Von Susan Bonath
Die Politik streitet über das Elterngeld. Kann man jener kleinen Minderheit, die über Jahresbrutto von mehr als 180.000 Euro verfügt, denn zumuten, auf eigene Kosten statt auf denen des Steuerzahlers seinen Nachwuchs zu Hause durch die ersten Lebensjahre zu begleiten? So will es die Ampel, jedenfalls steht es so im Haushaltsplan fürs nächste Jahr. Die Gutverdiener in Politik und Medien sind entrüstet.
Der Mythos von "den Leistungsträgern"
Die FDP will nichts damit zu tun haben, auch die SPD hadert mit dem eigenen Vorschlag. In der Talkshow von Anne Will beklagte sich der FDP-Politiker Johannes Vogel darüber, dass derart "mit dem Rasenmäher" gegen Ärzte und Ingenieure vorgegangen werde, wie die Zeit berichtete. SPD-Chef Lars Klingbeil wittert gar einen patriarchalen Rückschritt in der bürgerlichen Oberschicht. So befürchtet es laut Focus auch die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski. Angeblich sei das Elterngeld für Hochverdiener nämlich gar keine Sozialleistung, sondern ein Beitrag für die Gleichberechtigung.
Entrüstet zeigt sich auch die CDU über diese "Ungerechtigkeit". Das Vorhaben richte sich gegen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wetterte CDU-Generalsekretär Mario Czaja gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Reichen müssten nun genauer hinschauen, wer zu Hause bleiben könne. Er wittert gar eine "Zweiklassengesellschaft unter jeweils hart arbeitenden Familien".
Den Mythos, dass hohe Einkommen stets von "harter Arbeit" im Sinne der Gesellschaft zeugten, nährt auch die AfD. Die Ampel treibe "den Angriff auf die Leistungsträger der Gesellschaft weiter voran", schimpfte der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert in einer Pressemitteilung. Es treffe nun ausgerechnet "Eltern, die fleißig sind und gut verdienen", monierte er in gleicher Manier wie die CDU.
Hier kann man sich mal etwas Grundsätzliches fragen: Arbeiten Manager bei Rheinmetall und BioNTech oder Pressesprecher in den Ministerien wirklich härter und fleißiger als Vollzeitaltenpfleger, Paketzusteller und Bäcker? Sind sie gar nützlicher für die Gesellschaft? Bei welcher Berufsgruppe würde ein Mangel wohl am ehesten auffallen und zum Problem werden? Und ist ein Bürgergeld-Empfänger, der keiner Fliege was zuleide tut, wirklich asozialer als ein hochbezahlter Abteilungsleiter einer Waffenschmiede?
Den Armen nehmen...
All die Politiker und Medienmacher, die jetzt auf den Barrikaden sind, fanden es nie ungerecht, dass sechs Millionen hart arbeitende Paketzusteller, Verkäuferinnen, Reinigungskräfte und andere zu Niedriglöhnen tagein, tagaus am unteren Limit schuften müssen.
Sie nehmen auch keinen Anstoß an einer Grundsicherung, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. In Leipzig beispielsweise bekommt ein alleinstehender Bürgergeld-Bezieher ohne Zusatzverdienst inklusive Miet- und Heizkostenzuschuss maximal 903,63 Euro im Monat, wovon er ausnahmslos alle Ausgaben bestreiten muss.
Dass diese Hungerleistungen zudem noch sanktionierbar sind, was auch viele Eltern mit Kindern traf und trifft, war ihnen immer recht. Während Superreiche ihre in aller Regel geerbten Vermögen vermehren und viele Superverdiener sogar noch Elterngeld abgreifen, sollen Arme gefälligst gehorchen und jeden Billigjob annehmen. Tun sie das nicht, stempeln Bild und Co. sie gern zu Schmarotzern ab. Die Hand aufhalten dürfen danach nur die Reichen.
... und den Reichen geben
Doch was genau wird hier eigentlich wem gekürzt? Die Obergrenze des zu versteuernden Einkommens, also nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, für den Bezug des Elterngeldes soll auf 150.000 Euro pro Jahr reduziert werden. Hierfür ist ein Bruttoverdienst von mindestens 180.000 Euro nötig. Nach diesem Vorhaben müssten beide Partner zum Beispiel jeweils mehr als 7.500 Euro brutto pro Monat verdienen, oder einer über 10.000, der andere 5.000 Euro und so weiter, um kein Elterngeld mehr zu bekommen.
Derzeit liegt die Obergrenze für das Jahreseinkommen bei 300.000 Euro für Paare und 250.000 Euro für Alleinerziehende, macht ein Brutto von 25.000 beziehungsweise knapp 21.000 im Monat.
