Die Rache des Imperiums: Der Versuch, das südliche Eurasien in Brand zu setzen

Die Journaille im Westen strickt neuerdings am Narrativ, dass sich der Nordatlantik nach Südchina verlagert hat. Die kollektive kognitive Dissonanz, die von diesem Rudel von Hyänen mit ihren polierten Visagen an den Tag gelegt wird, sollte niemals unterschätzt werden.

Von Pepe Escobar

Und doch konnten die neokonservativen Psychos einen taktischen Erfolg erzielen. Europa ist ein Narrenschiff, das auf seinen Untergang zusteuert, mit Quislingen an Bord, wie Frankreichs kleiner Sonnenkönig und Deutschlands Kanzler der Leberwurst, die bei diesem Debakel zusammenarbeiten, komplett mit den Schießbudenfiguren, die in einem Strudel von hysterischem Moralismus ertrinken. Es sind diese Leute, die den Hegemon antreiben und Europa zerstören. Nicht Russland.

Aber da ist noch das größere Ganze in diesem neuen großen Spiel 2.0. Zwei russische Analysten haben auf unterschiedliche Weise einen erstaunlichen, sich ziemlich ergänzenden und ziemlich realistischen Fahrplan für die kommende Zukunft vorgelegt.

Der pensionierte General Andrei Gurulyow ist ein derzeitiges Mitglied der russischen Staatsduma. Er ist der Ansicht, dass der Krieg zwischen der NATO und Russland auf ukrainischem Boden erst 2030 enden wird – wenn die Ukraine im Grunde aufgehört hat zu existieren. Seine Frist liegt irgendwann zwischen 2027 und 2030 – eine Prognose, die bisher niemand gewagt hat abzugeben. Und für Gurulyow bedeutet "aufhören zu existieren", tatsächlich von der Landkarte zu verschwinden. Impliziert ist die logische Schlussfolgerung der militärischen Sonderoperation, die immer wieder vom Kreml und vom russischen Sicherheitsrat wiederholt wird: die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine; ein neutraler Status der Ukraine und keine NATO-Mitgliedschaft sowie die "Unteilbarkeit der Sicherheit" für Europa und den postsowjetischen Raum gleichermaßen.

Was Gurulyow im Wesentlichen sagte, ist, dass bis wir vor diesen Tatsachen stehen, der Kreml und der russische Generalstab keine Zugeständnisse machen werden. Man wird keinem von Washington auferlegten "eingefrorenen Konflikt" oder einem vorgetäuschten Waffenstillstand zustimmen, von dem jeder weiß, dass er nicht eingehalten wird, so wie die Vereinbarungen von Minsk auch nie eingehalten wurden.

Und doch hat Moskau ein Problem. Sosehr der Kreml darauf bestehen mag, dass dies kein Krieg gegen die slawisch-ukrainischen Brüder und Cousins ​​ist – was bedeutet, dass keine Strategie des Schocks und des Schreckens im amerikanischen Stil zum Einsatz kommt, mit dem alles, was in Sichtweite ist, pulverisiert wird –, impliziert die Einschätzung von Gurulyow, dass die Zerstörung des gegenwärtigen korrupten ukrainischen Staats ein Muss ist.

Eine umfassende Analyse dieses ausschlaggebenden Scheideweges, wie er sich derzeit darbietet, argumentiert zu Recht, dass, wenn sich Russland zehn Jahre in Afghanistan und zusammengenommen weitere zehn Jahre in Tschetschenien engagieren konnte, dann könnte die derzeitige militärische Sonderoperation – obendrein noch gegen die volle Macht der NATO – durchaus noch sieben Jahre dauern. Die Analyse argumentiert auch richtigerweise, dass für Russland der kinetische Aspekt dieses "Beinahe-Krieges" nicht einmal der relevanteste ist.

Was in diesem Konflikt, der in allen Aspekten ein Krieg auf Leben und Tod gegen den westlichen Neoliberalismus ist, wirklich zählt, ist ein großes russisches Erwachen, das bereits stattgefunden hat: "Russlands Ziel ist es, in den Jahren 2027 bis 2030 nicht als bloßer 'Sieger' hervorzugehen, der über den Ruinen eines bereits vergessenen Landes steht, aber als ein Staat, der sich wieder mit seinem historischen Erbe verbunden und seine Prinzipien wiederhergestellt hat, sich selbst und seinen Mut wiedergefunden hat, um seine eigene Vision der Welt zu verteidigen."

Ja, dies ist ein zivilisatorischer Krieg, wie Alexander Dugin meisterhaft argumentiert hat. Und hier geht es um eine zivilisatorische Wiedergeburt. Und doch ist dieser Krieg für die neokonservativen Psychos im Westen nur ein weiterer Versuch, um Russland ins Chaos zu stürzen, eine Marionettenregierung zu installieren und seine natürlichen Ressourcen zu plündern.

