Von Anton Gentzen
Aktuell ist der Fall einer russischen An-124, die seit Februar 2022 in Kanada festgehalten wird, in aller Munde. Die Maschine wurde nun vom kanadischen Regierungschef Trudeau persönlich in einem Akt, der stark an Luftpiraterie erinnert, der Ukraine "geschenkt".
Dass Deutschland in ähnlicher Weise Luftpiraterie betreibt und am Leipziger Flughafen seit 15 Monaten gleich drei der riesigen Transportflugzeuge eines russischen Unternehmens festhält, ist der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben. Es ist Zeit, auch daran zu erinnern, denn es ist zugleich eine lehrreiche Geschichte darüber, wie Deutschlands Dank für Millioneninvestitionen in deutsche Arbeitsplätze aussieht. Lehrreich für jeden, der noch erwägt, jemals wieder in Deutschland zu investieren.
Wer sich aus Richtung Berlin oder Magdeburg über die Autobahn A14 der sächsischen Großstadt Leipzig nähert, dem bietet sich in Höhe des Schkeuditzer Flughafens derzeit ein surreales Bild. Drei Frachtriesen des weltberühmten Typs An-124 stehen hier seit Monaten bewegungslos vor der extra für sie erbauten Flugzeugwerft. Das Bild markiert zugleich das Ende eines einst hoffnungsvollen Investments, das für Hunderte von Arbeitsplätzen in der Region sorgte und Leipzig zum weltweiten Drehkreuz für Militär- und Spezialfracht machen sollte.
Es begann im Jahr 2004. Die NATO stand durch ihre Einsätze in Afghanistan, dem Irak und an zahlreichen anderen Orten weltweit vor großen logistischen Herausforderungen: Truppen und Ausrüstung, Nachschub und Versorgung konnten insbesondere für die am Hindukusch eingesetzten Verbände nur auf dem Luftweg transportiert werden. Die eigenen Kapazitäten reichten nicht für eine stabile Luftbrücke, zudem fehlte ein Frachtflugzeug großer Kapazität.
Die Auslieferung und Indienststellung des Airbus A400M, die als Ersatz für kleinere Transportflugzeuge und zur Linderung der Engpässe im militärstrategischen Transport geplant wurde, war erst für die Jahre ab 2010 vorgesehen und verzögerte sich später noch weiter. Die maximale Nutzlast der A400M beträgt zudem nur 37 t insgesamt oder 31,5 t für Einzellasten. Die A400M war und ist also nicht in der Lage, übergroße oder überschwere Ladungen zu befördern.
In dieser prekären Lage richteten die NATO-Planer ihren Blick auf den großen östlichen Nachbarn. Die Sowjetunion hatte bereits Anfang der 1980er Jahre ein Transportflugzeug in Dienst gestellt, das alles leisten konnte, was die NATO jetzt brauchte. Die Rede ist von der Antonow An-124, die je nach Variante das drei- bis vierfache an Nutzlast aufnehmen kann, für die die A400M überhaupt konzipiert ist: 120 Tonnen in der zivilen und 150 Tonnen in der militärischen Konfiguration.
Der Frachtraum misst 36,50m x 6,40m x 4,40m mit 1.000 m³ Ladevolumen. Mit voller Nutzlast hat die An-124-100 eine Reichweite von 4.650km. Der Transporter ist für verschiedenste Einsatzfälle und für den Betrieb unter schwierigsten klimatischen und infrastrukturellen Bedingungen ausgelegt. Seine Nasen- und Heckklappe einschließlich der flugzeugeigenen Laderampen, zwei Elektrowinden und vier Bordkräne ermöglichen und vereinfachen eine autarke Be- und Entladung von großen und schweren Frachtstücken.
Der Eigentümer mit der zweitgrößten Anzahl von An-124-Maschinen (gleich nach den russischen Luftstreitkräften) war zum damaligen Zeitpunkt das private russische Unternehmen Volga-Dnjepr Airlines. Es übernahm ab 2004 die Beförderung von Luftfracht im Auftrag der NATO. 2006 wurde die Partnerschaft auf eine feste Grundlage gestellt: ein russisch-ukrainisches Gemeinschaftsunternehmen von Volga-Dnjepr einerseits und dem Antonow-Werk in Kiew andererseits wurde extra für die NATO-Logistik gegründet: Ruslan SALIS, eine GmbH nach deutschem Recht.
