Von Petr Lawrenin
Beim militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine geht es nicht nur um das Aufeinandertreffen bewaffneter Kräfte auf dem Schlachtfeld. Der Konflikt ist auch durch beispiellose Konfrontationen in den Bereichen der Information und Psychologie, der Kognition und der Semantik gekennzeichnet.
Kiew hat an der Informationsfront wohl mehr Erfolge erzielt als auf dem Schlachtfeld. Dort sind die "Kämpfer" nicht nur Journalisten und Spezialisten für Information und psychologische Kriegsführung, sondern auch Content-Ersteller und Experten für PR. Die Beeinflussung der Psyche, Denkweise und der Emotionen der einfachen Leute, ist zu einer großen und wichtigen Angelegenheit geworden, da die Gestaltung der öffentlichen Meinung im Westen, für das Regime von Präsident Wladimir Selenskij von entscheidender Bedeutung ist.
Die Sinnbilder des Krieges
Jeder, der sich mit Werbung und PR auskennt, weiß, dass die Verbindung eines Produkts oder einer Idee mit einem einprägsamen Sinnbild oder einem eingängigen Slogan, die Popularität des Produkts oder der Idee steigern wird, insbesondere in Zeiten von allgemein kurzer Aufmerksamkeitsspanne. In Kriegszeiten funktioniert diese Strategie im Bereich der Medien und Nachrichten ebenso gut wie in der Werbung oder bei politischen Wahlkämpfen. Im Laufe des aktuellen Konflikts ist die Ukraine sehr virtuos darin geworden, solche Sinnbilder zu kreieren und zu bewirtschaften. Die Medien greifen jedes dieser Sinnbilder jeweils umgehend dankbar auf und nutzen sie, um damit die Denk- und Sichtweise der einfachen Ukrainer zu beeinflussen.
Ein aktuelles Beispiel: Im vergangenen Mai, während der sehr schwierigen Situation für die Streitkräfte der Ukraine (AFU) in Artjomowsk (Bachmut), äußerten mehrere Analysten – insbesondere der ehemalige Berater von Selenskij, Alexei Arestowitsch –, dass die ukrainische Armee sich wohl bald aus diesem Gebiet zurückziehen müsse, was sie schließlich auch tat. Die ukrainische Öffentlichkeit war jedoch überhaupt nicht besorgt darüber und hatte weiterhin volles Vertrauen in die Fähigkeit der AFU, die Kontrolle über die Stadt zu behalten.
Tatsächlich wurde die öffentliche Haltung gegenüber dieser Schlacht weitgehend von den Medien und der Populärkultur geprägt. Beispielsweise veröffentlichte die Rockband "Antytila" (Antikörper) Anfang des Jahres ein Musikvideo mit dem Titel "Bakhmut Fortress" (Festung Bachmut). Einige Monate später ging dieses Video im Netz viral. Seitdem haben viele Ukrainer unzählige selbst produzierte Adaptionen dieses Videos in sozialen Netzwerken gepostet und damit den Mythos der uneinnehmbaren Festung Bachmut verstärkt.
Solche Sinnbilder entstehen nicht nur während laufender Schlachten, sondern auch nach offensichtlichen Misserfolgen der UAF. Beispielsweise gab das Salz-Unternehmen Artjomsol Ende Februar bekannt, dass vor Beginn der aktiven Kämpfe um Soledar – die im Januar mit dem Sieg der russischen Armee endeten – 20 Tonnen Salz aus den Salzminen gefördert wurden. Dieses Salz wurde in 100.000 Pakete verpackt, die mit der Aufschrift "Ukrainische felsenfeste Stärke" versehen waren. Jedes Paket wurde für 500 Griwna – rund 13 EUR – verkauft. Nach Angaben der Organisatoren dieser Aktion wurde der Großteil der Einnahmen aus diesen Verkäufen für Kamikaze-Drohnen für die AFU ausgegeben.
Symbolische Aktionen wie diese finden regelmäßig überall in der Ukraine statt und sie sollen die Moral der Bevölkerung heben. Im November vergangenen Jahres, als russische Truppen vom Westufer der Region Cherson abzogen und die AFU in die gleichnamige Regionalhauptstadt einmarschierte, forderte eine landesweite Social-Media-Kampagne die Nutzer verschiedener Plattformen auf, ihre Profilbilder durch Bilder von Wassermelonen zu ersetzen, die in dieser Region kultiviert werden.
