern in großem Umfang abgezogen werden; nicht nur Gelder, auch Goldreserven. Um die Sanktionen aufzuheben und damit diesen Abfluss zumindest zu vermindern, bräuchte es aber ein völliges Ende des Konflikts, das faktisch ein russischer Sieg, aber formal ein Rückzug der USA sein müsste, der nicht nach einer Niederlage aussieht.
Nun, dafür gäbe es exakt eine Option, die sich im Instrumentenkoffer des Westens befindet. Es bräuchte eine weitere Farbrevolution in der Ukraine, die, sagen wir einmal, unter dem Banner von "Mütter für den Frieden" (die Nummer wurde schon in der Sowjetunion erfolgreich gezogen) oder einer "ukrainischen Zukunft" das Selenskij-Regime abräumt und durch eine Regierung ersetzt, die dann erklärt, sie wünsche eine gute Nachbarschaft mit Russland. Die USA könnten daraufhin erklären, sie hätten immer gesagt, die Entscheidung des ukrainischen Volkes zu respektieren, also respektierten sie auch diese. Sie könnten das mit einem Ausdruck größten Bedauerns äußern, aber im Umfeld der westlichen Propaganda wäre das kein Bruch und keine Niederlage, und gegenüber den Ländern des Südens hätte man zumindest so getan, als sei man für den Frieden, der einem derart in den Schoß gefallen ist.
Immerhin sind all die Organisationen, die damals den Maidan vorgekocht haben, nach wie vor in der Ukraine tätig. Das National Endowment for Democracy, die ganzen europäischen Stiftungen, einschließlich jener deutschen Parteien, ein riesiger Apparat aus willigen, anpassungsfähigen Personen, denen man nur mitteilen muss, dass jetzt eine Wende um 180 Grad erforderlich und die Nähe zu ukrainischen Nazis nicht mehr angesagt ist. Das wird vielleicht ein wenig mühsam, aber man kann den gar zu Zögerlichen ja ein paar der echten Zahlen über ukrainische Verluste und westliche Munitionsbestände vorlegen, dann wird das schon. Auch so etwas wie Human Rights Watch lässt sich mit entsprechenden Finanzen zu der Erkenntnis bewegen, dass das Recht auf Leben einen vergleichsweise hohen Rang unter den Menschenrechten besitzt.
Sagen wir einmal, es braucht drei bis sechs Monate, um mit entsprechenden Schulungen die Mitarbeiter zu wenden und das Material zu erarbeiten, das unter die Leute zu bringen ist. Es gibt mit Sicherheit aus den weichgespülten Teilen der europäischen Friedensbewegungen auch Leute, die bereit wären, gegen Entgelt natürlich, die Stiftungsbeschäftigten in Richtung Frieden zu schulen. Innerhalb dieser Zeit könnte man dann auch das Konzept erarbeiten, das in etwa nach dem Modell Greta Thunberg diese neue Bewegung in der Ukraine etabliert. Den Kettenhunden, die 2014 losgelassen wurden, bietet man entweder ein nettes Exil in den USA oder erklärt ihnen schlicht, sie könnten jetzt Ruhe geben oder sich auf eine russische Kugel freuen.
Nicht ganz einfach, aber machbar. Wenn die Lichtgestalt, die man in der Ukraine produziert, erst einmal aufgebaut ist, kann man das ganze Verfahren nutzen, das man für so etwas wie Guaidó oder Tichanowkaja bereits etabliert hat, nur eben diesmal andersherum. Sagen wir einmal, man nimmt eine fünfzehnjährige Sonja aus Dnjepropetrowsk, die ein Bein verloren hat. Hübsch, versteht sich, aber auch da kann man nachhelfen. Die beginnt unter dem Schutz der westlichen Oberherren mit einem Hungerstreik in ihrer Heimatstadt, und dann wird sie herumgereicht; man weiß ja, wie das geht; bei Bedarf bis zur UN in New York.
Schwupps, gibt es eine Friedensbewegung in der Ukraine, die man dann mit bezahlten Demonstranten anschwellen lassen kann, und die vielen Ukrainer in Westeuropa spannt man auch noch ein. Schon sieht alles total echt aus. Fahne, Logo und die für eine Farbrevolution unverzichtbare Farbe besorgt eine Werbeagentur, und die Anlage für die Dauerkundgebung finanziert eine der Stiftungen aus der Portokasse.
Natürlich könnte es Ärger geben mit so was wie Asow. Kann passieren, wenn so ein abrupter Richtungswechsel angesagt ist. Aber da braucht man keine Hemmungen zu haben – ein Angriff auf die friedlichen Demonstranten, und man kann mit gewöhnlicher Polizei draufhalten; in diesem Fall geht es schließlich darum, die Guten zu schützen und den Wunsch der friedlichen Bevölkerung zu respektieren. Lässt sich alles zur besten Sendezeit einbauen. Garantiert sind nach zwei Monaten Dauerbeschallung die ehemaligen Schwenker blaugelber Fähnchen im ganzen Westen überzeugt, dass sie nie irgendetwas anderes gewollt haben als Frieden.
Sonja aus Dnjepropetrowsk wird dann in einer Liveübertragung aus der Rada all den vielen westlichen Freunden danken, die beim Sieg geholfen haben; die Gesetze zum Verbot von Naziorganisationen, Bandera-Verherrlichung und zur Gleichberechtigung der Minderheitensprachen kann man vorab ja schon mal von entsprechenden Kanzleien verfassen lassen und dann aus der Schublade ziehen. Und zum Abschluss darf Sonja dann am 9. Mai kommenden Jahres in Moskau die Parade von der Tribüne betrachten.
Die Biden-Regierung hätte argumentativ kein Problem, weil sie immer erklärt hat, sie wolle nur helfen, die ukrainische Souveränität zu verteidigen, und hier hat dann der Souverän beschlossen, den Weg zu ändern. Klar, dass alsbald nach dieser Farbrevolution diese ganzen Stiftungen ihre Koffer packen müssen, aber ein paar Kröten müssen eben geschluckt werden. Auch die, dass die Regierung, die aus dieser Farbrevolution entsteht, diejenige ist, die Russland vorgeschlagen hat, aber das lässt sich in Geheimverhandlungen erledigen, das muss man nicht an die große Glocke hängen. Und wie man wildgewordene ukrainische Nazis parkt, wissen die USA ja bereits seit 1948.
Nach Abschluss dieser Operation lässt man noch ein paar Wochen, um den Schock endgültig zu verdauen, dann kann man sich daran machen, die ganzen Sanktionspakete wieder zurückzurollen. Gut, der russische Markt wird für viele westliche Firmen verloren sein und Vertrauen in irgendwelche Abkommen mit dem Westen könnte wahrscheinlich nur mit mittelalterlichen Methoden wieder hergestellt werden, als man die Kinder der Herrschenden als Pagen respektive Geiseln verschickte; aber ein bisschen Kreativität könnte auch dieses Problem regeln (Hunter Biden wäre allerdings völlig ungeeignet).
Klingt das nicht nach einer idealen Lösung? Weitgehend unblutig, gesichtswahrend und dennoch zielführend? Und noch dazu endlich mal eine CIA-Operation, der ein positiver Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher ist?
Schade, dass das nur eine Fantasie ist.
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