Der Drogenmissbrauch in den USA ist ein Produkt des Kapitalismus und nicht die Schuld Chinas

Washington hat chinesische Unternehmen, die angeblich in Verbindung mit Fentanyl stehen, mit Sanktionen belegt und damit eine Gelegenheit gefunden, Peking zum Sündenbock für eine innerstaatliche Krise zu machen. Die Antwort auf das Fentanyl-Problem muss Washington allerdings bei sich selbst suchen.

Von Timur Fomenko

Schon seit geraumer Zeit schlagen amerikanische Politiker Alarm wegen einer Substanz namens Fentanyl, einem synthetischen und verschreibungspflichtigen Opioid, das als Freizeitdroge weit verbreitet ist. Mit über 70.000 Todesfällen pro Jahr allein in den USA wird die aktuelle Situation als "die tödlichste Drogenkrise in der amerikanischen Geschichte" beschrieben. Aber wem wird für die Verursachung des Problems die Schuld gegeben? China.

Kürzlich verhängten die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen einige chinesische und mexikanische Unternehmen, von denen sie behaupten, dass sie Geräte zur Herstellung von Fentanyl-Pillen in die USA schmuggeln. Aber haben sich die Zuständigen jemals gefragt, warum so viele Amerikaner von Fentanyl abhängig sind? Die USA nutzen ihre hausgemachte Drogenkrise als weiteres Mittel, um Hass, Schuldzuweisungen und Wut gegen Peking zu erzeugen, wie sie es in so vielen anderen Fällen auch schon getan haben. Sie denken aber zu keinem Zeitpunkt darüber nach, warum sich eine solche Drogenkrise nicht zwangsläufig auch im Rest der Welt wiederholt.

Natürlich ist es politisch bequem und einfach, China die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben und von Peking zu erwarten, dass es die Drogenprobleme der USA in den Griff bekommt, während man die eigene Verantwortung für die Bewältigung dieses Problems vermeidet.

Wodurch wird Drogenmissbrauch verursacht? Dies ist eine komplizierte Frage, aber der Hauptgrund, warum jemand zur Einnahme von Drogen übergeht, ist, sich "gut zu fühlen", wenn es sonst keinen Grund gibt, sich im Leben "gut zu fühlen". Man sollte nicht verallgemeinern, aber viele Menschen fühlen sich möglicherweise in ihrem Dasein niedergeschlagen, haben traumatische Erfahrungen gemacht, fühlen sich deprimiert, einsam, isoliert, wütend oder verloren, und das alles bis zu dem Punkt, an dem sie das Gefühl beschleicht, auf bestimmte Substanzen zugreifen zu müssen, nur um psychisch über die Runden zu kommen. Sie holen sich einen Kick, der von Freizeit-Marihuana bis hin zu Speed, Magic Mushrooms, LSD oder eben Opioiden wie Fentanyl reichen kann.

Man bedenke, dass elf Prozent der US-Bevölkerung – also rund 37 Millionen Menschen – in Armut leben, somit Schwierigkeiten haben, ihre Lebenshaltungskosten wie die Miete zu decken, und dass zudem über eine halbe Million Menschen in den USA obdachlos sind. Wenn man in den Vereinigten Staaten nicht zu den Reichen und Privilegierten gehört, zeigt sich das Leben von der harten Seite. Die darwinistische Kultur des "American Way of Life", in der nur der Starke überlebt, kann ein Faktor dafür sein, warum manche Menschen zu Drogen greifen, ungeachtet der Tatsache, dass dieser "Way of Life" individualistisch ist und vielen Menschen die Orientierung im eigenen Leben fehlt. Mit anderen Worten: Drogenkrisen sind ein Produkt des Kapitalismus.

Keine kapitalistische Gesellschaft nutzt die Angebots- und Nachfrageökonomie besser aus als jene der USA. Tatsächlich besteht in den USA eine größere Nachfrage nach Freizeitdrogen als in jedem anderen Land der Erde. Und wer sieht darin eine Chance? Diejenigen in den Ländern des Globalen Südens, die benachteiligt sind und ausgebeutet werden und sich in einer Situation der Ungleichheit befinden. Dies allein erklärt die komplexe Lieferkette von Arzneimitteln, die von Lateinamerika in die USA führt. Es ist eine kapitalistische Unternehmung im wahrsten Sinne des Wortes, die die Laster einer kapitalistischen Gesellschaft ausnutzt und für viele Menschen die einzige Hoffnung auf Glück bietet.

Die USA reagieren natürlich auf ihr hausgemachtes soziales Problem, indem sie ausländische Akteure zu Sündenböcken für ihre Nöte machen und dabei die Tatsache außer Acht lassen, dass dies Teil der Pathologie des Drogenmissbrauchs ist. Man reagiert nicht mit dem Versuch, die Gesellschaft zu verändern, indem man sie stabiler, glücklicher, wohlhabender oder erfüllter gestaltet, damit die Nachfrage an Drogen beseitigt wird. Man bedient sich stattdessen hartnäckiger Taktiken wie härterer Gefängnisstrafen – zum Nutzen des Gefängnis-Industrie-Komplexes – und natürlich Schuldzuweisungen in Richtung Ausland.

Seit der Administration von Donald Trump haben die USA einen politischen Notausgang darin gefunden, China für ihre hausgemachte Fentanyl-Krise verantwortlich zu machen und damit die Verantwortung nach Peking zu exportieren, was zu einem weiteren Keil in den sich zunehmend verschlechternden Beziehungen beider Staaten geworden ist.

Unzählige Politiker erliegen nun der Verlockung, zu behaupten, dass Peking für die "Tötung von Tausenden von Amerikanern" verantwortlich sei, wie sie es auch bei der COVID-19-Pandemie getan haben. Aber die Wahrheit ist, dass das Angebot dorthin wandert, wo die Nachfrage danach verlangt. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Angebot von chinesischen Firmen produziert wird oder in irgendeinem anderen Land. Fentanyl und andere Medikamente werden immer kreative Wege finden, in die USA zu gelangen, um dort den Profit einzustreichen.

Die Antwort auf dieses Problem liegt im Hause USA. Aber wenn es darum geht, etwas in einem äußerst giftigen und gespaltenen politischen Umfeld zu tun, besteht der einzige politische Konsens darin, ein bestimmtes Land ins Visier zu nehmen – China. Die Fentanyl-Krise in den USA wird nicht ohne große gesellschaftliche Veränderungen beendet werden können – und das gilt auch für die unerbittlichen Angriffe der USA gegen China.

Übersetzt aus dem Englischen.

Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.

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