Die Lunte brennt

Die Einschätzung von Gurulyow wird von jener von Andrei Besrukov hervorragend ergänzt. Besrukov ist ehemaliger Oberst des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR und ist jetzt Professor des Lehrstuhls für angewandte Analyse internationaler Probleme in der Kaderschmiede MGIMO in Moskau und Vorsitzender der Denkfabrik des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik.

Besrukov weiß, dass das Imperium die kommende massive NATO-Demütigung in der Ukraine nicht hinnehmen wird. Er argumentiert zudem, dass das Imperium sogar noch vor dem von Gurulyow genannten Zeitfenster von 2027 bis 2030 zwangsläufig das südliche Eurasien in Brand setzen wird – von der Türkei bis nach China.

Präsident Xi Jinping sagte zu Präsident Putin bei seinem denkwürdigen Besuch im Kreml im vergangenen Monat, die Welt erlebe jetzt Veränderungen, wie sie "seit 100 Jahren nicht mehr gesehen wurden". Besrukov erinnert uns passenderweise an den damaligen Stand der Dinge: "In den Jahren von 1914 bis 1945 befand sich die Welt in demselben Zwischenzustand, in dem sie sich jetzt befindet. Diese dreißig Jahre haben die Welt komplett verändert: von Imperien mit Pferden hin zur Entstehung von Atommächten, der UNO und den interkontinentalen Flugreisen. Wir treten in eine ähnliche Periode ein, die diesmal etwa zwanzig Jahre dauern wird."

Europa wird vorhersehbar "dahinschwinden", da es "nicht mehr das absolute Zentrum des Universums ist". Inmitten dieser Machtumverteilung greift Besrukov einen der Kernpunkte auf, aus einer in jüngerer Vergangenheit von André Gunder Frank entwickelten wegweisenden Analyse: "Vor 200 bis 250 Jahren befanden sich 70 Prozent der Produktion in China und Indien. Wir gehen ungefähr dorthin zurück, was auch der Bevölkerungsgröße entsprechen wird."

Kein Wunder also, dass diese sich rasant entwickelnde Region – die Besrukov als südliches Eurasien bezeichnet – zu einer "Risikozone" werden könnte, die möglicherweise vom Hegemon in ein riesiges Pulverfass verwandelt wird. Er skizziert zudem, wie das südliche Eurasien von umstrittenen Grenzen durchzogen ist – wie in Kaschmir, zwischen Armenien und Aserbaidschan oder zwischen Tadschikistan und Kirgisistan. Der Hegemon wird zwangsläufig an einem Aufflammen militärischer Konflikte um diese umstrittenen Grenzen interessiert sein sowie an einem Aufkommen separatistischer Tendenzen, wie zum Beispiel in Belutschistan – Gelegenheiten für klandestine CIA-Operationen in Hülle und Fülle.

Dennoch werde Russland über die Runden kommen, so Besrukov: "Russland hat sehr große Vorteile, weil es der größte Nahrungsmittelproduzent und Energielieferant ist. Und ohne billige Energie gibt es keinen Fortschritt und keine Digitalisierung. Außerdem sind wir das Bindeglied zwischen Ost und West, ohne das der Kontinent nicht leben kann, weil der Kontinent Handel betreiben muss. Und wenn es im Süden brennt, dann werden die Hauptrouten für den Handel nicht über die Ozeane im Süden führen, sondern über jene im Norden, hauptsächlich über Land."

Die größte Herausforderung für Russland wird darin bestehen, die innere Stabilität zu wahren. "Alle Staaten werden sich an diesem historischen Wendepunkt in zwei Gruppen aufspalten: In die Gruppe jener Staaten, die ihre innere Stabilität wahren und vernünftig und unblutig in den nächsten technologischen Zyklus übergehen können – und in die Gruppe derjenigen Staaten, die dazu nicht in der Lage sein werden, die vom Weg abkommen und einen blutigen inneren Konflikt auslösen, wie wir es vor hundert Jahren schon einmal erlebt haben. Letztere werden in ihrer Entwicklung zehn bis zwanzig Jahre zurückgeworfen, werden anschließend ihre Wunden lecken und versuchen, alle anderen einzuholen. Die wichtigste Aufgabe ist also, die innere Stabilität aufrechtzuerhalten."

Und hier wird das von Gurulyow angedeutete große russische Erwachen, die Wiederverbindung Russlands mit seinem wahren zivilisatorischen Ethos, eine einigende Rolle spielen. Es ist noch ein langer Weg bis dahin – und nebenbei muss noch ein Krieg gegen die NATO gewonnen werden. In der Zwischenzeit strickt die Journaille im Westen neuerdings am Narrativ, dass sich der Nordatlantik nach Südchina verlagert hat. Na dann: Gute Nacht und viel Glück.

Übersetzt aus dem Englischen.

Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Er wurde von Facebook und Twitter aus politischen Gründen verbannt, aber man kann ihm auf Telegram folgen.

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