Maischberger und die Schlacht um die Ukraine

Klar sind Talkshows auch Unterhaltungssendungen, und die Zeiten von Günter Gaus sind lange vorbei. Krawall liefert Frau Maischberger ziemlich verlässlich, auch wenn die eingesetzten Methoden schäbig sind. Wenn das aber dann zum Anlass moralischer Erregung wird...

Von Dagmar Henn

Irgendwo gibt es immer noch einen Irren, dem das alles noch nicht weit genug geht. Wie Jan Böhmermann, der Sandra Maischberger Sympathien für die AfD vorwirft, obwohl sie einem zahmen Tino Chrupalla bei jeder denkbaren Gelegenheit ins Wort gefallen ist und selbiges verdreht hat. Man fragt sich, was Böhmermann dann so vorschwebt. Eine öffentliche Hinrichtung?

Dabei war dieses Gespräch eigentlich keines, sondern vor allem vonseiten des FDP-Fraktionschefs Christian Dürr eine Aneinanderreihung von NATO-Sprechblasen, gleich, ob sie zur vorhergehenden Aussage passten oder nicht (Maischberger machte das ähnlich). Ein Beispiel: Die Moderatorin fragt Chrupalla, wie denn der konkrete Weg wäre, wieder russisches Gas zu bekommen.

"Diesen Wirtschaftskrieg, den Habeck ja initiiert hat, zu beenden. Wir haben die Sanktionen, die hauptsächlich der deutschen Wirtschaft, auch der Bevölkerung schaden."

Dürr (unterbricht): "Es werden Menschen ermordet in der Ukraine."

Chrupalla: "Wenn wir eine wertegeleitete Politik, wie Sie immer fordern, durchsetzen, dann hätten wir auch beim Irak-Krieg, bei Afghanistan von Amerika kein Öl kaufen dürfen, da wurden auch Menschen getötet. Oder wurden dort keine Menschen getötet? 500.000 Kinder wurden im Irak-Krieg getötet, 500.000 Kinder."

Dürr (erregt): "Sie versuchen gerade, einen Angriffskrieg, [...]"

Chrupalla (Zwischenruf): "Ja, das war auch einer."

Dürr: "[...] der völkerrechtswidrig [ist] und der auch unsere Sicherheit bedroht, zu rechtfertigen. Ich finde das unanständig und ich finde, das muss man mal aussprechen."

Es hat schon was, ausgerechnet den FDP-Repräsentanten als Vertreter der Moral zu erleben. Traditionell sind das doch eher die Vertreter des Geldes. Aber dennoch – gibt es eine Verbindung zwischen Chrupallas Hinweis auf den Irak-Krieg und der Bemerkung Dürrs? War der Irak-Krieg also völkerrechtskonform? Zuvor schon hatte Dürr die Standardformulierung "Da werden Frauen und Kinder ermordet, Frauen vergewaltigt" eingesetzt, um das Thema "Ukraine" zu eröffnen, und mehrfach sprach er von "humanitären Gründen", warum man jetzt die Ukraine unterstützen müsse. Die Zahlen ukrainischer Gefallener sind ihm also entweder nicht bekannt oder er weigert sich, sie zur Kenntnis zu nehmen.

Wobei er beiläufig sogar einen kleinen Einblick gibt, wie das funktioniert haben dürfte, dass die bundesdeutschen Abgeordneten bei diesem Thema funktionieren wie brave kleine Spielzeugsoldaten: "Ich habe in jeder Nichtsitzungswoche Kontakt zu Menschen, die geflüchtet sind, kenne einige mittlerweile auch privat." Statistisch gesehen müsste er daher auch ukrainische Antifaschisten kennen. Praktisch ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass er Kontakt zu aktiven Mitgliedern ukrainischer Nazi-Organisationen hat.

Erinnern Sie sich noch an Marina Weisband? Sie war bei weitem nicht allein. Schon 2014 war auffällig, dass auf jeder öffentlichen Veranstaltung, die sich mit dem Thema Ukraine befasste, mindestens eine wohlgestalte junge Frau auftauchte, die mit bebender Stimme den Maidan verteidigte. Männer waren es übrigens nie, was ein extrem starkes Indiz für eine Steuerung ist. Man muss es diesen Truppen lassen, sie sind gut organisiert. Mittlerweile dürfte jeder männliche Bundestagsabgeordnete eine davon auf dem Schoß sitzen haben.

