Von Dagmar Henn
Es gibt so viele Aufnahmen von Selenskij in Finnland, man kann sicher sein, dass er tatsächlich dort ist. Und so, wie diese Reise geplant wurde, eine Abwesenheit passend zu einem Drohnenangriff auf den Kreml, ist das auch der echte Selenskij. Denn er hat einen Grund, abwesend zu sein.
Mit dem er selbstverständlich plötzlich nichts zu tun hat, rein gar nichts, nachdem wochen-, nein, monatelang verkündet wurde, die Ukraine werde tief in Russland selbst angreifen. Selenskij weiß nichts davon, und Antony Blinken in den USA weiß auch nichts davon, obwohl, so Blinken, die Ukrainer nichts tun, was die Amerikaner ablehnen; auch da gibt es andere Aussagen, auch in den Pentagon-Leaks, zumindest immer dann, wenn die Ukrainer wieder mal etwas verbockt haben. War das also nun ein Fall, in dem die Ukrainer alles richtig gemacht haben, auch mit ihrem Dementi und Selenskijs Flucht nach Finnland, oder haben sie wieder einmal nicht Bescheid gegeben?
Bei Selenskij selbst fragt man sich ohnehin, wie viele Schritte er ohne die Genehmigung aus Washington geht. Reicht es noch bis zur Toilette? Und warum, um Himmels willen, hat ihn niemand instruiert, bei seiner Pressekonferenz mit dem finnischen Ministerpräsidenten das Thema Mannerheim, finnisch-sowjetischer Krieg und Nazikollaborateure zu umgehen? So, wie er da aufgetreten ist, muss man fürchten, dass er bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen ein Referat über die französische SS-Division "Charlemagne" hält. Jeder dieser Schritte macht mühsame Propagandaarbeit zunichte.
Allerdings, menschlich muss man das schon verstehen. Sicher hatte er seit Monaten darauf gehofft, der Finnin Sanna Marin zu begegnen, mit der er vermutlich mehr als ein Hobby teilt, da wird die von den bösen Finnen einfach abgewählt... und er muss, statt mit dem feschen Weib, mit einem alten, griesgrämigen Mann seinen Staatsbesuch abfeiern. Da steht dann schon der Sinn nach einer kleinen Gemeinheit am Rande.
Es ist auch langweilig, jeden Tag irgendjemanden um Geld und Waffen anzubetteln. Selbst wenn er inzwischen über ein beträchtliches Vermögen verfügen dürfte, beruflich gefordert wird der Präsidentendarsteller nicht. Es ist schließlich immer der gleiche Monolog der gleichen Figur, immer schlecht rasiert und mit grünem Oberteil (gut, heute war es mal schwarz, was aber auch nicht unproblematisch ist) – wenn er alleine ist, deklamiert er vermutlich alles von Mark Anton bis Titania. "Es ist die Nachtigall und nicht die Lerche".
Die ukrainische Post hat übrigens wieder einmal nichts verstanden, wie schon bei dem Terrorangriff auf die Brücke von Kertsch, den die Ukraine dann auch nicht durchgeführt haben wollte, und hat eine Briefmarke mit einem brennenden Kreml veröffentlicht. So richtig abgesprochen wirkt das nicht, zumindest das Rundschreiben mit dem Dementi muss unterwegs irgendwo hängengeblieben sein.
Interessant ist jetzt vor allem die Frage, ob und wie schnell Selenskij in die Ukraine zurückkehrt. Selbst, wenn er gerade etwas schmollt, bei Bundeskanzler Olaf Scholz kommt Selenskij sicher gern vorbei. Erstens weiß Scholz nicht, wie man "nein" sagt, und zweitens braucht man neben ihm kein Treppchen hinter dem Podium. Ob er noch zwei, drei weitere Besuche anhängt, oder ob er gleich die Möglichkeit beim Schopfe ergreift, sich zu seiner Beute abzusetzen, wird sich herausstellen. Wenn, dann vermutlich eher nach Italien oder Großbritannien.
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