Liebe Medienkonsumenten, auch Ihr habt eine Verantwortung!

Es ist das eine, die Medien zu kritisieren. Es ist eine Notwendigkeit, denn was wir an Produkten vorgesetzt bekommen, zieht einem – um es salopp zu formulieren – regelmäßig die Schuhe aus. Doch es ist etwas anderes, die Medienkonsumenten zu kritisieren. Die spielen nämlich ebenfalls ihre Rolle.

Von Tom J. Wellbrock

Was tut ein braver Journalist, wenn ihm eine Geschichte um die Ohren fliegt? Er kreiert eine neue. So geschehen im Falle der Nord-Stream-Sprengungen. Die Indizien, die auf die USA als Täter hindeuteten, verdichteten sich seit der Tat immer mehr, und wenn man zusätzlich den gesunden Menschenverstand bemüht, befindet man sich endgültig in einer Sackgasse. Denn wer will allen Ernstes leugnen, dass es zu nahezu 100 Prozent die USA sind, die von der Zerstörung der Pipelines profitieren?

Wer? Nun, ganz einfach: der Mainstream.

Dumm ...

Was prägt unsere Medien im Jahr 2023? Vorauseilender Gehorsam? Erschreckende Unprofessionalität? Fehlende Motivation? Politische Einflussnahme? Gieriges Karrieregebaren?

Die Antwort lautet: Ja. Es ist kein Zufall, dass Journalisten mittlerweile bei vielen Menschen mit Versicherungsvertretern und Autoverkäufern auf eine Stufe gestellt werden, und man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man bei diesem Vergleich entschuldigende Worte an alle Versicherungsvertreter und Autoverkäufer richtet, die schon mehr Seriosität als Journalisten an den Tag legen, wenn sie sich morgens die Zähne putzen. Vermutlich kommen da einige zusammen.

Es ist schwer zu sagen, wo der Tiefpunkt der Niveaulosigkeit liegen könnte, aber sicher ist, dass unsere "Qualitätsmedien" es immer wieder aufs Neue schaffen, einen Niveaulosigkeits-Limbo zu tanzen, an dem andere Branchen krachend scheitern würden, weil sie so tief schlicht nicht sinken können.

Der derzeitige Tiefpunkt jedenfalls liegt auf dem Niveau jener Geschichte, dass die Pipelines von fünf Leuten gesprengt wurden, die auf einer süßen kleinen Jacht zum Tatort geschippert, dann 80 Meter in die Tiefe getaucht sind und dort – vielleicht mit Klebeband? – haufenweise Sprengstoff an die Pipelines gefummelt haben. Später gab es einen großen Knall und alles flog in die "Luftlosigkeit" der Ostsee. Und nach einer neuen "investigativen" Theorie kommt womöglich sogar ein Einzeltäter infrage.

Hätte man bei viel Wohlwollen über die theoretische Möglichkeit einer russischen Urheberschaft noch diskutieren können, ist hier eine natürlich-logische Grenze erreicht, die man mit einem durchschnittlich gearteten Verstand eigentlich nicht überschreiten dürfte.

Eigentlich. Den Rest kennen wir.

… und dümmer

Zur Dummheit der Medien gehören immer zwei. Denn neben dem Verfasser von "Nachrichten", die faktisch in Absurdistan anzusiedeln sind, braucht es einen Konsumenten, der solch eine Story glaubt. Und auch davon scheint es genug zu geben. Sicher, in den sozialen Medien wurde die Geschichte mit dem Bomben-Quartett intensiv durch den Kakao gezogen – entsprechende Memes, Bilder und Videos machten die Runde. Die Kreativität, die dabei an den Tag gelegt wurde, lässt jedes Künstlerherz höherschlagen.

Doch die Überzahl der Medienkonsumenten hat geschluckt, was ihnen vorgekaut wurde. Womit der Spaß ein Loch hat, denn man kann sich an dieser Stelle zwar über die Konsumenten lustig machen, dem Problem wird man damit aber nicht gerecht. Die Geschichte um die Sprengung der Pipelines zeigt nämlich eindrucksvoll, wie ahnungs- und sorglos Medienprodukte auf- und angenommen werden. Es scheint, dass keine Erzählung so absurd sein kann, um in der Gunst der Medienkonsumenten durchzufallen. Und das ist bedenklich, nein gefährlich.

Glaubt's oder glaubt's nicht!

Nachdem der Journalist Seymour Hersh mit einem aufsehenerregenden Artikel ohne Umschweife den USA die Täterrolle an den Pipeline-Sprengungen nachgewiesen hatte, war in einem weiteren Bericht von ihm Olaf Scholz an der Reihe. Der habe nämlich von all dem, was die USA geplant hatten, gewusst, schreibt Hersh. In Anbetracht der Tatsache, dass Scholz kurz vor den Anschlägen den US-Präsident Joe Biden besucht und mit ihm intime Gespräche geführt hatte, kann das eigentlich nicht verwundern.

