Krieg und Wirtschaftssuizid – die Geschichte wird's richten ... hoffentlich

Dieses Land wird gerade an die Wand gefahren – mit Höchstgeschwindigkeit. Bringt es etwas, dagegen aufzubegehren, auch wenn man vermutlich nichts ändern kann? Mit dieser Frage befasst sich unser Autor Tom Wellbrock. Ihn leitet die Hoffnung, dass Geschichte zu Gerechtigkeit führen wird.

Von Tom J. Wellbrock

Vor einer Weile befand ich mich in einem psychischen Tief. Hintergrund war das Gefühl, nichts ausrichten zu können. Ich schreibe, podcaste, führe Interviews, ich gehe raus, auf die Straße, nehme an Demonstrationen teil, halte auch Reden, wenn ich danach gefragt werde, oder stelle meine Einschätzungen als Sachverständiger zur Verfügung. Manchmal denke ich, ich sollte etwas weniger machen, weil auch das Private, das Schöne, die Literatur, die Musik, die Natur Dinge sind, die ihre Aufmerksamkeit verdienen. Doch lange halte ich das nie durch.

Denn dann sehe ich mich konfrontiert mit politischen Entscheidungen, bei denen ich sicher bin, dass sie falsch sind, gefährlich, in eine unangenehme Richtung gehen. Also gehe ich wieder an die Tastatur, vor das Mikro oder eben auf die Straße. Dabei spielt durchaus auch Eigennutz eine Rolle, zumindest könnte man mir das vorwerfen. Denn ich trage die Überzeugung mit mir herum, dass die Täter von heute irgendwann Rechenschaft ablegen müssen, sich verantworten müssen vor einer Instanz, die Recht spricht. Das Eigennützige dabei ist meine Überzeugung, zu diesem Zeitpunkt einer echten Aufarbeitung der politischen Katastrophen im Ton der Überzeugung sagen zu können:

"Ich habe nicht mitgemacht!"

Ich weiß nicht, wie viele Menschen sich Gedanken darüber machen, in welchem Licht sie später einmal dastehen werden, wenn sich (womöglich) grundlegende Dinge verändert haben, wir (womöglich) in einem anderen System leben, oder aber zumindest innerhalb des bestehenden Systems die Rollen neu verteilt wurden. Vor meinem geistigen Auge sehe ich zuweilen "1984" von George Orwell, manchmal die "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley, dann aber auch unabhängige Richter, die gesellschaftlich wegen ihrer hohen Unabhängigkeit geachtet und verehrt werden. Ich sehe Medien, die losgelöst von der Nähe zur Politik recherchieren, aufpassen, aufdecken, ich sehe sie die Macht kontrollieren und die Politik in einer Position der Demut, weil sie tun dürfen, was sie tun, wohlwissend, dass ihnen dieses Privileg von einem Moment zum anderen wieder genommen werden kann, wenn sie das Wohl der Bevölkerung nicht beachten.

Wenn diese hoffnungsvollen Bilder vor meinem geistigen Auge auftauchen, sehe ich auch mich, und die Vorstellung, dass ich zu denen gehören könnte, die maßgeblichen Anteil an den bewusst herbeigeführten Desastern haben, erschreckt mich zutiefst. Ich möchte auf das, was mich, was uns erwartet, mit so etwas wie einem reinen Gewissen blicken können, möchte mich auf die positiven Veränderungen freuen, weil sie mich belohnen, nicht bestrafen werden.

Jeder von uns spielt eine, seine Rolle, ob er will oder nicht, ich bin mir dessen auf eine pragmatische Weise sicher. Womöglich landen einige von uns, die es sich niemals hätten vorstellen können, später mit ihren Namen in den Geschichtsbüchern. Einfach, weil es Entwicklungen gibt, in die sie hineingeraten, urplötzlich eine gesellschaftliche Bedeutung bekommen durch das, was sie tun oder nicht tun, sagen oder verschweigen. Ich glaube eigentlich nicht, dass ich einer von diesen Menschen bin. Aber kann ich es ausschließen?