"SALIS" steht dabei für "Strategic Airlift International Solution", die Bezeichnung des NATO-Programms zur Anmietung von Kapazitäten für strategischen Lufttransport bei zivilen Partnern. Die Ruslan SALIS GmbH war bis 2018 der größte, wenn nicht gar der einzige zivile Partner der NATO in diesem Kontext. Das neue Unternehmen nahm seinen Sitz in Leipzig, und der nahegelegene Flughafen Halle-Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Schkeuditz entwickelte sich zu einem Drehkreuz für NATO-Lufttransporte.
Die Flugzeuge leaste das neue Unternehmen bei der Muttergesellschaft, die auch heute Eigentümerin der in Kanada und Leipzig festgesetzten Maschinen ist.
Zunehmend spielte aber auch zivile Fracht eine bedeutende Rolle: ob Elefanten für europäische Zoos oder Turbinen für Kraftwerke in Lateinamerika, für die An-124 gab es keine unlösbare Aufgabe. Bis 2016 hatte das Unternehmen bei mehr als 4.430 Flügen über 243.000 Tonnen Fracht zu 180 Flughäfen in 70 Ländern auf allen Kontinenten transportiert.
Leipzig wurde zu einem so bedeutenden Drehkreuz, dass die Muttergesellschaft beschloss, weiter in den Standort zu investieren. 2012 wurde in Zusammenarbeit mit dem Flughafen Leipzig-Halle ein Hangar für die Flugzeugwartung gebaut, allein dafür wurden rund 20 Millionen Euro investiert. Für die Durchführung der Wartung und von Reparaturen wurde eine weitere Gesellschaft, die Volga-Dnjepr Technics GmbH, gegründet, die 250 Arbeitskräften aus der Region gut bezahlte Arbeitsplätze bot. Repariert und gewartet werden können in der Halle Flugzeuge aller Hersteller.
Erste Risse in der Erfolgsgeschichte zeichneten sich nach dem Sieg des nationalistischen Putsches, "Euromaidan" genannt, in Kiew ab. Das gemeinsame Unternehmen spaltete sich 2016, die NATO-Aufträge gingen zunehmend auf die ukrainische Gesellschaft über, die Russen konzentrierten sich auf das zivile Frachtgeschäft und gründeten 2019 sogar eine weitere Gesellschaft, die CargoLogic Germany GmbH, für die Beförderung von Fracht mit Boeing-Maschinen.
Das jähe Ende kam dann mit dem Flugverbot, das Deutschland im Februar 2022 für russische Flugzeuge aussprach. Inzwischen ist der Betrieb eingestellt, die Tochtergesellschaften befinden sich in Liquidation. Auch die Wartungshalle wurde stillgelegt, die dort Beschäftigten wurden dieses Jahr entlassen.
Millioneninvestitionen sind in den Sand gesetzt, lukrative Jobs ebenso weg wie Millionenumsätze für die sächsische Flughafengesellschaft.
Drei An-124 der Volga-Dnjepr-Gruppe waren zum Zeitpunkt der Verhängung des Flugverbots zu Wartungsarbeiten auf dem Flughafen Leipzig/Halle und dürfen seitdem nicht wieder abheben. Dass der russische Eigentümer nicht einmal die ihm gehörenden Flugzeuge ausfliegen darf, grenzt an Luftpiraterie.
Deutschland entpuppt sich damit als als ein schnöder krimineller Flugzeugdieb. Als Räuberin, von der sich Brecht in seiner "Kinderhymne" einst wünschte, dass Deutschland sie nie wieder sein wird. Der Fall der in Schkeuditz festsitzenden russischen Frachtmaschinen demonstriert dies besonders anschaulich - nicht nur dem Reisenden auf der A14.
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