Im Grunde geht es darum, Chrupalla eine Reihe von Vorwürfen zu machen und damit Stück für Stück zu belegen, wie böse er doch ist. Vorwurf Nummer 1: Er war am Tag des Sieges in der russischen Botschaft.

Nun gehören Einladungen zu solchen Terminen in Botschaften zum normalen Postpaket von Bundestagsabgeordneten, von Fraktionsvorsitzenden oder Parteisprechern ganz zu schweigen. Und noch zu keinem Zeitpunkt hat sich jemand über Besuche in der Botschaft der Vereinigten Staaten mokiert, normalerweise aber auch nicht über solche in der Auslandsvertretung von Senegal oder Kuba. Maischberger hat bei dieser Attacke Probleme mit der Begrifflichkeit: "am 09.05., am sogenannten Tag der Befreiung, so nennt die russische Seite ihn". War vermutlich der Redaktionspraktikant, der nie gelernt hat, dass der Tag der Befreiung der 08.05. ist, seit einer Rede Richard von Weizsäckers auch in der BRD, und dass die Russen den 09.05. als Tag des Sieges feiern. "An einem Tag, an dem diejenigen, die gerade ein Nachbarland überfallen haben und jeden Tag dort brutal kämpfen, auch gegen die Zivilbevölkerung, an diesem Tag da zum Feiern zu sein."

Man könnte fast glauben, das wäre der einzige Krieg weltweit, nein, der einzige in der ganzen Menschheitsgeschichte. Dabei ist diese Passage noch eine, die realer Kommunikation mit am nächsten kommt...

Chrupalla: "Im Übrigen waren vor drei Jahren noch alle Parteien dort vor Ort gewesen, also was hat sich denn geändert?"

Maischberger: "Ein Krieg?"

Chrupalla: "Moment, Moment. Ein Krieg? Ich glaube nicht, dass Deutschland mit Russland im Krieg ist, auch wenn das einige in der Koalition immer wieder erwähnen."

Maischberger: "Aber dass Russland im Krieg mit der Ukraine ist."

Chrupalla: "Wollen wir gar keine diplomatischen Beziehungen mehr mit Ländern haben, die in irgendeiner Weise in Konflikte verwickelt sind?"

Woraufhin Maischberger ablenkt und gleich darauf Vorwürfe aus der AfD erwähnt, die von "Tag der Schande" gesprochen hätten. Übrigens war die offizielle westdeutsche Sprachregelung bis in die 1980er "Tag der Kapitulation". Weiß Maischberger natürlich auch nicht.

Chrupalla hält die Stellung mit der Notwendigkeit von Gespräch ganz gut und betont, Deutschland befände sich eben nicht im Krieg mit Russland. Herr Dürr kontert diese Position dann mit dem Vorwurf, als "Vorposten von Moskau und Putin im Bundestag zu agieren". Das muss im Grund eine abgesprochene Reihenfolge gewesen sein. Als Chrupalla es dann wagt, Strack-Zimmermann eine Rüstungslobbyistin zu nennen, unterbricht Maischberger und legt Vorwurf Nummer 3 nach. Im Verfassungsschutzbericht seien Auftritte von AfD-Mitgliedern im russischen Fernsehen verzeichnet (man denke sich so etwas einmal in Bezug auf das US-Fernsehen). Steffen Kotré sei im Februar in der Talkshow von Solowjow aufgetreten und habe erklärt, die deutsche Bevölkerung sei mehrheitlich nicht für die Lieferung schwerer Waffen.

Sie erklärt, dass "zu diesem Zeitpunkt nicht die Mehrheit der Deutschen gegen Waffenlieferungen war", ohne eine Quelle zu nennen, und deshalb sei die Aussage von Kotré "etwas Falsches". Woran sie den Satz hängt: "Hat der Verfassungsschutz einen Punkt, dass Sie russische Narrative verbreiten?"