Es ist wohl jetzt ein Jahr her, da war ich in einem dieser psychischen Tiefs, die ich oben angesprochen habe. All meine Aktivitäten erschienen mir sinnlos, vergebliche Liebesmüh, als Kampf gegen eine Übermacht, die mir in jeder Hinsicht überlegen ist. Das, wogegen ich anschreibe, diskutiere und protestiere, Transparente hochhalte und zuweilen wie ein begossener Pudel im sprichwörtlichen Regen stehe, all das erschien mir damals lächerlich, das Werk eines Naivlings, der glaubt, mit seinen Überzeugungen tatsächlich etwas ändern zu können. Ich weiß noch, dass ich vor der Tastatur saß, sie anstarrte und in einem Moment wusste, dass ich nichts "zu Papier bringen" würde, mein Mikrofon getrost unter seiner Abdeckung lassen konnte, und dass ich im besten Fall hinausgehen würde, um einen Spaziergang zu machen, jede Demonstration aber weit umschiffen würde, weil sie mir absurd erschien, wie eine Ansammlung von idiotischen Traumtänzern, die einen Kampf ausfechten, den sie – ohne es zu wissen – schon vor langer Zeit verloren haben.

Die einzige "heldenhafte" Tat damals war ein Facebook-Posting, das meinem Gefühl Ausdruck verleihen sollte. Was genau ich damals postete, weiß ich nicht mehr, aber ich bekam ein paar Minuten später den Anruf eines guten Kollegen, der schon weit mehr als ich erlebt hatte. Er war in der Ukraine gewesen, als von den hiesigen Medien kaum jemand wusste, wo das Land überhaupt liegt. Er hatte sich mit dem Krieg Kiews im und gegen den Donbass auseinandergesetzt und alles, was er gesehen hatte, dokumentiert.

Der Kollege hatte meinen Facebook-Post gelesen und danach zum Telefon gegriffen. Und er sagte mir etwas, das sinngemäß in etwa so klang:

"Miss deinen Aktivitäten nicht zu viel Bedeutung bei, zumindest nicht für heute. Wir können nicht viel tun, die Gegenseite hat Macht, mehr als wir je haben werden. Aber wir dokumentieren, was sie tun. Das ist unser Job. Alles, was wir machen, wird später bedeutsam werden, nicht heute. Das ist manchmal frustrierend, aber wir haben keine andere Wahl. Und wenn wir später mit unseren Dokumentationen die Verbrechen von heute bezeugen und belegen können, ist das Belohnung genug. Allerdings werden wir das wohl nicht mehr erleben, aber was solls ..."

Das mag etwas pathetisch klingen, aber es war damals genau das, was ich brauchte. Ich empfand ein bis dahin unbekanntes Gefühl der Verantwortlichkeit, einer Art Verpflichtung, mit dem, was ich tue, weiterzumachen.

Diese Tage der Frustration habe ich natürlich trotzdem noch, jeder, der als kritischer Geist und widerständig durch die Welt wandelt, wird das Gefühl kennen. Manchmal ist es nur die Tagesform, die darüber entscheidet, ob wir uns stark und mutig oder schwach und ängstlich fühlen. Alles in allem aber glaube ich, dass der Wille, etwas zu unternehmen, etwas zu verändern und zum Besseren zu führen, ein gutes und großes Gefühl ist, das uns ausmacht und dem wir mit Freude und ein wenig Stolz begegnen sollten. Denn leicht ist es nicht. Leicht ist es, sich zu beugen und anzupassen, das Bequeme zu wählen, das Gedankenlose zu denken, zu konsumieren, statt zu kritisieren.

Und ich hoffe, dass es viele Menschen gibt, die – ähnlich wie ich – daran glauben, dass die Geschichte zu Gerechtigkeit führen wird. Sie wird es früher oder später richten ... hoffentlich.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. 

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