Cherson war während seiner Geschichte für viele Dinge bekannt – beispielsweise für den Schiffbau zu Zeiten des Russischen Reiches und der UdSSR. Aus irgendeinem Grund entschied sich die ukrainische Propaganda jedoch, die Region ausschließlich mit Wassermelonen in Verbindung zu bringen, und diese Bildsprache wurde von der ukrainischen Gesellschaft sehr gut aufgenommen. In einem Zustand der Siegeseuphorie vergaßen die Menschen die regelmäßigen Stromausfälle und die weiterhin andauernden Kämpfe in der Region.
Der Spürhund Patron (ukrainisch für Patrone) wurde zu einem weiteren namhaften ukrainischen Sinnbild. Er half den Pionieren in Tschernigow, die umliegenden Gebiete von Minen zu räumen. Zusätzlich zur Medienpräsenz wurde Patron sogar ein Treffen mit Selenskij gewährt. Auf Plakaten mit dem Abbild des Hundes, wurde der Bevölkerung erklärt, wie man sich verhalten soll, wenn man einen explosiven Gegenstand findet. Diese Plakate kann man nach wie vor in Kiew und in anderen Städten sehen. Sogar eine Spielzeugversion von Patron tauchte in den Regalen von Kaufhäusern auf, zusammen mit kleinen Modellen des sowjetischen Großraumflugzeugs Antonow An-225 Mriya, der türkischen Drohne Bayraktar und des amerikanischen M142 HIMARS Mehrfachraketenwerfers.
Von Ukrposhta, dem staatlichen Postdienst der Ukraine, werden regelmäßig Briefmarken herausgegeben, die zu einem weiteren Träger von Sinnbildern geworden sind. Während Selenskij öffentlich behauptete, die Ukraine sei nicht an dem Drohnenangriff auf den Kreml im vergangenen Monat beteiligt gewesen, beschloss Ukrposhta, eine Briefmarke herauszugeben, auf dem genau dieser Angriff künstlerisch dargestellt ist. Der Chef von Ukrposhta, Igor Smelyanskij, bemerkte dazu, dass neue Briefmarken oft Vorboten "positiver Ereignisse" seien.
Nach mehr als einem Jahr der Feindseligkeiten wurde Kiews Einsatz von Sinnbildern und Internet-Memes, zur Hebung oder Stützung der Moral und zur Aufrechterhaltung des Narratives, in überraschendem Maße professionalisiert.
Das Google-Ranking der Top-Suchanfragen in der Ukraine für das Jahr 2022 ist ein weiterer Beleg dafür. Beispielsweise googelten die Ukrainer in der Kategorie "Personen" am häufigsten Alexei Arestowitsch und zeigten großes Interesse am sogenannten "Geist von Kiew", eine Legende über einen angeblichen heldenhaften Kampfpiloten. Schließlich räumte das Wall Street Journal ein, dass es sich beim "Geist von Kiew" um Kriegspropaganda handelte, mit der die Moral in der Bevölkerung angehoben werden sollte.
In der Google-Kategorie "Produkt des Jahres" gehörte die Briefmarke "Russisches Boot" zu den beliebtesten Suchanfragen. Dabei handelte es sich um eine Briefmarke, die zu Ehren der Grenzschutzbeamten auf der Schlangeninsel herausgegeben wurde, die der Legende nach, die Aufforderung einer russischen Schiffsbesatzung, sich zu ergeben, in derber Sprache beantworteten ("Russisches Boot, geh fick Dich") und bis zum Tod um die Insel kämpften. Diesen Soldaten wurde "posthum" sogar die Auszeichnung "Held der Ukraine" verliehen. Später stellte sich heraus, dass sich alle freiwillig ergeben hatten und alle noch am Leben sind.
Der Siegeszug dieser Sinnbilder, Mythen und Memes, die selbst lange nach der Bestätigung als Fake News, im Netz weiterhin als wahr herumgereicht werden, ist ein Ergebnis der Informationsblase, in der sich die ukrainische Gesellschaft und ein Großteil des Westens befinden. In den vergangenen anderthalb Jahren seit der Schließung oppositioneller Medien in der Ukraine sind staatlich kontrollierte Medien oft die einzige Informationsquelle für die Ukrainer.
Die unsichtbare Front
"Heutzutage ist der Informationskrieg die Kernstruktur jedes Krieges. Es ist sehr wichtig, Einfluss auf eine Gesellschaft zu haben, die sich in einem Krieg befindet. Darüber hinaus ist es wichtig, die Weltgemeinschaft von der Richtigkeit unseres Handelns zu überzeugen, um weitere Unterstützung zu erhalten. An diesem Informationskrieg können nicht nur autorisierte Personen teilnehmen, sondern auch normale Bürger, die nach eigenem Ermessen handeln",
sagte die stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, Anna Maliar, im vergangenen Februar.
