Ein Bericht von Angelina Latypowa
Diejenigen, die glauben, dass der Ukraine-Konflikt am 24. Februar 2022 begann, irren sich zutiefst – ein Fakt, auf den die Bewohner der Volksrepublik Donezk (DVR) jeden hinweisen, der ihre Region besucht. Das Leben der Einheimischen wurde im Jahr 2014 in "Vorher" und "Nachher" geteilt, als sich die überwiegende Mehrheit weigerte, das Ergebnis des vom Westen unterstützten "Maidan"-Putsches zu akzeptieren. Auch jenseits von Donezk herrscht die gleiche Stimmung: in Wolnowacha, in Mariupol und in anderen Städten und Siedlungen, die früher unter der Kontrolle Kiews standen.
RT-Korrespondentin Angelina Latypowa sprach mit Anwohnern, um herauszufinden, wie sich das Leben in der DVR im Laufe der Jahre gestaltete, was sie zu Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 empfanden, wie sie die schwersten Kämpfe überlebten und warum sich viele trotz der Gefahren dagegen entschieden, ihre Heimat zu verlassen.
Bleiben, um zu helfen
Tanja war 20 Jahre alt, als ihre Stadt zum ersten Mal angegriffen wurde, und musste ihr Universitätsstudium in Slawjansk abbrechen. Diese Stadt war einer der Brennpunkte des Aufstands im Jahr 2014, unter dem Motto "Russischer Frühling", wird aber derzeit immer noch von Kiew kontrolliert. Tanja begab sich in der Folge in die umkämpften Gebiete, um in der örtlichen pro-russischen Miliz zu dienen.
Nach ihrem Dienst bei der Miliz wurde sie Sanitäterin und versorgte verwundete Soldaten. Schließlich wurde Tanja ehrenamtlich tätig. Heute hilft sie Opfern des Krieges, findet neue Besitzer für herrenlose Haustiere und leistet humanitäre Hilfe. Außerdem dreht sie Videoreportagen.
Nach Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 half Tanja bei der Evakuierung von Menschen aus den Schauplätzen schwerer Kämpfe, darunter aus Wolnowacha und Mariupol. Sie erinnert sich:
"Die Streitkräfte der Ukraine (AFU) haben alle Zivilisten aus den Wohnungen rausgeworfen. In Wolnowacha gab es nur ein Gebäude mit einem ausreichend großen Keller. Sie kamen, warfen alle Zivilisten aus den Wohnungen und trieben sie in den Keller. Als sie sich dann nach Mariupol zurückzogen, benutzten sie einen Panzer, um den Eingang zum Gebäude dem Erdboden gleichzumachen."
Tanja schilderte auch, wie sie an ihrem Geburtstag beinahe getötet worden wäre, als eine Rakete in einem Hof im Stadtzentrum landete. Auch in der Nähe ihres Hauses, in einem Stadtteil ohne militärische Einrichtungen, kam es mehrfach zu Explosionen.
Einheimische erzählten, dass zivile Infrastruktur von der AFU am häufigsten angegriffen wurde und dass zu den Zielen auch die Kathedrale der Transfiguration und der örtliche Markt gehörten. Sie berichteten zudem, dass die Kirche während der Gottesdienste an religiösen Feiertagen bombardiert und der Markt regelmäßig an den Wochenenden angegriffen wurde. Ihren Berichten zufolge schlug die AFU meist an jenen Tagen zu, an denen diese Orte voller Menschen waren.
"Sogar die Kinder hier wussten, woher die Raketen angeflogen kamen und warum. Ich habe eine sechsjährige Nichte. Wir saßen in einem Taxi und sie sagte: 'Mein Gott, was für ein Albtraum. Sie greifen uns an, nicht wahr?' Ich antworte: 'Ja… Und wer greift uns an?' Sie sagte: 'Die Ukraine.' Sie wusste, aus welcher Richtung der Angriff kam und wie man sich in Schutz bringt. Sie wusste, dass wenn die Bombardierung begann, sie sich ihre Katze und ihre Lieblingsmalbücher schnappen und sich auf einen Stuhl im Flur der Wohnung setzen muss, weg von den Fenstern. Das ist nicht normal."
Bleiben, um zu überleben
Ljudmila ist eine Rentnerin, die mir einen Rundgang durch den Stadtbezirk Kuibyschew anbot – einer der am stärksten beschossenen Teile von Donezk.
