von Rüdiger Rauls
Schuld am Krieg sind immer die anderen, denn niemand will Krieg, und dennoch ist er allgegenwärtig. Es ist ein beliebter Ansatz, die Rüstungsindustrie als Triebfeder hinter den Kriegen zu sehen. Das entspricht aber nicht den Gegebenheiten. Zwar sind die Waffenschmieden unbestritten jener Wirtschaftszweig, der am meisten am Krieg verdient, aber sie machen nur einen geringen Prozentsatz der Wirtschaftsleistung der Industriestaaten aus. In Deutschland betrugen die Ausgaben für das Militär insgesamt in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt etwa 1,2 Prozent des Staatshaushalts.
Die Wirtschaft will keinen Krieg
Diese Gelder kamen aber nicht nur der inländischen Rüstungsindustrie zugute. Ein großer Teil davon wurde für ausländische Waffensysteme ausgegeben. Das bedeutet, dass die deutsche Rüstungsindustrie sich die deutschen Verteidigungsausgaben mit ausländischen Konkurrenten teilen muss. Hinzu kommt, dass Rüstungsgüter bei den meisten Waffenherstellern nicht das Kerngeschäft ausmachen. Beim Flugzeughersteller Airbus macht der Anteil der Rüstung nur etwa 20 Prozent am Gesamtumsatz aus, und selbst der Leopard-Bauer Rheinmetall macht einen nicht unwesentlichen Teil seines Umsatzes mit der Herstellung ziviler Produkte, zum Beispiel mit Wärmepumpen.
Der überwiegende Teil der Wirtschaft hat vom Krieg wenige Vorteile. Er ist teuer, und Verlauf wie auch Ergebnis sind nicht abzuschätzen. Denn Krieg führt nicht immer zum Sieg, er kann auch in der Niederlage enden. Das weiß man in der Wirtschaft, besonders in der deutschen, die zwar an zwei Weltkriegen gut verdient hatte, danach aber durch die Zerstörung der eigenen Industrieanlagen und Auflagen der Siegermächte zurückgeworfen worden war.
Der überwiegende Teil der deutschen Industrieprodukte nach 1945 dienten und dienen der Zivilwirtschaft, nicht dem Krieg. Damit wird Gewinn gemacht. Rüstung ist für die meisten Unternehmen ein Randgeschäft, das man aber gerne mitnimmt, wenn daraus Gewinne zu erzielen sind. Doch selbst heute, in Zeiten der Konfrontation mit Russland und den zunehmenden Spannungen mit China, steht die deutsche wie auch die europäische Wirtschaft dieser Entwicklung nicht erfreut gegenüber. Märkte brechen weg, gewaltige Umsätze gehen verlogen.
Abgesehen von der Rüstungsindustrie hat die Wirtschaft insgesamt mehr Interesse am Frieden als am Krieg. Friedenszeiten sind die Zeiten für Investitionen, Handel und Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit, nicht die Kriegszeiten. Deshalb warten die meisten Unternehmen auf das Ende eines Krieges, ehe sie beginnen zu investieren. Bis auf Rheinmetall gilt das auch für den Ukraine-Krieg.
Worte als Waffen
Medienkonzerne haben größeren Einfluss auf Krieg oder Frieden als Waffenhersteller. Es ist die feindselige Haltung von Meinungsmachern in Politik, Medien und Kultur, die Unfrieden stiftet und Zwietracht sät. Sie vergiften nicht nur das Verhältnis gegenüber anderen Staaten sondern auch unter den gesellschaftlichen Gruppen im eigenen Land.
Sie machen Stimmungen, weil sie als Medien an den Ängsten der Menschen verdienen, die sie selbst verbreiten. Sie schaffen Feindbilder, weil sie als Politiker den Menschen einreden, sie vor diesen Feinden zu beschützen. Sie entwerfen Theorien, Weltbilder und Elitedenken, weil sie sich als Wissenschaftler und Kulturschaffende anderen intellektuell und moralisch überlegen fühlen.
