Von Björn Kawecki
Es ist ein starkes Stück, was sich das Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig da geleistet hat. In ihrer Studie, die den Titel "Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie" trägt und am Dienstag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, schafften es die Macher tatsächlich, zum x-ten Mal die Bürger Ostdeutschlands pauschal als rechtsextrem darzustellen.
Laut eigener Darstellung erforscht und dokumentiert das Institut, das im Herbst 2020 gegründet wurde, "demokratiefeindliche Einstellungen, Strukturen und Bestrebungen in Sachsen und berät darauf aufbauend Zivilgesellschaft und Politik". Die Leitung hat der bundesweit renommierte Rechtsextremismusforscher Oliver Decker inne. Da die Aufgabe Deckers und seines Instituts also darin besteht, Nazis in Ostdeutschland zu finden, taten sie genau das mit ihrer Studie und wurden – dem Himmel sei Dank – auch fündig.
Die deutschen Massenmedien nahmen die Kernaussage der Studie bereits mit Kusshand an und Bild, wo man sich gerne mal als Stimme des Volkes inszeniert, titelte schon: "Jeder dritte Ostdeutsche wünscht sich einen Führer".
Anschein wissenschaftlicher Objektivität
Die Grundlage der Studie bildete eine repräsentative Umfrage mit 3.546 Teilnehmern, die nach ihrer Haltung zu 18 Aussagen befragt wurden, und zwar nach den sechs "Dimensionen" Befürwortung einer Diktatur, Antisemitismus, NS-Verharmlosung und Sozialdarwinismus (zusammengefasst als Neo-NS-Ideologie) sowie Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus (zusammengefasst als Ethnozentrismus).
Wie transparent die Umfrage für die Teilnehmer ablief, wäre eine von vielen Fragen, die die Studie aufwirft. Denn wer wird jemandem offen seine Meinung sagen, wenn er weiß, dass er dafür später in die Pfanne gehauen wird?
Noch mehr zu denken gibt allerdings die weltanschauliche Voreingenommenheit, die an jeder Stelle aus diesem Papier trieft, das sich den Anschein wissenschaftlicher Objektivität gibt, in Wahrheit jedoch eine erneute Vorlage für die Fortsetzung der Hetze gegen Andersdenkende ist, die in Deutschland zum Alltag geworden ist.
Nicht nur in den Beschreibungstexten der Studie schienen es ihre Macher auf eine größtmögliche Dramatisierung anzulegen, wenn sie großspurig verkünden, dass sich Ostdeutsche statt "pluralistischer Interessenvielfalt" eine "völkische Gemeinschaft" wünschten. Selbst die grafische Darstellung der Umfrageergebnisse ist auf eine Weise frisiert, die den Zuspruch zu rechtsextremen Positionen in Ostdeutschland für den oberflächlichen Betrachter möglichst groß wirken ließ.
Neutrale Antwort ist "latente Zustimmung"
So hatten die Teilnehmer der Studie die fünf Antwortmöglichkeiten "Lehne völlig ab", "Lehne überwiegend ab", "Stimme teils zu, teils nicht zu", "Stimme überwiegend zu" und "Stimme voll und ganz zu".
Die zwei zustimmenden Antworten wurden von den Machern der Studie jedoch im Balkendiagramm kurzerhand als "manifeste Zustimmung" zusammengefasst. Der Clou: Die neutrale Antwortmöglichkeit "Stimme teils zu, teils nicht zu" (man könnte auch sagen, die differenzierende oder unentschiedene Antwortmöglichkeit) werteten die Studienmacher als "latente Zustimmung" – und schlugen sie der "manifesten" Zustimmung einfach drauf. Auf diese Weise kam die Bildzeitung zu ihrer Schlagzeile.
Wer sich also nicht eindeutig von "rechtsextremen" Positionen distanziert, gilt selbst bereits als latent rechtsextrem. Eine dritte Option gibt es im Weltbild der Studienmacher offenbar nicht. Eine Zusammenfassung der zwei ablehnenden Antworten als "manifeste Ablehnung" nahmen die Studienmacher hingegen nicht vor; vielleicht weil dann noch deutlicher geworden wäre, dass die Wertung der neutralen Antwort als "latente Zustimmung" schlichtweg nicht statthaft ist.
Ältester Trick im Buch der Statistik-Fälscher
Allerdings wurden die ablehnenden Antworten der Studienteilnehmer in den Grafiken einfach weggelassen und man findet sie bloß in einer Tabelle im Anhang. Da in den Diagrammen nur die neutralen und zustimmenden Antworten eingezeichnet sind und beide als Zustimmung gewertet werden, erscheinen diese, da die Relation zu den ablehnenden Antworten fehlt, weitaus größer als sie in Wahrheit sind. Das ist besonders manipulativ, weil die Ablehnung der "rechtsextremen" Aussagen mit nur einer Ausnahme jedes Mal höher ausfiel als die Zustimmung.
