"Putin blufft nur" – Westliche Politiker sehen in Weltkriegsgefahr nur ein Glücksspiel

Dass Russland im Stellvertreterkrieg in der Ukraine bislang noch keine Atomwaffen eingesetzt hat, wird vom Westen als Schwäche angesehen. Bisherige Drohungen seien nur Bluff gewesen, lautet die vorherrschende Meinung in der Biden-Administration. Ein beispiellos gefährliches Glücksspiel.

Von Wladislaw Sankin

Trotz vielfacher Warnungen aus Russland, dass die militärische Unterstützung der Ukraine einen Weltkrieg auslösen könnte, lässt sich US-Präsident Joe Biden nicht von seinen Plänen abbringen. Dies berichtet der Focus am Freitag mit Verweis auf einen Artikel der Washingtoin Post. Anfang Mai schnürten die USA ein weiteres Hilfspaket in Milliardenhöhe. Der Wert der US-amerikanischen Militärhilfe seit dem Beginn der russischen Militäroperation beläuft sich laut Angaben aus dem Pentagon bereits auf über 30 Milliarden Dollar. Zudem wollen die USA die Ausbildung ukrainischer Piloten an Kampfflugzeugen künftig stärker unterstützen.

Der Grund für Bidens Vorgehen gegen Russland liegt nach Informationen der Washington Post darin, dass der russische Präsident Wladimir Putin seinen Drohungen keine Taten folgen lasse. Diese Einschätzung habe Außenminister Antony Blinken dazu veranlasst, auf eine weitere und stärkere Unterstützung zu drängen. 

Einer Quelle aus dem Außenministerium zufolge habe Russlands Zurückhaltung bei Vergeltungsmaßnahmen das Risikokalkül von Außenminister Antony Blinken beeinflusst. Als wichtiger Vertrauter von US-Präsident Joe Biden habe er die Regierung und die Verbündeten der USA dazu ermutigt, die Ukraine stärker zu unterstützen.

Eine ähnliche Position wie Blinken nimmt auch der Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, ein. Er ist der Ansicht, dass die Vorteile einer Lieferung tödlicherer Waffen an die Ukraine die Risiken einer Eskalation überwiegen. Mit den europäischen Verbündeten habe er intensiv an der Bereitstellung von F-16 für die Ukraine gearbeitet, so ein Beamter des Weißen Hauses. 

Zu den engsten Verbündeten der USA zählt vor allem Deutschland, das nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines am 26. September 2022 auf eine verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine setzte und nun direkt an der Ausbildung ukrainischer Soldaten an modernen westlichen Waffensystemen beteiligt ist. 

Wladimir Putin sowie führende russische Sicherheitspolitiker haben mehrfach und in teils drastischen Tönen den Westen vor einer militärischen Einmischung in den Konflikt gewarnt.

"Wenn die territoriale Integrität Russlands bedroht wird, werden wir für den Schutz unseres Landes und unseres Volkes zweifellos alle uns zur Verfügung stehenden Mitteln nutzen. Das ist kein Bluff", erklärte Putin am 21. September 2022. 

Dmitri Medwedew, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, äußerte sich im Januar noch deutlicher. "Die Niederlage einer Atommacht in einem konventionellen Krieg kann einen Atomkrieg auslösen", sagte er.

Ein von der Washington Post zitierter Experte behauptete daraufhin, dass Russland seinen Warnungen keine Taten folgen ließ, was die "roten Linien" entwerte. Der republikanische Kongressabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses, Michael McCaul, erklärte, dass die Gefahr einer russischen Eskalation nicht einmal in Betracht gezogen werden sollte. Er bezeichnete die US-Regierung als "feige", weil sie keine taktischen Raketensysteme, sogenannte ATACMS, in die Ukraine gesandt habe.

Putins Haltung lasse sich unter anderem damit erklären, dass die Qualität seines Militärs immer weiter nachlasse, so die US-Zeitung. Mark Milley, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten, sprach von bis zu 250.000 getöteten und verwundeten russischen Soldaten seit Kriegsbeginn. Diese seien mit schlecht ausgebildeten und mangelhaft ausgestatteten Streitkräften ersetzt worden.

Die Washington Post zeigt für diese Politik volles Verständnis. Der Bericht schließt mit der Anmerkung, dass die Bereitschaft der Regierung Biden, Putins rote Linien zu überschreiten, zweifellos die Fähigkeit der Ukraine gestärkt habe, sich zu verteidigen und Gebiete im Osten und Süden zurückzuerobern.

"Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Putin weiterhin zulassen wird, dass der Westen seine Drohungen ignoriert, ohne Konsequenzen zu ziehen."