Der Ukraine-Krieg wäre vermeidbar gewesen, wenn der Westen die Sicherheitsinteressen Russlands ebenso respektiert hätte, wie er es für die eigenen erwartet. Besonders das westliche Vormachtstreben und seine Uneinsichtigkeit gegenüber den Interessen anderer Völker und Staaten waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Ursache der meisten Kriege gewesen. Diese hätten größtenteils verhindert werden können, hätte auf westlicher Seite mehr Bereitschaft zum ehrlichem Dialog bestanden und weniger Feindseligkeit.
Vorstellungen und Möglichkeiten
Die Vorstellungen vom Frieden sind bei allen Beteiligten unterschiedlich. Für Russland geht es darum, dass von ukrainischem Gebiet keine Gefahr mehr für die eigene Sicherheit ausgeht. Deshalb will es vornehmlich die Entmilitarisierung der Ukraine erreichen. Sie darf kein Aufmarschgebiet für die NATO werden. Zudem fordert Russland die Anerkennung der neuen politischen Realitäten im Donbass und auf der Krim, weil die Bevölkerung sich dafür ausgesprochen hat.
Aus der Sicht der Ukraine bedeutet Frieden, wenn der territoriale Zustand von 1991 wiederhergestellt ist und die russische Armee all diese Gebiete geräumt hat. Ihr ist aber auch klar, dass sie diese Ziele ohne Unterstützung des Westens nicht erreichbar sind. Sie weiß um ihre Abhängigkeit von westlichen Waffenlieferungen, weil sie – anderes als Russland – über keine wesentliche Waffenproduktion verfügt. Unter diesen Bedingungen steigen ihre Forderungen gegenüber dem Westen, was Art und Umfang der Waffenlieferungen angeht.
Im Westen ist die Lage uneinheitlicher. Starke Kräfte in der Politik und besonders den Medien wollen eine Niederlage Russlands, von der es sich nie wieder erholen soll. Auch große Teile der westlichen Bevölkerung fühlen sich von Russland bedroht. Für sie alle ist der Frieden wiederhergestellt, wenn Russland die Ukraine verlässt – entweder aufgrund wirtschaftlicher und militärischer Erschöpfung, am besten aber aufgrund eines Regime-Changes in Russland. Aus deren Sicht ist es folgerichtig zu glauben, durch umfangreichere Waffenlieferungen dem Frieden näher zu kommen.
Jedoch ist fraglich, ob es diesen Kräften wirklich um das Schicksal der Ukrainer geht. Bei ihnen handelt es sich viel eher um von Ideologie oder Feindseligkeit Getriebene. Ihnen geht es weniger um den Sieg der Ukraine als vielmehr um die Niederlage und den Untergang Russlands. Sie sind unerbittlich feindselig oder im Falle der Grünen selbstgerecht.
Deshalb gibt es für sie auch kein Zurück, kein Einlenken und keine Verhandlungen. Auf dem Rücken der Ukrainer lassen sie bis zum bitteren Ende kämpfen. Und weil sie schon so viel in den Sieg investiert haben, wird weiter geliefert, was die Arsenale hergeben. Denn nichts wäre unerträglicher für sie als die Vorstellung, dass die Ukraine kurz vor dem Untergang Russlands kapitulieren könnte.
Für diese Kräfte im Westen endet der Krieg erst, wenn keine Waffen mehr geschickt werden können oder die Ukraine aufgrund personeller Erschöpfung beziehungsweise der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung zusammenbricht. Die ukrainische Führung wird so lange weiterkämpfen, wie der Westen mitspielt. Denn sie verfolgt ihre Interessen, die sie als die Interessen des Landes und der Bevölkerung ansieht.
Werteorientiert
Die Stimmen, die eine Verhandlungslösung zwischen Russland und der Ukraine fordern, haben wenig Gewicht. Die Bewegung, die Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer angestoßen haben, hat das gesellschaftliche Potenzial, das vorhanden war, nicht zu nutzen gewusst. Ihren großen Ankündigungen auf der Demonstration Ende Februar in Berlin ließen sie keine Taten folgen.