Ljudmila hat fünf Enkelkinder. Nach Beginn der Feindseligkeiten im Donbass zogen zwei ihrer Enkelinnen nach Jalta auf die Krim, wo sie bis heute leben. Drei weitere blieben in Donezk. Ljudmila erzählte, dass sich ihre ganze Familie in den letzten neun Jahren immer dann, wenn die Stadt angegriffen wurde, in einem engen Korridor verstecken und sich dabei eng aneinander drängen musste. In der Gegend, in der sie lebt, kommt es heute noch zu Angriffen. Nach unserem Treffen wäre Ljudmila beinahe von einer Granate getroffen worden, die 500 Meter von ihr entfernt explodierte. In völliger Dunkelheit rannte sie anschließend, so schnell sie konnte, nach Hause.
Ljudmila hat die Stadt nicht verlassen, weil ihr Mann an Krebs erkrankt ist. Auch ihre Söhne blieben. Sie sagten:
"Solange der Krieg andauert, werden wir hier sein. Wir können unsere Jobs nicht kündigen und sind daher gezwungen, im Bombenhagel zu leben."
Ljudmila kommentiert das so:
"Diejenigen, die geblieben sind, werden jetzt nirgendwo hingehen. Sie sind froh, dass sich die Dinge endlich ändern. Und jetzt gibt es neue Hoffnung. In den vergangenen acht Jahren hatten wir fast alle Hoffnungen verloren. Wir fühlten uns deprimiert und hilflos."
Ljudmila stammt ursprünglich aus Marjinka, wo ihre Verwandten immer noch leben. Diese Stadt ist derzeit Schauplatz heftiger Kämpfe, eine Evakuierung ist nicht mehr möglich. Im März und April letzten Jahres mussten sie sich vor dem Beschuss im Keller verstecken und tagelang hungern.
Ljudmila erzählte auch von ihren Verwandten, die sie in Odessa, in Iwano-Frankowsk und in Kurachowo (DVR) hat. Allerdings ist die Kommunikation mit ihnen sehr gefährlich, da die ukrainischen Behörden angeblich Personen festnehmen, die Anrufe aus Russland erhalten. Aus genau diesem Grund wurde Ljudmilas Schwiegersohn festgenommen und verhört, konnte aber anschließend über die Grenze nach Russland fliehen.
Während unseres Spaziergangs durch die Stadt wies Ljudmila häufig auf Orte hin, die von ukrainischen Angriffen getroffen wurden. In der Nähe des Opernhauses tötete eine Rakete ein Mädchen mit ihrer Großmutter. Bei einer Sparkasse traf ein anderer Angriff vor allem ältere Menschen, die in einer Warteschlange standen. Auf dem örtlichen Markt wurden Zivilisten beim Lebensmitteleinkauf getötet. Raketen haben in Schulen und Kindergärten eingeschlagen:
"Praktisch jeder Ort in diesem Viertel wurde getroffen. Früher dachten wir, es handele sich um zufällige, vereinzelte Angriffe, ich meine auf Schulen, Kindergärten, Wohnhäuser. Heute wissen wir, dass diese Angriffe gezielt waren. Wenn es heute zweimal einen Beschuss auf dieselbe Schulvorhalle gibt, dann wird es morgen erneut geschehen."
Die ukrainischen Angriffe nahmen kurz vor Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 zu.
"Wir spürten, dass es eine Offensive von ukrainischer Seite geben wird, weil der Beschuss im Februar an Heftigkeit zunahm. Wir waren schon daran gewöhnt und dachten nicht viel darüber nach. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die beiden Republiken Donezk und Lugansk täglich von etwa 150 bis 200 Granaten getroffen. Doch im Februar vor einem Jahr, als die Evakuierung angekündigt wurde, gab es bis zu 1.000 Granaten und Raketen pro Tag."