Die Frage, ob Putin blufft oder nicht, wird auch in Deutschland diskutiert, wobei die Medien demonstrative Gelassenheit zeigen. Noch im Oktober warnte der Historiker Bernd Greiner im ZDF in aller Deutlichkeit vor einer Unterschätzung der Gefahrenlage. Er sagte:

"Ich sehe die Gefahr, dass man innerhalb der NATO denkt: Hunde, die bellen, beißen nicht. Dass man die Drohungen als Schwäche versteht und diese Schwäche als Gelegenheit ausnutzt, den Krieg mit konventionellen Mitteln zu eskalieren. Das könnte zu einem Bumerang werden."

In den letzten Monaten tauchen immer häufiger Schlagzeilen wie Ex-KGB-Agent ist sich sicher: Putin "blufft" im Ukraine-Krieg auf. Mit dieser Behauptung bezogen sich im Februar mehrere deutsche Medien auf den ehemaligen KGB-Agenten Juri Schwez. Schwez äußerte in der Bild die Vermutung, dass Putin gar nicht über Atombomben verfüge: "Was die Eskalation betrifft, denke ich, dass dies größtenteils ein Bluff ist. Ich vermute stark und unter Bezugnahme auf die Meinung von Fachleuten, dass die Russische Föderation möglicherweise keine Atomwaffen mehr hat."

Auch der Politwissenschaftler Carlo Masala wies darauf hin, dass Putins "Wunderwaffe", die Hyperschallrakete "Kinschal" durchaus verwundbar sei. Putin bluffe also nur, vermutet die Berliner Morgenpost.

Und auch Selenskijs Siegesparolen gehören in Deutschland dazu wie der Kaffee zum Frühstückstisch. Am Freitag meldeten die deutschen Medien reihenweise: "Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht nach dem europäischen Solidaritätsgipfel in Moldau eine Niederlage Russlands im laufenden Krieg näher kommen. Das Treffen mit den Staats- und Regierungschefs am Donnerstag sei maximal genutzt worden, um Hilfe für die Ukraine zu mobilisieren und die Niederlage der 'Terroristen' näher zu bringen, sagte Selenskyj."

Politik auf Gossenniveau 

Man kann an dieser Stelle darauf verzichten, all diese Aussagen zu relativieren oder ihr Gegenteil zu beweisen. Propaganda und die Einschüchterung des Gegners gehören seit jeher zu den unverzichtbaren Mitteln der Kriegsführung. Die Wahrheit stirbt im Krieg eben zuerst. Lediglich das Folgende ist verblüffend.

Das "Austesten" einer der beiden atomaren Supermächte, und zwar derjenigen, die von Atomwaffen noch keinen Gebrauch gemacht hat, folgt der zynischen Gossenlogik eines Halbstarken, der mit ständigen Nadelstichen ein vermeintliches Weichei verhöhnen will. Nach dieser provokativen Logik wird der Wunsch, NICHT zu den äußersten Mitteln – einschließlich der Atomwaffen – zu greifen, um damit die womöglich letzte Hürde vor einem erneuten Weltkrieg NICHT zu nehmen, als Schwäche eines Unfähigen missverstanden.

Zudem ist es ein Irrtum zu glauben, dass Russland nicht in der Versuchung ist, nach den Gesetzen eines asymmetrischen Krieges auch US-Infrastruktur oder gar US-Schiffe irgendwo in neutralen Gewässern aus dem Verborgenen heraus anzugreifen. Eine solche Aktion könnte es zunächst an einem der zahlreichen "Verbündeten" der USA testen. Offensichtlich ist Russland aber darum bemüht, die Welt, so unvollkommen und unsicher sie in ihrem heutigen Zustand auch sein mag, so zu belassen, wie sie ist.

Die russische Führung ist sich völlig im Klaren darüber, in welchem verkommenen Zustand die politische Klasse des Westens ist. Sie befindet sich im Zustand der Dauerhysterie und der Selbstbeweihräucherung; die Figuren an der Spitze kommen und gehen, aber niemand übernimmt für irgendetwas auch nur die geringste Verantwortung. Bei solchen Leuten ist doppelte Vorsicht geboten; ihre Bereitschaft zum Fehlverhalten bei der Entscheidungsfindung ist von vornherein mit ins Kalkül zu ziehen. Russland setzt daher zum Erreichen seiner Ziele offenbar auf einen jahrelangen zähen Stellvertreterkrieg mit konventionellen Waffen und kontrollierbaren Verlusten auf der eigenen Seite – auf die Ernüchterung seiner Gegner hoffend.  

Die Hasardeure in der Biden-Administration sehen aber in dieser Art von Politik eine Einladung zum Glücksspiel; einem Spiel, dessen Einsatz das friedliche Leben auf dem ganzen Planeten ist. Was kann sie endlich zur Vernunft bringen? 

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