Das liegt nicht zuletzt an der Widersprüchlichkeit der eigenen Argumentation und ihrem werteorientierten Ansatz. Sie wollen das Töten auf beiden Seiten beenden, was ehrenhaft ist. Aber auf die Mächtigen dieser Welt macht das wenig Eindruck. Die deutsche Friedensbewegung überlässt diesen allein die Initiative, eigenständige Handlungsmöglichkeiten entwickelt sie nicht.
In ihrem "Manifest für den Frieden" argumentieren sie ähnlich wie die Kriegsbefürworter im Westen. Sie beschuldigen Russland des Angriffskriegs und sprechen davon, dass "Frauen vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert wurde". Deshalb fordern sie: "Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität." Man will den Eindruck vermeiden, auf Russlands Seite zu stehen.
Dem Großteil der deutschen Bevölkerung ist der Krieg egal, solange er nicht auf Deutschland übergreift und nicht zu einem Atom- oder Dritten Weltkrieg führt. Und solange die USA keine weitreichenden Waffen schicken, dürfte diese Gefahr begrenzt sein. Die Bevölkerung ist nicht für den Krieg, weiß aber besser als die Werteorientierten um Wagenknecht, dass Friedensappelle an der Situation nichts ändern werden. Außerdem: Wenn Russland der Angreifer ist, wieso sollte man sich dann als deutscher Bürger für Verhandlungen einsetzen? Die meisten ahnen, dass sie sich damit in Gefahr bringen, im eigenen Umfeld als "Putinversteher" gebrandmarkt zu werden oder gar ins Visier der Justiz zu gelangen. Das ist es ihnen nicht wert.
Interessenorientierung
Der größte Teil der Bevölkerung denkt nicht werteorientiert, für ihn stehen die eigenen Interessen im Vordergrund. Wer diesen Teil der Bevölkerung erreichen will, muss die wirtschaftlichen Folgen des Krieges hervorheben. Ohne die aktive Unterstützung eines bedeutenden Teils der Menschen wird die deutsche Regierung nicht zum Umdenken gezwungen. Das gelingt aber nicht, wenn man die Bevölkerung in einer Frage, die die eigenen Interessen nicht berührt, in Konflikt mit der Regierungsmacht bringt.
Das Interesse der kleinen Leute im heutigen Konflikt lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: "Keinen Euro für den Krieg!" Wir brauchen das Geld zur Linderung der Not im eigenen Land, zur Unterstützung der Menschen gegen die immer unerträglicheren Preissteigungen von Lebensmitteln und Energie. Zur Unterstützung der Tafeln. Zur Förderung des Wohnungsbaus. Zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, wo mittlerweile sogar Medikamente knapp werden. Überall herrscht Mangel. Nur für den Krieg scheint Geld im Überfluss vorhanden.
Schwarzer und Wagenknecht sind abgetaucht. Sie haben kein politisches Konzept. Ihre Werteorientierung hat sie in eine Sackgasse geführt. Dabei haben sie die Schlüssel in der Hand. Ihre Petition hat 800.000 Unterstützer. Das sind nicht nur Unterschriften. Das sind auch Kontakte. Diese Kontakte haben sie bisher nicht genutzt. Sie böten die Möglichkeit, lokale Unterstützergruppen ins Leben zu rufen, die vor Ort für Bewegung sorgen könnten.
Vor allem besteht auf diesem Wege die Möglichkeit, Veranstaltungen zu organisieren und den Protest auf die Straße zu bringen, vielleicht zuerst nur lokal, perspektivisch aber regional und bundesweit. Aber es muss klar sein, dass es dabei nicht um allgemeine Friedensappelle geht, sondern um den Protest der Menschen gegen die steigenden Preise und die Bedrohung ihrer Lebensgrundlagen. Über den Frieden in der Ukraine wird nicht bei uns entschieden, aber darüber ob unsere Steuergelder zur Linderung von Not oder zur Finanzierung des Krieges eingesetzt werden.
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