Ljudmila erzählte, dass die ukrainische Seite acht Jahre lang immer wieder Waffenstillstände angekündigt habe, denen "seltsame" Namen gegeben wurden – wie "Osterfrieden" oder "Schulfrieden" zum Schulbeginn am 1. September. Aber dieselbe Seite, die diese Waffenstillstände jeweils ausgerufen hat, verstieß umgehend gegen diese Vereinbarungen. Ljudmila erinnerte sich auch an die Ereignisse des Jahres 2014, als sich die Einwohner von Donezk mit russischen Flaggen auf dem Lenin-Platz versammelten und den Anschluss ihrer Region an Russland forderten:
"Im Frühling 2014 gab es hier große Kundgebungen. Alle skandierten, sie stünden auf der Seite Russlands – und nur auf der Seite Russlands. Wir waren mit dem Putsch in Kiew nicht einverstanden. Es war sofort klar, dass sich unsere Wege getrennt hatten. Dann haben wir ein Referendum abgehalten. Alle hofften, dass es wie auf der Krim ablaufen würde. Auf der Krim entsprach alles dem Völkerrecht. Aber in unserem Fall gab es keine rechtliche Grundlage. Und es war zu früh, um sich auf einen großen Krieg einzulassen. Aber jetzt ist hier der große Krieg angekommen. Leider haben wir den großen Krieg bekommen."
Bleiben, um zu erinnern
Swetlana und ihre Tochter Vera fuhren uns vom Kontrollpunkt aus nach Donezk. Da wir Journalisten aus Russland waren, zeigten sie große Bereitschaft, mit uns zu sprechen, und luden uns zu sich nach Hause ein.
Die Familie lebt in Wolnowacha, einer Stadt, die zwei Wochen lang belagert wurde. Als die Evakuierung angekündigt wurde, beschloss die Familie Woitenko zu bleiben, da sie betagte Eltern und viele Haustiere hatten.
Am Morgen des 24. Februar 2022 wurde Swetlana im Bett von einer gewaltigen Explosion aufgeschreckt. Sie rief "Verotschka, der Krieg hat begonnen" und rannte los, um ihre Tochter zu wecken.
Zur Familie gehören neben mehreren Katzen und Hunden auch Eidechsen, Papageien und Hähne. Bei den Angriffen wurde keines der Tiere verletzt oder getötet. Nach dem Beschuss bekam ihr Hund jedoch stressbedingte Krämpfe, die noch mehrere Monate nach dem Abzug der ukrainischen Streitkräfte anhielten.
Zwei Wochen lang versteckte sich die Familie zusammen mit den Tieren in einem kleinen Korridor. Als sich die Lage beruhigte, schauten sie nach, wer am Schießen war. Aus dem Fenster des Hauses konnten sie sehen, wie ukrainische Panzer durch die Straßen fuhren und in Wohngebiete feuerten. Die Familie kochte das Essen auf einem Holzofen, immer in Angst, dass ihr Haus entdeckt und angegriffen werden könnte.
"Zwei- bis dreimal am Tag veranstaltete die AFU eine Art 'Panzer-Biathlon' – sie feuerten auf Häuser, Wohngebäude und Menschen. Wir hatten Angst, ein Feuer im Ofen anzuzünden, weil uns der Rauch aus dem Schornstein leicht zu einem Ziel hätte machen können. Jedes Mal, wenn mein Mann das Feuer anzünden wollte, schrie ich ihn an: 'Löscht es, sie werden uns sonst angreifen!'"
Die Einheimischen versuchen, sich die Logik der Ukrainer zu erklären. Anscheinend galten diejenigen, die nach Beginn der Feindseligkeiten in Wolnowacha blieben, als "Separatisten", wie die Kiewer Streitkräfte jeden nannten, der nicht auf ihrer Seite an die Front zog.
Die Familie erzählte, dass die Stadt seit vielen Jahren einer "Ukrainisierung" ausgesetzt gewesen wäre und dass die ukrainischen Behörden versucht hätten, Hass gegen Russland zu schüren. Vera erinnert sich, wie im Jahr 2014, gleich zu Beginn des Konflikts, der zum Putsch in Kiew und zum Krieg im Donbass führte, Schulkinder Parolen riefen wie "Moskowiter an den Galgen!" und "Wer nicht hüpft, ist ein Moskowiter!". Und im Unterricht sprachen die Lehrer über den angeblichen Beschuss ukrainischer Städte durch Russland:
"Mitten in unserem Unterricht begannen Raketenwerfer, von etwas entfernteren Feldern aus zu schießen. Und der Lehrer sagte: 'Seht ihr, Russland greift uns an.' Schon damals habe ich mich gefragt: Was macht Russland in einer ukrainischen Stadt? Wie kann es uns von hier aus beschießen? Wie? Aber viele glaubten es."
Aus diesem Grund glaubten auch einige Freunde der Familie, die sich auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet aufhielten, nicht, dass die AFU Zivilisten in Wolnowacha angegriffen hatte.
