Von Maria Müller
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat sich vorgenommen, die Zerstörung des Regenwaldes in Brasilien zu beenden und die Hälfte der abgeholzten Gebiete wieder aufzuforsten. Bis 2030 soll es keine Entwaldung mehr geben. Der Plan sieht vor, die Landstriche, die den Ureinwohnern schon immer gehörten, zu vermessen und mittels einer öffentlich zugänglichen Katasterdatenbank zu registrieren. Den indigenen Völkern sind offizielle Besitztitel auszustellen. Damit soll der Landraub und vor allem die Invasion in die angestammten Gebiete der Indigenen erschwert oder gar völlig gestoppt werden.
Der Schutz und die Wiederherstellung des Regenwaldes gehört zu den großen Wahlversprechen Lulas vor seiner Wiederwahl. Heute hat er dafür noch mehr Argumente zur Verfügung als in seiner ersten Amtszeit, denn sein Vorgänger im Amt, Bolsonaro von 2019 bis 2022, ermöglichte durch entsprechende Regierungsmaßnahmen dort Raub und Zerstörung in einem noch nie zuvor erlebten Ausmaß.
Indigenen-Familien schützen den Urwald
Der Plan sieht die finanzielle Unterstützung für 30.000 bedürftige Familien aus den traditionellen Gemeinschaften vor, die sich für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes einsetzen. Ein ähnliches, früheres Konzept Lulas wurde von Jair Bolsonaro auf Eis gelegt.
Das Programm trägt den Namen "Bolsa Verde" (grüne Einkaufstasche), ähnlich der beliebten früheren Sozialhilfe für arme Familien "Bolsa Familia", die in der Amtszeit Lulas dazu beigetragen hat, 50 Millionen Menschen aus der extremen Armut zu retten. Auch diese Maßnahme wird übrigens nun wieder aktiviert.
Die Umweltministerin Marina Silva sagte bei der Ankündigung des Programms:
"Diese Gemeinden setzen sich dafür ein, die Ökosystemleistungen zu erhalten.
(...) Die Familien erhalten staatliche Beihilfen als Bezahlung für ihre Leistungen zum Schutz der Umwelt. Etwa 80 Prozent der weltweit geschützten Wälder stehen unter der Kontrolle dieser traditionellen Gemeinschaften. Das Programm hat mit der Anerkennung dieser Rolle zu tun."
Die Regierung beabsichtigt zudem, die Maßnahmen auf weitere Großgebiete Brasiliens auszuweiten, in denen ebenfalls massive Zerstörungen um sich greifen. Dazu gehören vor allem die brasilianischen Feuchtsavannen "Cerrados" oder der "Atlantische Regenwald" (Mata Atlântica) an der brasilianischen Ostküste, beide ebenfalls durch Abholzung und andere Umweltverbrechen bedroht.
Die Familien, die mit dem Sozialprogramm der "Bolsa Verde" unterstützt werden, leben in den Waldgebieten. Sie fällen keine Bäume und pflanzen junge Gewächse aufgrund ihrer traditionellen Erfahrungen, kultivieren und sammeln Heilkräuter, die bei der Herstellung von Medikamenten Verwendung finden. Heute können sie als Wächter ihres Waldes auch in entlegensten Gebieten den Behörden rasch Umweltvergehen melden – auch dort gibt es Handy und Internet.
Erfolge und Misserfolge beim Kampf gegen Naturzerstörung
Die Polizeibehörden Brasiliens haben seit Beginn dieses Jahres ein permanentes Kontrollsystem eingerichtet, das mit Umweltwächtern zusammenarbeitet. Sie kümmern sich in erster Linie um Abholzungen im Zusammenhang mit dem illegalen Bergbau im Amazonasgebiet. Demnach soll das System bereits zu einem Rückgang der Delikte geführt haben. "Im April gab es neunzehnmal Alarm, im Mai zehnmal und bis zum 15. Juni gab es keinen Anruf", erläuterte das Regierungssekretariat für soziale Kommunikation.
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Nach Angaben des brasilianischen Umweltministeriums ist die Abholzung im Amazonasgebiet in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 31 Prozent zurückgegangen, im "Cerrado", der brasilianischen Tropensavanne, jedoch um 35 Prozent gestiegen.
Die Regierung hat mitgeteilt, dass im Amazonasgebiet Geldstrafen in Höhe von etwa 452 Millionen Dollar und im Cerrado, dem zweitgrößten Ökosystem Brasiliens, von etwa 28 Millionen Dollar verhängt wurden.
Das größte Feuchtgebiet der Erde ist gefährdet
Die Cerrados befinden sich im Südosten des Amazonasgebietes und sind so groß wie halb Europa. Die Feuchtigkeit speist sich aus acht großen Flusseinzugsgebieten, die zusammen 40 Prozent des Süßwassers in Brasilien liefern, von denen auch seine städtischen Zentren abhängen. Das Areal gilt als das größte Feuchtgebiet der Erde, früher mit über zwei Millionen Quadratkilometer. Heute ist nur noch die Hälfte im ursprünglichen Zustand. Für Viehzucht und Sojabohnen-Anbau zerstört man noch schneller als im Amazonasgebiet den Baumbestand und das Buschland, was das chronische Niedrigwasser der Flüsse bis nach Argentinien und Uruguay beeinflusst.