Nun kann sie sich dabei nur auf Meinungsumfragen beziehen, denn einen Volksentscheid zur Frage von Waffenlieferungen gab es bekanntlich nicht. Ihr Vorwurf gegen Kotré lautet also, als Bundestagsabgeordneter habe er nicht behaupten dürfen, die Mehrheit sei gegen Waffenlieferungen, sofern es eine Umfrage gibt, die zu einem anderen Ergebnis kommt. Daher sei diese Aussage eine Falschbehauptung und deshalb "russisches Narrativ".

Aber sie ist noch nicht am Ende angekommen, sie lässt einen Ausschnitt aus der russischen Talkshow "Solowjow" einspielen, pikanterweise aus einem Tweet von Anton Geraschtschenko kopiert, einem ziemlich unangenehmen ukrainischen Politiker, der unter anderem an der Entstehung der berüchtigten Mordliste "Mirotworez" beteiligt war. Das macht selbstverständlich nichts.

Der Grund für die Einspielung ‒ Solowjow sagt in diesem Ausschnitt: "Berlin wird zerstört werden, wenn die Deutschen weiter an die ukrainischen Nazis Waffen liefern. Das ist die Quittung für politische Entscheidungen." Was selbstverständlich bei Solowjow, im Gegensatz zu Selenskij, nicht hinzugefügt wird: Solowjow ist Jude. Und hasst Nazis mit Leidenschaft.

Der Ausschnitt hat jedoch mit der Aussage von Kotré nichts zu tun, Solowjow macht jeden Tag eine Sendung. Und im Gegensatz zu deutschen Programmen wie Maischberger kamen dort tatsächlich selbst ukrainische Nazis schon zu Wort. Der Zuschauer kann sich also trotz der oft scharfen Sätze des Moderators immer noch selbst ein Bild machen.

Chrupalla war offenkundig darauf nicht vorbereitet und gibt nach, indem er erklärt, er würde nicht in dieser Sendung auftreten, kontert aber mit einem Verweis auf – nun ja, Böhmermann. Weshalb man nun weiß, warum ebendieser nun Maischberger angreift: Weil sich diese nicht sofort schützend vor ihn geworfen hat. Der Herr ist schlicht beleidigt.

Chrupalla versucht, die Verhandlungen in Istanbul zu erwähnen, die durch einen Besuch von Boris Johnson abgebrochen wurden und die fast zu einem Friedensschluss führten – wird aber sofort von Maischberger daran gehindert, den Satz auch nur zu beenden. Er lässt sich ablenken und fordert, der Krieg müsse beendet werden und man müsse "sich auch mit Putin an einen Tisch setzen". Auch Chrupalla sieht Deutschland stärker, als es ist, und meint, Bundeskanzler Scholz müsse auf "China Druck ausüben" und auf die Länder, "die überhaupt noch in Diplomatie und in Kontakt mit Russland stehen". Er versucht immer wieder den Kompromiss mit der Kriegspartei, obwohl er zuvor erwähnt hat, dass nur ein Achtel der Weltbevölkerung hinter den Sanktionen steht. Auf den Vorschlag der Diplomatie reagiert Maischberger wieder mit einem Sprung:

"Und bis dahin die Waffenlieferungen stoppen und die Ukraine sollte kapitulieren?"

Kriege können nur auf zwei Weisen enden. Durch Verhandlungen oder durch Sieg der einen und Niederlage der anderen Seite. Sie verdreht also schlicht Chrupallas Aussage. Der antwortet, es werde sicher Grenzverschiebungen geben, und die Sicherheitsinteressen Russlands müssten auf jeden Fall mit berücksichtigt werden. Maischberger besteht auf der Frage nach Kapitulation. Chrupalla erklärt (womit er zweifelsfrei Recht hat): "Jeder Tag, den der Krieg länger geht, sterben Menschen." Aber Maischberger besteht auf "Kapitulation?". Chrupalla bleibt nachgiebig. Er hätte auch erklären können, selbst eine Kapitulation sei schließlich besser, als eine ganze Generation ukrainischer Männer nutzlos abzuschlachten. Dürr wittert die Schwäche und stürzt sich, von Maischberger aufgefordert, auf sein Opfer: "Das ist absurd, geradezu, der würde wahrscheinlich auch für Deutschland empfehlen, wenn wir diese Bedrohung in der Realität hätten, Kapitulation, das kann es natürlich nicht sein, ich spreche fast jede Woche ..." (hier will er übrigens schon seine ukrainischen Betreuer einbringen).