"Das Schlimmste ist, wenn die Leute, die erst die ganze Zeit hier waren und dann weggegangen sind, dir sagen, es sei Russland gewesen, das uns beschossen hat. Obwohl einige Leute später ihre Meinung wieder geändert haben, als sie hierher zurückkamen."
Bleiben, um zu leben
In Mariupol, genau wie in Sewerodonezk, Wolnowacha und anderen Städten, richtete die AFU Schießpositionen in Wohnhäusern ein, während sich die Bewohner dieser Häuser in den Kellern versteckten.
"Ich habe ein Ehepaar evakuiert – alle Fenster ihrer Wohnung waren kaputt und in der Wohnung selbst wurde ein Geschützstand der AFU errichtet. Die AFU kam in die Keller und sagte: Gebt uns die Wohnungsschlüssel. Wenn ihr uns die Wohnungsschlüssel nicht geben wollt, sprengen wir die Türen auf. Und sie sprengten die Türen auf", erzählte uns Tanja, die Freiwillige aus Donezk.
Denis, ein Einwohner von Mariupol, der die Belagerung der Stadt überlebt hat, sagte uns, seine Familie habe Glück gehabt: Sie hätten den Eingang zu ihrem Wohnhaus zugesperrt, was ihnen geholfen habe, zu überleben.
"Das Bataillon Asow begann uns am 1. März anzugreifen. Ich habe meine Schwester verloren. Wir haben fast 90 Menschen im Hinterhof begraben müssen. Als wir Wasser besorgen wollten und zur Küste hinuntergingen, schossen Scharfschützen vom Bataillon Asow auf uns. Sie haben uns gezielt ins Visier genommen, damit wir kein Wasser besorgen konnten. Wir saßen hier drei Wochen lang ohne Wasser und Brot fest. Wir waren so glücklich, als es anfing zu regnen. Ich habe Regenwasser zu den alten Frauen im Keller getragen",
erinnerte sich ein Einheimischer, den ich auf der Straße angesprochen hatte.
Das Bataillon Asow ist eine der berüchtigten Neonazi-Einheiten der Ukraine. Als die Bewohner von Mariupol im Jahr 2014 gegen die Politik der neuen Kiewer Machthaber protestierten, erschossen Kämpfer von Asow jeden, der ihnen über den Weg lief. Ein Mann namens Denis erinnerte sich noch immer mit Schaudern an diese Ereignisse.
"2014 fühlte es sich erschreckend an. Doch dann setzte eine Apathie ein. Weil uns klar wurde, dass die Ukraine mit einer solchen Politik keine Zukunft hat."
Denis schilderte, dass die Stadt in den folgenden Jahren aktiv "ukrainisiert" wurde. Er teilt sein Leben nicht in "vor" und "nach" dem 24. Februar 2022 ein, da der Krieg für ihn seit 2014 tobte. Donezk, wo Zivilisten leben, lag neun Jahre lang im Sterben und die Stadt liegt nur 100 Kilometer von Mariupol entfernt. Von Selenskij ist Denis enttäuscht:
"Selenskij wurde als 'Präsident des Friedens' gewählt. Aber anstatt den Krieg zu beenden, warf er die Bewohner von Mariupol und von anderen Städten direkt in den Krieg."
"Auf der anderen Seite der Stadt nannten sie die AFU 'Zachisniki' – 'Verteidiger'. Aber so verteidigt man keine Städte. Die DVR und Russland hatten nicht das Ziel, Städte zu zerstören – das zeigt sich sowohl in Melitopol als auch in Berdjansk. Niemand hat dort Gebäude zerstört und Menschen getötet. Die AFU hingegen nahm den Standpunkt ein: 'Wir verteidigen nicht die Menschen, wir verteidigen das Territorium.' Da sie wussten, dass sie die Kontrolle über Mariupol nicht behalten konnten, versuchten sie, die Stadt vollständig zu zerstören. Deshalb haben sie sich in Wohnhäusern versteckt und Mörser und Maschinengewehre auf Dächern platziert."
Denis erinnerte sich auch an die Ankunft der Truppen der DVR am 18. März als "ein herzliches Zusammentreffen":
"Sie freuten sich und wir freuten uns. Wir umarmten uns alle. Wir hatten Angst, und sie hatten Angst. Mit so etwas haben sie wahrscheinlich nicht gerechnet."
Aus dem Englischen
Angelina Latypowa ist eine russische unabhängige Journalistin.
Mehr zum Thema - Amnesty-Bericht entreißt der Ukraine die Maske des unschuldigen Opfers