Von Pjotr Akopow
Beim G-7-Treffen in Hiroshima ereignete sich eine seltsame Geschichte. Einer der Gäste war der brasilianische Präsident Lula da Silva, und Emmanuel Macron bat ihn, Wladimir Selenskij zu treffen, der ebenfalls nach Japan gereist war. Lula ruft zum Frieden in der Ukraine auf, verweigert die Lieferung von Waffen und hat sogar versucht, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln (sein enger Vertrauter hat beide Hauptstädte besucht), erklärte sich aber mit dem Treffen einverstanden. Doch Selenskij hat dieses Treffen nicht wahrgenommen.
Das für Kiew (und den Westen) propagandistisch wichtige Treffen scheiterte durch die Abwesenheit derjenigen Person, die darum gebeten hatte. Unklar ist, was genau vorgefallen ist, doch Selenskij gab einen Kommentar ab, als er danach gefragt wurde, ob er enttäuscht sei, weil das Treffen nicht stattfand: "Ich denke, er (Lula) sollte enttäuscht sein." Damit hat er auch noch das Staatsoberhaupt des wichtigsten lateinamerikanischen Landes angepöbelt.
Die Tour von Wladimir Selenskij durch die Welt, zunächst nach Europa, dann zum Gipfel der Arabischen Liga in Dschidda und schließlich zum G-7-Treffen in Hiroshima, sollte die globale Unterstützung für die Ukraine demonstrieren. Allerdings spielt die interne Öffentlichkeitsarbeit der Ukraine eine reine Nebenrolle. Das Hauptziel der Organisatoren dieser Reise (das sind die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich) bestand darin, den Rest der Welt vor die Wahl zu stellen: Entscheidet euch endlich, auf welcher Seite ihr steht – auf der des Westens oder der Russlands? Selenskij fungiert in diesem Fall als treuer Emissär des Westens – er wird an den richtigen Ort gebracht, damit die Regierungschefs der nicht-westlichen Welt, die ihn treffen, das Gefühl haben, dass sie mit den westlichen Staatsoberhäuptern im selben Boot sitzen. Der Westen ist für Selenskij, und ihr seid dagegen? Jetzt aber: Schön die Hände schütteln, ein paar gemeinsame Fotos schießen lassen – und schon steht ihr auf der richtigen Seite der Geschichte.
Leider funktioniert die Geopolitik nicht auf diese Weise, das heißt, dem Westen ist ein hübsches PR-Bild gelungen, doch ein konkretes Ergebnis wird ausbleiben. Denn weder die arabischen Staatschefs noch der indische Premierminister Modi (der als Gast der G-7 mit Selenskij zusammentraf) oder Lula machen sich irgendwelche Illusionen über den ukrainischen Präsidenten. Sie mögen der Ukraine aufrichtig ihr Beileid bekunden – wie Modi es formulierte: "Mir ist ihr Schmerz und der Schmerz der ukrainischen Bevölkerung sehr wohl bewusst" – dabei nehmen sie die reale Situation durchaus wahr. Der Selenskij und die Ukraine sind zu einem Instrument des Westens geworden, um gegen Russland anzukämpfen – mit der Absicht, es zu schwächen, zu isolieren und im Idealfall zu zerschlagen. Das aber ist nicht gerade das Bedürfnis der nicht-westlichen Welt.
Aus der Perspektive des Globalen Südens ist der Konflikt zwischen dem Westen und Russland an sich nichts Ungewöhnliches. Man versteht einerseits das Bestreben Russlands, seine natürlichen und historischen Grenzen wiederherzustellen, andererseits weiß man von dem Drang des Westens, seine Grenzen zur russischen Welt möglichst nach Osten zu verschieben. Und die weltweiten wirtschaftlichen Probleme, die durch den Konflikt in Europa verschärft werden, sind zwar dem Süden natürlich nicht sonderlich angenehm, allerdings nimmt er es auch dem Westen übel, wenn dieser versucht, seine Probleme als universell darzustellen. Darüber sprechen diverse Politiker aus Asien, Afrika und Lateinamerika ganz unumwunden: Ja, wir sind prinzipiell gegen den Krieg, warum aber deklariert der Westen diejenigen Kriege nicht als Bedrohung der globalen Sicherheit, die seine eigenen Interessen nicht direkt betreffen?
Ferner verhält sich der Westen auf eine Art und Weise, als würde es ihm nicht nur gelingen, die nicht-westliche Welt von Russland zu isolieren, sondern sie auch zum Abbruch der Beziehungen mit China zu bewegen. Das ist allerdings purer Wahnsinn – denn bereits das letzte Jahr hat es deutlich gezeigt, dass alle Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängte, das vom Westen aufgebaute globale System treffen und seine ohnehin schwindende Glaubwürdigkeit in der nicht-westlichen Welt untergraben.
Selbst im Westen wird von objektiven Beobachtern eingeräumt, dass es den Atlantikern nicht gelungen ist, die nicht-westliche Welt zur "Bestrafung Russlands" um sich zu konsolidieren, was bedeutet, dass sie den Kampf um den Globalen Süden verloren haben. Nicht gegen Russland hat der Westen verloren, sondern gegen den objektiven Verlauf der Weltgeschichte – denjenigen geopolitischen Prozessen, die seit vielen Jahren an Dynamik gewinnen. Dabei möchten die Angelsachsen nicht nur mit ihrem Versuchen der Isolierung und der Zerschlagung Russlands fortfahren, sie haben sogar die antichinesische Komponente ihrer Rhetorik verstärkt, man höre sich an, was auf dem G-7-Treffen gesagt wurde.
Während jedoch das energische Vorantreiben der antichinesischen Agenda in Europa (die USA kämpfen mit China um Europa, d. h. sie versuchen, ihre Beziehungen zur Alten Welt einzuschränken) und in Indien (wo Amerika versucht, die objektiven Widersprüche zwischen Delhi und Peking sowie die übertriebene China-Phobie einiger indischer Eliten auszunutzen) einigermaßen verständlich ist, stößt der Vorschlag, "sich von den Chinesen fernzuhalten", im Rest der Welt auf völlige Ablehnung. Der Globale Süden wird nicht einmal die Beziehungen zu Russland abbrechen, und man fordert sie auf, von China Abstand zu nehmen! Somit drängen die Angelsachsen selbst Asien, Afrika und Lateinamerika dazu, regionale und interregionale Mechanismen zu schaffen, um sich gegen westliche Sanktionen abzusichern – insbesondere, um von Zahlungen in Dollar wegzukommen.
Mit anderen Worten: Der Westen lässt Russland und China näher zusammenrücken (nicht nur durch sein Handeln, sondern aus Sicht der Weltgemeinschaft auch dadurch, dass er darüber spricht, wie Moskau und Peking die Weltordnung bedrohen) und fördert gleichzeitig antiwestliche Prozesse in der Welt. Erstaunliche Kurzsichtigkeit? Nein, es ist nur so, dass die atlantischen Strategen nicht in der Lage sind aufzuhören. Sie bewegen sich somit weiter in eine Richtung, die für sie völlig unvorteilhaft ist.
Zuerst erschienen bei RIA News. Übersetzt aus dem Russischen.
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