Chrupalla (und das ist dann das, was breit skandalisiert wird) wirft ein: "Das haben wir '45 auch gesagt."

Dürr: "Fast in jeder Woche – absurd, absurder Vergleich."

Chrupalla: "Auch das ist ein Kriegsende."

Maischberger: "Sie vergleichen Deutschland, Hitlerdeutschland, die Wehrmacht, die kapitulieren musste, ist vergleichbar mit der ukrainischen?"

Kapitulation oder Verhandlungen. Empörung ändert nichts an dem begrenzten Angebot. Dürr und Maischberger tun das, was die NATO, der kollektive Westen die ganze Zeit bereits tut, wenn auch bisher leicht verhüllt mit dem "Selenskij-Friedensplan", der im Grunde eine Kapitulation Russlands wäre (in völliger Verkennung der militärischen Lage). Sie setzen jede Verhandlung seitens der Ukraine mit einer Kapitulation gleich, und zwar der des gesamten Westens. Was genau die Bedingungen dafür schafft, dass die Geschichte so enden könnte. Aber das ist eine andere Frage.

Dies ist die Grundlage für das laute "Nazi, Nazi"-Geschrei. Chrupalla hat sich absurde Mühe gegeben, anschlussfähig zu sein. Er verrichtet gegen Ende sogar den Kotau vor dem "russischen Angriffskrieg", und trotzdem wird ihm selbst bei seinem Einwand, der Krieg habe 2014 begonnen, und zwar als ukrainischer Bürgerkrieg, noch das Wort im Mund umgedreht. "Der Krieg hat '14 begonnen, mit dem Überfall auf die Ukraine, das halten wir noch fest", sagt Maischberger, in unheimlichem Einklang mit Robert Habeck, der ebenfalls vor wenigen Tagen behauptet hat, Russland habe 2014 bereits die Ukraine angegriffen. Es scheint, als habe man irgendwo im NATO-Hauptquartier in Brüssel festgestellt, dass man die Ereignisse des Jahres 2014 nicht ganz aus den Gedächtnissen löschen könne, und hat nun stattdessen die Losung ausgegeben, sie schlicht abzuwandeln – der Krieg, mit dem die Kiewer Putschregierung den Donbass überzog, wird Russland in die Schuhe geschoben. Immerhin ist es im Westen auch möglich, zu erzählen, Russland beschieße sich selbst in Energodar, und zwar auch noch mit NATO-Kalibern.

Nein, egal welche Details erwähnt werden, die Aggression "ist von Russland leider ausgegangen". Und die Sanktionen sind auf einmal im nationalen Interesse, nachdem niemand zuvor wagte, diese beiden Worte überhaupt in den Mund zu nehmen. Und Krieg ist Frieden und Frieden ist Krieg und Verhandlungen sind Kapitulation.

Aber die Wirklichkeit beißt immer irgendwann zu, und Herr Dürr wie seinesgleichen sollten darauf hoffen, den Unterschied zwischen Verhandlungen und Kapitulation nicht näher kennenlernen zu müssen. Dass sie sich mit allen Kräften bemühen, die Ukraine zum Schauplatz eines zweiten Dreißigjährigen Krieges zu machen (der so lange dauerte, weil er als Bürgerkrieg begann, zum Stellvertreterkrieg wurde und als Krieg aller europäischen Mächte endete), verträgt sich ausgesprochen schlecht mit "humanitären Gründen", aber ebenso wenig mit den realen Kräfteverhältnissen auf den ukrainischen Schlachtfeldern. Sich einen Sieg in einer Talkshow zu erschleichen, indem man einen kompromissbereiten Gegner (Maischberger: "Sie sagen gerade, die Ukraine hat den Krieg begonnen?", Chrupalla: "Nein, das habe ich nicht gesagt.") nach allen Regeln der Unredlichkeit ausmanövriert, sorgt nicht dafür, in der harten materiellen Realität auch nur annähernd die gleichen Chancen zu haben.

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