Von Dagmar Henn
Immerhin, eines muss man Wirtschaftsminister Robert Habeck zugutehalten: Wenn er so weitermacht wie bisher, hat spätestens in einem halben Jahr noch der Letzte in Deutschland begriffen, wozu die Behauptung von "russischer Propaganda" dient. Denn natürlich konnte der Herr des Heizdiktats es sich abermals nicht verkneifen, sich über die "rechten und prorussischen" Medien zu beschweren, die nicht so nett mit seinem Freund Patrick Graichen umgegangen sind.
"Er wurde angefeindet, das ist unerträglich."
Das sagt der Mann, der zu Beginn seiner Amtszeit erst einmal den Verfassungsschutz auf seine Mitarbeiter hetzte, weil er in jedem, der ihm widersprach, einen russischen Agenten sah. Ob seine Paranoia so weit geht, dass er jedes Mal, wenn er in seine Wohnung kommt, in alle Schränke und unter Sofa und Bett schaut, ist nicht bekannt. Aber eine derartige Fixierung könnte doch auf eine psychische Störung hindeuten. Gleichzeitig ist er sich nach wie vor keiner Schuld bewusst und erzählt, er habe sich gestern mit Graichen auf dessen vorzeitige Pensionierung geeinigt. Das bedeutet, Graichen erhält auf Lebenszeit mindestens 35 Prozent seines letzten Gehalts als Pension. Obwohl selbst Habeck zugeben musste, dass sein Staatssekretär mehrmals gegen die Vergaberichtlinien verstoßen hat und eine Entlassung durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte.
Es sind die bösen Russenfreunde, die sich an dieser Nummer stoßen, wie auch an anderen Mitgliedern aus dem Familienkreis um Graichen. Als könne der gewöhnliche Bürger daran nichts Verwerfliches finden. Was Habeck, der anderen so gerne mit Moral kommt und mit großer Leidenschaft in das Leben der Bürger eingreift, nicht begreifen kann – und dabei scheint es sich um einen grundsätzlichen intellektuellen und moralischen Mangel zu handeln – ist, dass man nicht Moral predigen und gleichzeitig moralische Maßstäbe ignorieren kann. Wer den Großinquisitor gibt, sollte sich nicht im Puff erwischen lassen. Und wer seinen Mitmenschen das winterliche Heizen erschwert, sollte seine Busenfreunde nicht mit warmen Sesseln versorgen. Das macht vielen Beobachtern schlechte Laune, da müssen sie gar nicht "prorussisch" sein.
Natürlich sieht Habeck "Prorussen" rechts, das hat aber mehr mit seinem Irrglauben zu tun, er selbst sei irgendwie links. Vermutlich ist er gut im Verdrängen, sonst hätte ihm die eigene Erinnerung sagen müssen, dass Zuneigung zur NATO und zur US-Hegemonie und innigste Nähe zu ukrainischen Nazis ebenso wenig links ist wie die anstehende Enteignung hunderttausender Häuslebauer durch seine Heizfantasien, und seine Förderung irgendwelcher grüner Selbstbedienungstrupps schon gar nicht. Ganz zu schweigen von dieser Nummer des Viessmann-Verkaufs. Aber was soll's. Übrig bleibt die Botschaft, dass die Prorussen diejenigen sind, die sich über den grünen Sumpf erregen, und damit die politisch klügeren Menschen. Denn auch grüner Sumpf riecht nach Faulgasen.
Ja, seine Aussage impliziert, ohne die "Prorussen" hätte es gar kein Problem gegeben. Was, mit Blick auf den Zustand der deutschen Medien, eher eine Abqualifizierung darstellt, weil niemand dem lieben Robert ans Bein pinkeln wollte. Aber gleichzeitig besagt sie, wie wichtig diese verfemten Portale sind, um zumindest noch Reste von demokratischer Kritik zu ermöglichen.
Graichen, so Habeck, sei es zu verdanken, dass die Deutschen im vergangenen Winter nicht hätten frieren müssen. Auch wenn Graichen mit Sicherheit nicht für das milde Wetter verantwortlich war – Habeck selbst war verantwortlich dafür, dass diese Gefahr überhaupt entstand; weshalb er persönlich zwar Graichen zu Dank verpflichtet sein mag, weil er die Folgen seiner, Habecks, katastrophalen Politik begrenzen half, die Deutschen aber noch lange nicht. Denn weit besser als die Folgen katastrophaler Entscheidungen einzudämmen ist die Vermeidung katastrophaler Entscheidungen. Dafür bedürfte es allerdings einer weiteren Neubesetzung im Ministerium.
Habeck, der sich ähnlich über den Massen stehend sieht wie Parteifreundin Annalena Baerbock, und dies unter anderem durch einen Hoffotografen bekundet, hat nicht das mindeste Gespür dafür, was seine eitle Arroganz bei den Opfern seines Handelns auslöst. Sonst würde ihn der Tonfall, in dem die Graichen-Affäre zurückgespiegelt wird, nicht wundern. Überhaupt ist der Bürger an sich eher störend; Habecks Wunsch nach Beschleunigung von Genehmigungsverfahren steht dafür, diesen Störfaktor auszuschalten, der sich nicht gehorsam, wenn nicht gar begeistert in die grünen Zukunftsfantasien einfügt.
Interessant an der ganzen Affäre ist, dass sich der deutsche Mainstream zumindest noch gelegentlich zum Jagen tragen lässt – sogar gegen einen seiner Lieblinge –, wenn dieser arrogant und hartleibig genug ist, erst einmal alles an sich abprallen zu lassen. Nun, der Lübecker Apothekersohn trägt die Nase hoch genug für zwei Angeber. Es wird noch einige Schläge brauchen, bis die ersten Ansätze von Unrechtsbewusstsein erblühen.
Aber das ist es, was eigentlich gefordert wäre. Nicht, den Freund unauffällig wegen nachvollziehbarer Fehler durch die Hintertür in ein gut versorgtes Dasein geleiten, sondern mit dem Eingeständnis des eigenen Versagens demütig abtreten. Es mangelt dem Minister an so vielem: An der gerade von den Grünen immer so plakativ eingeforderten Transparenz, an der Achtung vor den Steuerzahlern, die die verteilten warmen Sessel finanzieren, am Respekt vor den Lebensbedürfnissen der Menschen im Land, an Mitmenschlichkeit und Freundlichkeit und zuletzt auch Friedenssehnsucht. All das tritt ein Habeck gern mit Füßen.
Habeck wittert immer und überall russische Agenten, dabei müsste er sich selbst als Agent bekennen. Habeck, der Proamerikaner, dem die deutsche Zukunft so gleichgültig ist wie das Ergebnis eines Fußballspiels Malta gegen Simbabwe. Habeck, dem es gelungen ist, dem Land in einer halben Amtszeit mehr zu schaden als je ein Minister vor ihm. Er sollte durch die Vordertür davongejagt werden, bis zu seinen Auftraggebern. Aber das passiert erst, wenn klar ist, dass das Etikett "russische Propaganda" vor allem ein Gütesiegel ist, das belegt, dass eines nicht drin ist: US-Propaganda.
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