Das Elterngeld beträgt 65 Prozent vom bisherigen Nettoeinkommen, mindestens 300, maximal 1.800 Euro. Wer einen Nettolohn von 2.770 Euro oder mehr erzielt, bekommt den vollen Satz des Elterngeldes, also 1.800 Euro monatlich, ausgezahlt. Wer weniger hat, bekommt auch weniger.
Dieses Basiselterngeld gibt es für zwölf, falls sich der Partner für Elternzeit entscheidet, oder bei Alleinerziehenden für 14 Monate. Mittels "Elterngeld Plus" lassen sich die Auszahlungen auf bis zu zwei Jahre und acht Monate strecken.
Die alleinerziehende Teilzeitverkäuferin mit einem Monatsnetto von 1.200 Euro erhält somit 780 Euro Basiselterngeld, in 14 Monaten sind das 10.920 Euro. Das Geschäftsführer-, Akademiker- oder Politiker-Ehepaar mit einem Monatsbrutto von 20.000 Euro kann dagegen die vollen 1.800 Euro abgreifen, mit 25.200 Euro für den ganzen Zeitraum also mehr als doppelt so viel wie die Verkäuferin.
Es kommt noch dicker: Wenn die Verkäuferin mit Eltern- und Kindergeld nicht hinkommt und aufstockendes Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld beantragen muss, werden alle Leistungen damit komplett verrechnet. Sie müsste dann auf Grundsicherungsniveau leben, egal, wie sie sich vorher angestrengt hat.
Kleine Oberschicht ruft nach Sozialstaat
Wie klein die Minderheit der reichen Eltern in Deutschland sein dürfte, die nun nach dem Sozialstaat schreit, verdeutlichen Daten des Statistischen Bundesamtes. Demnach lag das Durchschnittsgehalt bei Vollzeitbeschäftigten bei monatlich 4.105 Euro brutto, jährlich somit bei 49.260 Euro. Diese Zahl hat allerdings Tücken, weil die wenigen Spitzenverdiener weit höher zu Buche schlagen als die vielen Armutslöhner.
Das Bundesamt spricht von einer sogenannten "rechtsschiefen Verschiebung", was bedeutet: Zwei Drittel der Beschäftigten verdienen monatlich weniger als dieses Durchschnittsgehalt. Ihr Jahreseinkommen liegt also weit unter 50.000 Euro, was gerade einmal ein Sechstel der aktuellen und ein gutes Viertel der geplanten Obergrenze ist. Den Statistikern zufolge beziehen etwa 10,2 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten ein Bruttogehalt von mehr als 6.600 Euro monatlich, also über 79.200 Euro jährlich. Das ist immer noch weit unter der geplanten neuen Elterngeld-Bemessungsgrenze.
Laute Minderheit von vier Prozent
Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat hier einen Rechner online gestellt, der depressiv verstimmen könnte. Man gebe das monatliche Nettoeinkommen seines gesamten Haushalts ein, die Anzahl der Familienmitglieder und schon weiß man, wo man steht.
Nehmen wir spaßeshalber mal ein monatliches Nettoeinkommen von 9.500 Euro an, was bei einem Kinderfreibetrag und Steuerklasse 4 für beide Partner in etwa einem Jahresbrutto von 180.000 Euro entspricht. Wer so viel verdient, darf sich freuen: 96 Prozent der Vollzeitbeschäftigten sind demnach ärmer. Und hier geht es um die geplante Obergrenze, nicht um die geltende, die fast doppelt so hoch ist.
Nun trifft es sich, dass ausgerechnet die Chefs der Medienkonzerne sowie bezahlte Politiker in Bund und Ländern zu dieser kleinen, wohlhabenden Minderheit gehören. Der Rest, der mittrommelt, will vermutlich gern dazugehören und hofft auf die eine oder andere Beförderung in höhere Gehaltsgruppen, sei es im politischen Apparat, an der Spitze der DGB-Gewerkschaften, im Wissenschaftsbetrieb oder in den Chefetagen eines Pharma-, Rüstungs- oder sonstigen Konzerns.
Es ist das Gleiche wie bei den zahllosen Kampagnen für Coronamaßnahmen, gegen Russland oder gegen Sozialhilfebezieher: Eine kleine, laute Minderheit und ihr aufstiegswilliges Personal trommeln durch ihre reichweitenstarken Kanäle und tun so, als ginge die Welt unter, wenn der Sozialstaat ausnahmsweise einmal bei den Reichen kürzt. Und vermutlich wird diese Minderheit gewinnen. Es ist also wie immer.
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