Von Anton Gentzen
Ende Mai 2023 hat die deutsche Bundesregierung beschlossen, vier von fünf russischen Konsulaten in Deutschland zu schließen: Bonn, Hamburg, Leipzig und München. Verbleiben darf nur noch das Konsulat bei der Russischen Botschaft in Berlin.
Was meint die Bundesregierung, wem sie damit schadet? Putin? Der russischen Armee? Russischen Staatsangehörigen überhaupt?
Sicherlich wird es im russischen konsularischen Korps, das nun bis Jahresende Deutschland verlassen muss, Betroffenheiten geben, aber das Hauptopfer der neuen hirnlosen Eskalationsrunde in den deutsch-russischen Beziehungen sind Menschen, die in Deutschland seit Jahren, mitunter seit drei Jahrzehnten leben, hier arbeiten und Steuern zahlen. Zum großen Teil verfügen sie gar über die deutsche Staatsangehörigkeit: Russlanddeutsche, auch bekannt als Wolgadeutsche, Spätaussiedler, Deutschrussen.
Wer einmal eines der nun schließenden Konsulate besucht hat, wird sich über die langen Schlangen gewundert haben, die sich an manchen Tagen über mehrere Straßenzüge zogen (und mit Stand heute ziehen). Wollte man ein Visum für Russland beantragen, wurde man vorgelassen und war von der Schlange gar nicht betroffen. Denn die Menschen in diesen Schlangen, allesamt höheren Alters, standen hier aus ganz anderen Gründen an.
Seit etwa 2005 zahlt Russland seine Renten ‒ unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Pensionärs ‒ auch im Ausland aus. Jeder, der in der Sowjetunion und in Russland gearbeitet hat, ist anspruchsberechtigt, egal wo auf der Erdkugel er seinen Wohnsitz genommen hat und den Pass welches Staates er hatte oder hat. Es gibt nur eine Voraussetzung für den Rentenbezug: Einmal im Jahr muss sich der Rentner einem russischen Beamten vorstellen, als Nachweis dessen, dass er noch lebt. In Russland geht man zu diesem Zweck zu einer örtlichen Filiale des Pensionsfonds. Im Ausland haben die russischen Auslandsvertretungen diese Funktion übernommen und stellen jährlich nach persönlicher Vorsprache Lebensbescheinigungen aus, die der Rentner dann per Post an den Russischen Pensionsfonds verschickt, um die Rentenzahlungen ein weiteres Jahr zu erhalten.
Das ist das Geheimnis hinter den riesigen Schlangen vor russischen Konsulaten.
Russland hat damit übrigens vor allem dem deutschen Sozialstaat seit 2005 auf Kosten des russischen Steuerzahlers Milliarden und Abermilliarden an Sozialleistungen erspart. Rund vier Millionen Menschen mit Russlandbezug leben in Deutschland, zwischen einem Drittel und einem Viertel davon sind im (russischen) Pensionsalter. Die russischen Renten werden auf Sozialleistungen angerechnet: Auf das Arbeitslosengeld, auf Hartz IV, auf die Sozialhilfe und für viele Personengruppen (die wenigen Ausnahmen regelt das Fremdrentengesetz) auch auf die Altersrente. Auch wenn es pro Person zumeist zwischen 150 und 300 Euro monatlich waren und sind, die aus Russland nach Deutschland flossen, akkumuliert sich dies auf Summen von 30, 40, vielleicht 50 Milliarden Euro seit 2005, mit denen Russland Deutschland ohne Not und Verpflichtung, freiwillig subventioniert hat.
Der Betroffene selbst hat zumeist nichts außer Aufwand und Ärger von der russischen Rentenzahlung: Um genau den Betrag, den der russische Pensionsfonds dem Unglückseligen überweist, verringert sich die Zahlung des deutschen Sozialversicherungssystems an ihn. Um es ganz deutlich zu sagen: Die deutsch-russischen Rentner standen und stehen ausschließlich im Interesse des deutschen Sozialstaats und des deutschen Steuerzahlers Schlange vor den russischen Konsulaten. Und die Fahrtkosten zum Konsulat hat ihnen auch niemand jemals erstattet. Bei jemandem, der auf Hartz IV-Niveau lebt, fällt so eine Fahrt von beispielsweise Stuttgart in das für Stuttgart zuständige russische Konsulat in München und zurück schon ins Gewicht. Aber was verstehen die üppig dotierten Beamten im Auswärtigen Amt und die unverdient erfolgsverwöhnte Trampolinspringerin Baerbock davon?
Nun kann sich der Leser ausmalen, was für die hunderttausenden Betroffenen die Schließung der Konsulate ausmacht. Natürlich werden die "Ämter" auch weiterhin von denen, die auf das nunmehr "Bürgergeld" genannte Hartz IV oder andere Leistungen angewiesen sind, die Beantragung und den Bezug russischer Renten fordern, inklusive der "zumutbaren" Eigenbemühungen dafür. Und das bedeutet, dass im obigen Beispielsfall fortan eine jährliche Fahrt von Stuttgart nicht nach München, sondern ins ferne Berlin ansteht. Wie lang die Schlangen in der Behrenstraße bzw. Unter den Linden werden, kann man sich denken ‒ die Wartedauer dürfte sich verfünffachen.
Dass sich die deutschen Politiker und Beamten keinen Deut um die Interessen und Bedürfnisse der Spätaussiedler, der wohl fleißigsten Arbeiter und zuverlässigsten Steuerzahler unter den Migranten in Deutschland, scheren, habe ich inzwischen verstanden. Es ist nicht das erste Mal, dass der deutsche Staat deutlich zeigt, dass er uns für Luft und Dreck hält.
Nur eins verstehe ich bei alldem nicht: Wann platzt den Russlanddeutschen endlich der Kragen?
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