Informationelle und psychologische Operationen (IPsO) dienen der Gehirnwäsche von Menschen und der Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung und gehören zu Kiews wichtigsten Strategien im Konflikt mit Russland. Diese Operationen zielen in erster Linie darauf ab, die vorderen und die hinteren Reihen des Feindes zu demoralisieren und zu desorganisieren und eine hoffnungslose, dem Untergang geweihte Atmosphäre zu schaffen. Normalerweise besteht die Hauptaufgabe der IPsO darin, die militärische und politische Führung des Gegners zu diskreditieren und dessen Niederlagen und Misserfolge hervorzuheben.
Im Dezember 2019 wurde in der Ukraine ein Netzwerk von IPsO-Zentren mit Zugang zu nationalen und internationalen Massenmedien und Ressourcen im Internet eingerichtet. In der AFU fallen Informations- und psychologische Operationen in die Zuständigkeit der Kräfte für Spezialoperationen. Das bedeutet, dass ihre Arbeit und ihr Personal streng geheim bleiben. Allerdings kamen kürzlich einige Informationen ans Tageslicht.
Auf staatlicher Ebene erfolgt die Koordinierung und allgemeine Verwaltung der Informationsoperationen und der Cybersicherheit durch den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine (NSDC). Das Nationale Koordinierungszentrum für Cybersicherheit der Ukraine wurde im Juni 2016 als Arbeitsorgan des NSDC gegründet. Der Gruppe gehören die Leiter von zehn Regierungsabteilungen an, darunter der Sicherheitsdienst der Ukraine, das Verteidigungsministerium der Ukraine und die Hauptdirektion für Nachrichtendienste.
Cyberoperationen und Informationskampagnen werden direkt von den speziellen IPsO-Zentren durchgeführt, die Teil der Kräfte für Spezialoperationen der AFU sind. Derzeit gibt es vier solcher Zentren: das 16. Zentrum mit der Militäreinheit A1182 in Guiva im Gebiet Schytomyr, das 72. Zentrum mit der Militäreinheit A4398 in Browary im Gebiet Kiew, das 74. Zentrum mit der Militäreinheit A1277 in Lemberg und das 83. Zentrum mit der Militäreinheit A2455 in Odessa.
Zusätzlich zur Spionageabwehr organisieren sie Propagandakampagnen im Internet und Fernsehen, erstellen und veröffentlichen Falschinformationen und koordinieren zusammen mit dem Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) die Aktivitäten von Hackern, freiwilligen Informationsaktivisten und anderen Ressourcen im Internet. Vor den derzeitigen Feindseligkeiten beschäftigten diese Zentren schätzungsweise 500 bis 550 Mitarbeiter, während einige Quellen behaupten, dass es über 1.000 waren.
Diese Einheiten operieren unabhängig und arbeiten mit ähnlichen Strukturen im Ausland zusammen. Ausländische Zentren und Informationsgruppen verschaffen ihnen Zugang zu großen kommerziellen Ressourcen. An diesem Prozess sind auch Aktivisten und Prominente beteiligt. "Seit dem 24. Februar 2022 sind wir alle zu Soldaten an der Informationsfront geworden", sagte Vadim Miskij, Programmdirektor von Detector Media.
Seit 2016 ist auch die Ukrainische Cyber-Allianz im Land tätig. Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaft von Cyberaktivisten aus verschiedenen ukrainischen Städten und aus dem Ausland. Diese Community führt Cyberangriffe durch und hackt Webseiten und E-Mails.
Im Februar 2020 wurde im Rahmen der laufenden Reform und der Umstrukturierung der AFU zur Anpassung an NATO-Standards das Sonderkommando der Kräfte für Kommunikations- und Cybersicherheit gebildet. Der Plan bestand darin, Einheiten zu schaffen, die mit den Cyberzentren der NATO identisch waren. Spezialisierte Zentren gibt es auch in anderen ukrainischen Staatsabteilungen, darunter dem Sicherheitsdienst der Ukraine und dem Innenministerium hin zum staatlichen Cyber-Schutzzentrum.
Im Rahmen der Integration der Ukraine in die NATO-Strukturen sind Ausbilder von Spezialeinheiten aus den USA und anderen westlichen Ländern an der Ausbildung des Personals des IPsO-Zentrums beteiligt. Dabei handelt es sich insbesondere um Spezialisten der 4. Gruppe für psychologische Operationen der US-Armee – früher 4. Gruppe für militärische Informationsunterstützung genannt – und der 77. Brigade des Vereinigten Königreichs, einer Spezialeinheit für Informations-, psychologische und Cyberoperationen der britischen Streitkräfte. Auch auf US-Militärstützpunkten werden IPsO-Spezialisten regelmäßig geschult.
