von Björn Kawecki
Zum Tag der Arbeit am 1. Mai reiste Bundeskanzler Olaf Scholz zur Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) nach Koblenz, um eine der Hauptreden zu halten. Doch am Veranstaltungsort, dem Deutschen Eck, erschienen auch einige unzufriedene Bürger, die ihren Ärger über die Politik des Kanzlers lautstark äußerten. Dies veranlasste die Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz, ein paar mahnende Wort an diese zu richten, bevor der Kanzler die Bühne betrat:
"Ich habe noch eine Bitte an die Menschen, die irgendwo da hinten stehen und die, glaube ich, an der Trillerpfeife festgewachsen sind oder schlechte Laune haben."
Beim DGB, so die Vorsitzende weiter, höre man einander zu; man lasse einander ausreden, könne auch verschiedener Meinung sein. Und dann streite man, aber man pfeife nicht die ganze Zeit herum, erklärte die gute Frau wie gegenüber einem quengeligen Kind.
Aber die Bürger, die Scholz vorsorglich ausbuhen und auspfeifen, haben leider verstanden, dass gerade das nicht stimmt, was die DGB-Landeschefin behauptet. Die grundsätzliche Stoßrichtung der Politik der Bundesregierung steht nicht zur Debatte, wie auch die Rede des Kanzlers zeigt. Da kann man schon schlechte Laune bekommen.
Der Kanzler hat das Wort
Scholz betritt die Bühne. Das Wetter ist schön, das fällt auch dem Kanzler auf. Eine Anspielung auf das nahe gelegene Kaiser-Wilhelm-Denkmal, deutscher Militarismus, Antidemokratie. Ein wenig Schattenboxen mit der deutschen Vergangenheit zum Warmwerden, eine schöne Überleitung, um an den halb vergessenen Krieg in der Ukraine zu erinnern.
Wie gewohnt klammert sich der Kanzler mit beiden Händen am Mikrofon fest, spielt nervös an seinem Ehering. Seine Kritiker jenseits des Zauns ignoriert der Kanzler. In Sprechpausen, wenn die DGB-Gäste höflich applaudieren, schaut er aber doch auffällig nach rechts, in die Richtung, wo das Pfeifkonzert veranstaltet wird. Erst im Verlauf seiner Rede taut Scholz auf, gestikuliert, in emotionalen Momenten ballt er die Faust.
Die COVID-19-Pandemie sei vorbei, bilanziert der Kanzler. Eine schwierige Zeit, aber Deutschland habe sie gut bewältigt. Die Menschen seien "ungebrochen" solidarisch gewesen. Das Schlüsselwort für den Übergang zu DGB-Themen. Vergangenheit abgehakt.
Unter den Gewerkschaftern möchte der Kanzler für Vertrauen und Zuversicht werben. Auf Deutschland komme viel zu. Es brauche Leute, die bei den Problemen anpacken. Wo es keine Probleme geben werde, prognostiziert der Kanzler, sei die Arbeitslosigkeit, für wenigstens ein Jahrzehnt. Jetzt gebe es jedoch genug Arbeit. Und danach?
Mehr Ausbildungsplätze gegen den Arbeitnehmermangel
Das Problem sei aktuell der Arbeitnehmermangel. Aber Scholz hat Rezepte, wie man Abhilfe schafft. In den Schulen müsse es gut laufen. Vor allem aber müsse in Deutschland mehr ausgebildet werden. Dann habe man weniger Probleme mit Fachkräften. Die Betriebe müssten sich zusammenreißen und mehr Plätze anbieten. Man möchte meinen, dass diese Lösungsansätze nicht neu sind.
Dann die Erinnerung an den Wahlspruch des Kanzlers aus seinem Wahlkampf: Wir bräuchten Respekt vor der Arbeit, unverzichtbar für unsere Demokratie. Was das genau heißt? Anerkennung, Augenhöhe, niemand soll denken, er sei etwas Besseres. Nur gemeinsam könne man die Aufgaben der Zukunft bewältigen. Scholz wünscht sich einen Mentalitätswandel. Aber wo genau? Wo zollt man einander denn keinen Respekt? Oder anders gefragt: Wo tut man es?
Natürlich müsse es auch gute Löhne geben, sagt Scholz mit Verweis auf die Einführung des Mindestlohns, den er zwar nicht eingeführt, aber zumindest erhöht hat. Der Mindestlohn wird zwar mithilfe des EU-Binnenmarkts systematisch unterlaufen.
Doch der EU-Binnenmarkt reiche nicht mehr für die "große, leistungsfähige Volkswirtschaft" Deutschlands. Irreguläre Migration müsse begrenzt werden. Sind das leise nationale Töne? Mit Sicherheit nicht. Flüchtlinge sollen in Deutschland weiterhin Schutz finden, aber so, dass alles nach Regeln läuft. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz solle endlich für die benötigten Fachkräfte aus dem Ausland sorgen, sagt der Kanzler, als könnten Flüchtlinge keine Fachkräfte sein.
DGB-Themen abgehakt. Der Kanzler kann zu seinem Hauptthema kommen, seiner Kanzlerschaft, wenn man so will, zur klimaneutralen Transformation der Wirtschaft. Man könnte es auch "die deutsche Wette" nennen.
Mit Zuversicht für ein neues Wirtschaftswunder
Laut eigenen Worten glaubt der Kanzler fest daran, dass Deutschland die Fähigkeiten hat, dass wirtschaftlicher Wohlstand und Klimaneutralität gleichzeitig funktionieren. Dass Deutschland auch 2045 ganz vorne dabei sein wird bei den Volkswirtschaften der Welt.
Aber warum soll Deutschland, hört der Kanzler seine Kritiker fragen, sich einschränken, wenn andere viel größere Emissionen haben, weil sie mehr Einwohner haben (hust China). Der Kanzler ist gespielt irritiert. Die Welt wachse doch zusammen, begründet der Kanzler, obwohl die Welt aktuell offensichtlich auseinanderreißt. Aber Deutschland solle ein Vorbild für die nicht industriellen Länder sein, die ihre Armut satthaben.
Der Kanzler appelliert an die Zuversicht. Das werde eine große Nummer, sagt er. So ähnlich wie die Industrialisierung oder das Wirtschaftswunder. Es müsse alles neu gemacht werden. Riesige Investitionen. Fünf bis sechs Windkraftanlagen pro Tag, 40 Solarfelder so groß wie Fußballplätze, mehrere Elektrolyseanlagen pro Woche, tausende Kilometer Stromleitungen, Wärmepumpen, mehr Strom aus erneuerbaren Energien, Wasserstoff. Dafür brauche man einen großen ökonomischen Aufschwung.
"Jetzt und in ganz kurzer Zeit wollen und werden wir das hinkriegen."
Ein großer Sprung nach vorne, könnte man sagen. Oder einfach: "Wir schaffen das"? Auch die Gewerkschaften sollen bitte diese Zuversicht ausstrahlen, dass die bessere Welt tatsächlich kommt. Alles natürlich unter der Voraussetzung, dass das Leben bezahlbar sein muss, versichert der Kanzler mit Blick auf den Wohnungsbau, obwohl nicht einmal der klappt. Ein kläglicher Anspruch, eine karge Aussicht. Kein Wunder, dass das Volk außer Buhrufen nichts mehr zu sagen hat.
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