Zum Schluss bedienten sich die Studienmacher noch des ältesten Tricks im Buch der Meinungsmacher und Statistik-Fälscher: der willkürlichen Beschneidung der Diagrammachsen. Da die Umfrageergebnisse in Prozent angegeben werden, muss die y-Achse bis 100 % bzw. 1 reichen. In der Studie enden die Diagramme jedoch mal bei 30 % mal bei 90 %, sodass der Balken der Zustimmung zu "rechtsextremen" Positionen stets bis kurz "unter die Decke" reicht – was in etwa dem Weltbild der Studienmacher entsprechen dürfte.
Nach gleich mehreren sowohl grafischen als auch begrifflichen Tricks, um das "Extremismusproblem" des Ostens möglichst dramatisch darzustellen, ist noch gar nichts zu den Aussagen gesagt, zu denen die Teilnehmer Stellung bezogen, und deren Bewertung durch die Studienmacher selbst. Letztere dürfte nämlich vom Alltagsgebrauch der meisten Menschen recht stark abweichen.
Ein gewisses Maß an Niedertracht
So verstehen die Studienmacher unter Chauvinismus ein Bekenntnis zu "mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl", einem "harten und energischen Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland" und einem Deutschland, das sich die "Macht und Geltung" zu verschaffen habe, "die ihm zusteht".
Was in der Formulierung offenbar mindestens nach "Deutsches Kaiserreich" klingen sollte, schien bei den Befragten jedoch keine Mehrheit erreichen zu können. Der ersten Aussage stimmten 36,7 % überwiegend oder voll und ganz zu, der zweiten 27,5 % und der dritten noch 23,6 %.
Ebenso manipulativ war die im Proletarier-Ton gehaltene Aussage, über "die Ausländer", die nur "hierher" kämen, um "unseren Sozialstaat" auszunutzen. Während die Studienmacher gemäß der selbst auferlegten Sprachregelung vermutlich von "Migrant*innen" oder "Geflüchteten" sprechen müssten, scheint es, als wollte man die Studienteilnehmer durch sprachliches Entgegenkommen zur Zustimmung bewegen – wozu doch ein gewisses Maß an Niedertracht gehören würde.
Starke oder schwache Führer
Zum Schluss sorgt die Zustimmung zu der Aussage "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" vermutlich primär bei jenen für Bluthochdruck, die sich in ihrem eigenen links-akademischen Milieu eingeschlossen haben und für die "starke Partei" eine eindeutige Chiffre für "NSDAP" und "Volksgemeinschaft" für "NS-Staat" ist.
Während dieser Aussage 26,3 % der Teilnehmer ganz oder teilweise zustimmten, waren 24,9 % übrigens unschlüssig und der Rest ablehnend. Das könnte daran liegen, dass die Aussage ziemlich offen formuliert war und damit eigentlich erläuterungsbedürftig wäre. So könnten sich die Studienteilnehmer alles Mögliche unter den zwei Begriffen vorstellen, und eine starke Partei schließt, nebenbei gesagt, andere, schwächere Parteien, und damit Pluralismus, überhaupt nicht aus.
Dasselbe gilt für die Aussage zum "Führer", "der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert", der 14 % der Befragten zustimmten, nicht 31,1 %, wie Bild schreibt. Um einen politischen Führer handelt es sich übrigens auch bei Olaf Scholz, aber seit wann gehören schwache Führer zum Idealbild einer Nation? Eine qualitative Studie hätte hier den Raum für eine Diskussion geöffnet, die vermutlich nicht nur die Studienmacher nicht wollen können.
Zustimmung zur Demokratie, Zweifel an der BRD
Denn mit Qualität schreibt man keine reißerischen Überschriften und mit weltanschaulich neutraler Wissenschaft gewinnt man heutzutage keinen Blumentopf mehr. Das wissen auch die in den vergangenen Jahren zahlreich im Osten gegründeten Landesforschungsinstitute, von denen das Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig eines ist, die mit staatlichen Mitteln sogenannte "Rechtsextremismusforschung" betreiben.
Wie hanebüchen die ganze Studie ist, erkennt man schlussendlich im kurzen Teil der Studie, die die Zustimmung der Ostdeutschen zur Demokratie darstellt. Hier wurden im Gegensatz zu den Nazi-Fragen die Antworten von Ost und West nebeneinander gestellt, und es zeigt sich, dass die Zustimmung zur Demokratie in beiden Teilen Deutschlands gleich hoch ist: 90,6 % im Osten, 94,2 % im Westen. Bloß die Zustimmung zur "Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert", die ist mit 42,6 % im Osten um einiges geringer als mit 58,8 % im Westen. Man kann es ihnen kaum verdenken.
Die einzige Erklärung für den "Rechtsextremismus" der Ostdeutschen, den das Else-Frenkel-Brunswik-Institut übrigens hat, ist ihre "Verschwörungsmentalität" und ihr Wunsch nach "scheinbarer Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit". Was auch sonst? Die Bundesrepublik mit ihren staatlich finanzierten Gesinnungsschnüfflern ist den Ostdeutschen einfach noch nicht autoritär genug.
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