Desinformation und Propaganda
Zusätzlich zu den offiziellen Medien verlassen sich die Informations- und Psychologischen Operationszentren der Ukraine auf mehrere Tausend Ressourcen im Internet, darunter Informations- und Nachrichtenseiten, soziale Netzwerke und koordinierte Social-Media-Gruppen.
Schon vor Beginn der russischen Militärkampagne wurden bestimmte Internet-Informationsressourcen ukrainischer Freiwilliger von IPsO-Zentren beaufsichtigt. Dazu gehörten die Gemeinschaften von Freiwilligen wie InformNapalm, Mirotworez, Information Resistance sowie kommerzielle Webseiten wie seebreeze.org.ua, petrimazepa.com, podvodka.info, metelyk.org, mfaua.org, burkonews.info, euromaidanpress.com, peopleproject.com und viele weitere, die alle für Informationskampagnen und bei der Anwendung von "Social Engineering"-Technologien eingesetzt werden. Insbesondere wurde festgestellt, dass IPsO-Mitarbeiter häufig unter dem Deckmantel von "Freiwilligkeit" und als Pseudo-Blogger agieren.
Ukrainischen Offizieren, Soldaten und Freiwilligen wird die Kunst der Informations- und psychologischen Operationen auf der Grundlage führender Weltstandards beigebracht. In einem Interview zitierte Alexei Arestowitsch aus einem US-Lehrbuch zur Informationskriegsführung. "Wissen Sie, wie Informationsoperationen und psychologischer Kampf funktionieren? Auf der ersten Seite dieses US-Lehrbuchs über Informationsoperationen und psychologische Kriegsführung, im ersten Kapitel, heißt es – ich zitiere: Die Hauptaufgabe von Informations- und psychologischen Operationen besteht darin, die Oberhand in der Agenda zu erlangen. Das war’s, danach können Sie sich einfach entspannen und nichts tun."
Die Ukraine nutzt verschiedene Werkzeuge – darunter Webseiten, soziale Netzwerke und Bots –, um Desinformation zu verbreiten. Im April enthüllten Hacker von der Gruppe RaHDit und andere Gruppen ukrainische Telegram-Kanäle, die vermutlich vom SBU kontrolliert werden und sich als prorussisch ausgeben. Bei der Untersuchung wurde ein ganzes Netzwerk solcher Kanäle mit einem Publikum von fünf bis sechs Millionen Menschen aufgedeckt. Die Liste umfasst die Kanäle Operation Z, Novorossiya 2.0 und viele andere.
Die Hacker stellten zudem fest, dass die meisten dieser Kanäle vor ihrer Übernahme völlig andere Inhalte hatten. Auch führen sie regelmäßig Spendenaktionen durch, angeblich für die Bedürfnisse der russischen Streitkräfte. Die meisten Administratoren dieser Kanäle sind ukrainische Staatsbürger und einer der Hauptakteure ist ein gewisser Luka Iltschuk, der für viele dieser Fake-Kanäle verantwortlich ist.
Wie aber funktionierten diese Kanäle? Ganz einfach: Die pseudo-patriotischen Kanäle veröffentlichten gewöhnliche prorussische Nachrichtenbeiträge, werden gezielt beworben, um ein größeres, prorussisches Publikum zu erreichen. Anschließend beginnen dann die Ukrainer ihre eigenen Narrative zwischen die Beiträge zu werfen. Es gab zum Beispiel einen Bericht über eine Untersuchung gegen Kämpfer der PMC Wagner, die angeblich in Artjomowsk (Bachmut) eine große Zahl von Zivilisten erschossen haben sollen. Mit anderen Worten: Diese Kanäle sollen Panik säen, Empörung hervorrufen und Desinformation verbreiten.
Der Experte für psychologische Kriegsführung, Paul Linebarger, glaubt, dass ein Krieg immer lange vor Beginn eines Kampfes beginnt und noch einige Zeit nach dem Ende der Kämpfe andauern wird. Im Gegensatz zur traditionellen Kriegsführung, bei der der Kampf zwischen zwei Armeen ausgetragen wird, wird die psychologische Kriegsführung gegen Millionen von Zivilisten geführt, die kaum in der Lage sind, sich zu wehren.
Der Informationskrieg ist heute tatsächlich einer der Hauptfaktoren, die den Gesamtkonflikt und die Lage an der Front beeinflussen. Moderne Schlachten werden nicht nur mit Waffen, sondern auch mit öffentlicher Unterstützung gewonnen. Kiew versteht das gut. Schließlich hängt viel davon ab, wie dieser Konflikt innerhalb und außerhalb der Ukraine wahrgenommen wird.
Aus dem Englischen
Petr Lawrenin ist Polit-Journalist und Experte für die Ukraine und die ehemalige Sowjetunion.
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