Von Sergei Chudijew
Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella hat sich in einem Interview mit dem Il Corriere della Sera gegen die "Abschaffung" der russischen Kultur ausgesprochen. Ihm zufolge "sei die Kultur der Abschaffung in Bezug auf die russische Literatur und Kunst eine Fehlentwicklung, mit der dem Werk der jahrhundertelangen europäischen Geschichte, von der diese Kultur ein wesentlicher Bestandteil ist, die Schuld zugeschoben werden soll".
Diese Worte erklangen vor dem Hintergrund einiger bemerkenswerter Manifestationen einer solchen "Abschaffung" – im vergangenen Jahr wurden in Italien die Auftritte des Dirigenten Waleri Gergijew, der Pianistin Valentina Lisitsa und des Tänzers Sergei Polunin abgesagt, und junge russische Violinisten wurden nicht zur Teilnahme an einem Musikwettbewerb zugelassen.
Es sollte jedoch erwähnt sein, dass sich die "Kultur der Abschaffung" ganz unabhängig von Russland oder dem aktuellen Konflikt als rein innerwestliches, vor allem amerikanisches Phänomen entwickelt hat. Seit einiger Zeit ist es zur Regel geworden, Verträge mit Personen, die (entweder aus persönlicher Überzeugung oder aus schlichter Fahrlässigkeit) etwas nicht in die neue ideologische Orthodoxie passendes sagten, unverhohlen zu kündigen, Bücher aus Bibliotheken zu beschlagnahmen und den Vertrieb von Filmen zu stoppen, in denen strenggläubige Zeloten Anzeichen von "Rassismus" oder einer anderen "Phobie" sahen, die es auszurotten gilt.
Im amerikanischen Englisch gibt es dafür sogar einen Ausdruck – "virtue signalling", das heißt "öffentliche Aktivitäten und Reden, die darauf abzielen, gesellschaftlich anerkannte Meinungen und Handlungen zu unterstützen".
Es ist eine Art Massenrennen vor der Lokomotive, mit dem Wunsch, den lautesten Eid auf die vorherrschende Stimmung in der Gesellschaft zu schwören und diejenigen, die gerade die Rolle der Ketzer, Hexen und Volksfeinde innehaben, am energischsten zu entlarven.
Noch lange bevor die Russen diesen Stempel erhielten, hatte die "Kultur der Abschaffung" ihren Tribut von der westlichen Kultur gefordert.
Klassische Musik als solche – ob Tschaikowsky, Beethoven oder Vivaldi – wurde als "zu weiß" deklariert, trotz der wachsenden Zahl begeisterter Asiaten.
Filmklassiker wie "Vom Winde verweht" wurden aus dem Repertoire der Online-Kinos gestrichen, und Romane – wie "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" und "Wer die Nachtigall stört" – wurden aus den Schulbibliotheken ausgeschlossen. Dabei hat die eindeutig antirassistische Botschaft der beiden Bücher sie keineswegs gerettet.
Die Menschen hatten es nötig, ihren Eifer im Kampf gegen den "Rassismus" zu beweisen, und so taten sie es auch.
Die klassische Kultur hat tatsächlich aristokratische, "ausbeuterische" Wurzeln. Über Jahrhunderte hinweg wurde diese Kultur von Angehörigen der privilegierten Klassen und der dominierenden ethnischen Gruppen geschaffen und spiegelte mit Sicherheit deren Weltanschauung wider. Nicht, weil sie von Natur aus klüger waren, sondern weil nur sie die Möglichkeit dazu hatten. Den Bauern und Proletariern lagen die erhabenen Dinge nicht.
Doch mit der Zeit wurde das Leben viel wohlhabender und die einfachen Leute hatten die Möglichkeit, sich der Bildung zu widmen, hohe Kunst zu schätzen oder Literatur zu begreifen.
Was früher ein Privileg der wenigsten gewesen ist, klassische Musik zum Beispiel, war nun für fast jedermann zugänglich. Die Haltung dazu wurde zur Frage der persönlichen Entscheidung.
Und zu den Merkmalen der "abolitionistischen Kultur" gehört ihre prinzipielle Feindseligkeit gegenüber der Hochkultur als solcher. Das ist nichts Neues, – wir können uns an die Erfahrungen des frühen Bolschewismus erinnern. Wie Wladimir Kirillow im Jahre 1917 schrieb:
Wir beherrschen den rebellischen, inbrünstigen Rausch;
Sollen sie uns zuschreien: 'Ihr seid die Henker der Schönheit',
Im Namen unseres Morgens, lasst uns Raffael verbrennen,
Lasst uns die Museen zerstören, lasst uns die Blumen der Kunst zertrampeln.
Die Sache ist darin begründet, dass nach dem Wegfall des Privilegs derjenigen, die das Glück haben, in die "Oberschicht" hineingeboren zu werden, die hohe Kunst das Privileg derjenigen geblieben ist, die einen ästhetischen Geschmack haben und zu disziplinierter Anstrengung fähig sind. Um Violine spielen zu lernen, ist eine lange Anstrengung erforderlich; um ein klassisches Konzert zu erleben, muss man in der Lage sein, die Genialität des Komponisten und das Talent der Interpreten zu schätzen.
Und man muss in der Lage sein, die Überlegenheit der anderen anzuerkennen – diese Menschen spielen auf eine Art und Weise, wie ich es nie gekonnt hätte, erstaunliche Musik, die ich nie komponiert hätte. Die wahre Kultur ist erhebend, gerade weil sie über mir steht.
Diese Überlegenheit kann Bewunderung, Ehrfurcht, demütige Dankbarkeit hervorrufen – oder sie kann den akuten Hass des Prolls auf den "Nerd" hervorrufen.
Genau von dieser Art Hass war die "Kultur der Abschaffung" immer erfüllt – und zwar lange bevor sie bei den Russen ankam. Die Anhänger der "abolitionistischen Kultur" würden problemlos eine gemeinsame Freundschaft mit unseren lokalen Prolls schließen, können aber unsere Dirigenten nicht tolerieren.
Die Bestrebungen, die klassische russische Kultur zu verbieten, stammen von Menschen, die der Kultur als solcher feindlich gegenüberstehen. Die Hauptrolle spielt dabei nicht einmal die Russophobie, sondern das, was man "Kulturphobie" nennen könnte.
Wenig überraschend ist, dass kulturell gebildete Menschen wie Sergio Mattarella, auch wenn sie überhaupt keine Freunde Russlands sind, sich dem entgegenstellen.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
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