Nach den Plänen Lulas sollen 50 Prozent der illegal abgeholzten Flächen vom Staat beschlagnahmt und wieder aufgeforstet werden. Den anderen Teil will der Präsident für eine naturschonende Landwirtschaft fördern lassen. Zudem werden neue Umweltschutzgebiete eingerichtet. Um Raub und Zerstörung einen Riegel vorzuschieben, aktualisierte Brasiliens Präsident das Katastersystem CAR ("Kataster für den ländlichen Umweltschutz"). Der Zweck des Registers besteht darin, Umweltinformationen von ländlichen Grundstücken zu integrieren und eine Datenbank für die Kontrolle, Überwachung, Umweltplanung und Bekämpfung der Entwaldung zu erstellen.
Alle ländlichen Grundstücke müssen kartographiert und mit Besitztiteln versehen werden. Auch – oder ganz besonders – die angestammten Gebiete der indigenen Völker. Die Kataster-Datenbank soll eine Barriere gegen die katastrophalen Brandrodungen schaffen, mit denen sich besonders die Agrar-Oligarchen Brasiliens neuen Großgrundbesitz aneigneten.
All diese Maßnahmen sind nicht neu. Der heutige Präsident hatte sie in seinen zwei vorherigen Amtsperioden trotz des heftigen Widerstands der mächtigen Agrarbarone in die Wege geleitet. Bolsonaro blockierte dann dieses System, weswegen heute immer noch 235 indigene Ländereien keine Rechtstitel besitzen.
Die parlamentarische Macht der Agrarlobby im Kongress Brasiliens
Doch die Umweltpläne des Präsidenten erlitten in jüngster Zeit in dem von konservativen Kräften dominierten Kongress Brasiliens mehrere Rückschläge.
Am 31. Mai verabschiedete die brasilianische Abgeordnetenkammer einen umstrittenen Gesetzentwurf, der das Register indigener Gebiete einschränkt. Indigene Gruppen sollen ihre Gebietsanrechte verlieren, wenn sie nicht nachweisen können, vor 1988 in ihrem Hoheitsgebiet gelebt zu haben. Während der Militärdiktatur (1964 - 1985) und darüber hinaus waren aber zahlreiche indigene Gemeinschaften mit Gewalt aus ihren angestammten Gebieten vertrieben worden, was den geforderten Nachweis heute erschwert.
Im Juni stimmte die Umweltkommission des Kongresses dann für die Streichung wesentlicher Befugnisse der Ministerien für Umwelt sowie für indigene Angelegenheiten. Sie entzogen dem Umweltministerium die Verwaltung des Katasters für Landbesitz. Dem Ministerium für indigene Angelegenheiten nahmen sie die Befugnis, diese Ländereien zu vermessen und die Besitztitel zu beantragen. Der Text muss zwar noch vom Senat genehmigt werden und Lula kann sein Veto dagegen einlegen. Das jedoch könnte durch eine absolute Mehrheit des Kongresses annulliert werden.
Das Oberste Gericht wird über Indigenenrechte entscheiden
Gleichzeitig befasst sich der oberste Gerichtshof mit diesem Gesetz. In einer vorläufigen Abstimmung votierten zwei Richter dagegen und einer dafür. Im Oktober wollen sich elf Richter endgültig entscheiden.
Der Verfassungsrichter Alexandre de Moraes begründete sein Eintreten für die Rechte der Indigenen, weil die Forderung nach dem Nachweis der permanenten Anwesenheit Indigener in diesen Hoheitsgebieten zu "großen Ungerechtigkeiten" führen würde, in der Art einer "Kolonialinvasion". Seiner Meinung nach würde dies die öffentliche Gewalt daran hindern, Gebiete zu schützen, weil der Zeitraum der indigenen Besiedelung nicht bewiesen wurde, selbst wenn man in der Realität weiß, dass die indigene Gemeinschaft gewaltsam von ihrem Land vertrieben wurde. Bei der Präsentation seines Votums betonte Moraes, dass die Annahme der vorgeschlagenen zeitlichen Eingrenzung für eine Anerkennung von Eigentumsrechten die in der Verfassung garantierten Rechte der indigenen Völker verletzen würde:
"Wir würden die Grundrechte indigener Völker völlig ignorieren, selbst wenn wir wüssten, dass das Gebiet erkennbar indigen ist. Es handelt sich um ein Versäumnis der [bisherigen] Regierung, die das Land nicht verwaltete. Es gibt keinen Mangel an Land in Brasilien, es mangelt an Landmanagement."
Das zentrale Argument von Moraes basiert auch auf den sehr häufigen Fällen, in denen Gemeinden aus ihren Territorien vertrieben werden.
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