Es ist bekannt, wie Medien hierzulande auf den ersten Artikel von Hersh reagiert haben. Dieser Mann sei "bekanntlich" alt und verwirrt, habe schon früher oft falsch gelegen und könne sich lediglich auf eine Quelle berufen, die er nicht einmal nennen wolle. Es gab einen regelrechten Feldzug gegen die Seriosität von Hersh, und keine noch so absurde These oder Unterstellung war zu blöd, um nicht trotzdem zu Papier gebracht zu werden.

Ganz anders bei der Story um die Bande mit der Jacht. Mit stoischer Ruhe wurde sie verbreitet, wobei logische Überlegungen und offensichtliche Fehler gänzlich ignoriert und auf die Tastaturen gehämmert wurde, was das Zeug hielt. Und dieser unsägliche Unsinn wurde auch noch gelesen und von weiten Teilen der Bevölkerung für "gut" befunden. Einzig die Frage, ob nicht am Ende vielleicht doch Putin dahinterstecken könnte, ist nach wie vor noch nicht beantwortet. Aber notfalls lässt sich bestimmt auch dafür noch ein "Russland-Experte" finden, der den Medienkonsumenten erklärt, warum die ganze Sprengung zwar vom Pipeline-Quartett durchgeführt, aber von langer Hand – durch Putin – vorbereitet worden war.

Medienkompetenz!

Es reicht nicht, den Medienkonsumenten mitleidig mit auf den Weg zu geben, dass sie von den Mainstreammedien an der Nase herumgeführt werden. Zwar ist bekannt, dass die Methoden der Manipulation teils subtil sind und hartnäckige Wiederholung früher oder später wirkt. Inzwischen kommt zum Weglassen wichtiger Aspekte ja noch erschwerend hinzu, dass die "Qualitätsmedien" offen lügen (man denke etwa an die Sendung "Hart aber fair", in der behauptet wurde, es sei durch die UN bestätigt, dass im aktuellen Ukraine-Krieg ausschließlich (!) Russen Kriegsverbrechen begangen hätten) und so den Medienkonsumenten die letzte Chance rauben, sich aufgrund ihrer Berichterstattung allseitig ein Bild zu machen.

All das ändert aber nichts an der Verantwortung der Konsumenten!

Zur Propaganda gehören immer zwei Seiten. Die Propaganda aufseiten großer Teile unserer Medien liegt eklatant auf der Hand. Es ist allerdings schon so, dass viele Menschen der Meinung sind, dass es der Wahrheit entspricht, was sie bei Tagesschau & Co. sehen. Die eine Gruppe befindet sich in einem Alter, in dem sie die Glaubwürdigkeit der etablierten Medien wie an einem Seil bis in die Gegenwart gezogen haben. Das ist verständlich, denn diese Medien hatten in früheren Zeiten tatsächlich einen höheren Wert von Glaubwürdigkeit. Die andere Gruppe wurde mit diesen heutigen Medien bereits sozialisiert, sie glaubt an das, was man liest, sieht und hört, weil die Medien selbst ohne Unterlass auf ihre Glaubwürdigkeit und Seriosität pochen.

Doch bei allem Verständnis kann man eine gewisse Medienkompetenz erwarten, zumindest aber den Willen, sich breiter zu informieren, als es die hiesige Medienlandschaft zulässt. Hier geht es um eine konkrete Verantwortung, was sich etwa an Corona oder dem Ukraine-Krieg ablesen lässt. Wer sich klar positionieren will, braucht dafür Informationen, auf deren Grundlage er sich seine Meinung bildet. Wer sich dieser Verantwortung nicht bewusst ist oder sie sogar als erfüllt betrachtet, wenn er den Mainstream konsumiert, macht sich schuldig an Erzählungen, die eben nicht dem Frieden (oder seiner Gesundheit) dienen, sondern andere Ziele verfolgen.

RT: Der "falsche" Sender

Dieser Text ist auf RT eigentlich verschwendete Lebensenergie, denn vermutlich lesen ihn dort in erster Linie Menschen, die ohnehin mit einer Medienkompetenz ausgestattet sind. Sonst wären sie nicht bei dieser Lektüre gelandet. Wem also soll ich erklären, wie wichtig Medienkompetenz ist? Den Lesern von RT wohl kaum.

Aber ich kann Sie bitten, meinen Text weiter zu verteilen, an Freunde, Kollegen, Familie, Partner. Dazu braucht es ein wenig Mut, denn Sie wissen ja ganz genau, dass Sie ein Medium konsumieren, das verboten ist, das vom "Feind" kommt, das angeblich "russische Desinformationen" darstellt. Das ganze Programm eben, wir kennen das.

Trotzdem können Sie etwas tun, und wenn Sie von zehn Leuten einen erreichen und dazu bringen, ins Grübeln zu geraten, dann ist das ein großer Schritt.

Ich möchte Ihnen aber gleichzeitig davon abraten, diesen Artikel zu verbreiten. Es könnte Ihnen durchaus Ärger einbringen, vielleicht ein bisschen, vielleicht aber auch eine ganze Menge. Es ist tragisch, dass ich darauf explizit hinweisen muss, aber so ist nun einmal die "neue Normalität", die Realität, auf die wir uns einstellen müssen.

Und so bleibt mir am Schluss nur zu sagen: Tun Sie, was Sie tun müssen, und lassen Sie, was Sie nicht tun können.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. 

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