Von Susan Bonath
Corona, Energie, Klima und Kriegsrhetorik: Die deutsche Politik agiert immer aggressiver und autoritärer. Sie treibt das Land in den Krieg, Teile der Bevölkerung in die Armut und das Kleinkapital in den Ruin. Damit die sozialen Folgen nicht zu Unruhen führen, scheint sie jetzt zu handeln. Die am Donnerstag vom Bundestag beschlossene Novelle des Energiesicherungsgesetzes sieht vor, Privatvermögen von Energiekonzernen notfalls beschlagnahmen zu können.
Die Regierung will sich so "auf alle denkbaren Notlagen vorbereiten", um "die Energieversorgung sicherzustellen", wie sie behauptet. Der neue Paragraf 17b des Gesetzes soll "die Übertragung von Vermögensgegenständen von Unternehmen unter eine Treuhandverwaltung zur Energiesicherung" ermöglichen, um zu vermeiden, dass die Versorgung mit Strom und Wärme zusammenbricht.
Die Regelung ist eine Kann-Bestimmung. Offensichtlich will die "Ampel" damit Teile der Bevölkerung beruhigen, die angesichts der Teuerung schon jetzt nicht wissen, wie sie über den Monat kommen sollen. Grund für die explodierten Preise für Energie und Nahrungsmittel ist vor allem ihre eigene Sanktionspolitik gegen Russland – das verordnete Feindbild Nummer 1.
Die Bundesregierung hat es damit wohl primär auf die Erdölraffinerie in Schwedt abgesehen. Die befindet sich großteils in russischem Besitz und versorgt hauptsächlich Berlin und Brandenburg mit Heizöl, Diesel und Benzin. E.ON, RWE und anderen deutschen Energiekonzernen wird man mutmaßlich eher nicht ans Leder gehen. Mit anderen Worten: Der deutsche Staat soll offenbar per Gesetz russisches Kapital enteignen können. Das erinnert ein wenig an ein dunkles deutsches Kapitel, nicht aber an irgendwelche geheimen Sozialismus-Pläne. Davon abgesehen: Um die Armen ging es der Regierung noch nie.
Sozialismus im Anmarsch?
Trotzdem sieht der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse mal wieder rot. In seiner Rede im Bundestag vergangenen Donnerstag beschwor er einen "Sozialismus" herbei, den eine "grün-kommunistische Bundesregierung" mit diesem Gesetz angeblich anstrebe. So dankbar man der AfD bezüglich Corona-Aufklärung und Kritik an Waffenlieferungen an das Kiewer Regime sein kann, der Sozialismus-Alarm ist ein Produkt der im Westen besonders tief verwurzelten antikommunistischen Propaganda – und blanker Unsinn.
Man müsste vielleicht erst einmal klären, was die Theorien von Sozialismus und Kommunismus von der des Kapitalismus unterscheiden. Es geht primär um das Eigentum an Produktionsmitteln. Im Sozialismus sollen diese der gesamten Gesellschaft gehören, im Kapitalismus sind sie in Privatbesitz. Um es zu verdeutlichen: Das private Wohnhaus oder Auto sind keine Produktionsmittel. Es geht um das Eigentum an Konzernen, Rohstoffen, Agrarflächen und so weiter, also um Kapital für die Produktion von Waren aller Art.
Kapitalisten sind zum Beispiel Großaktionäre von Rheinmetall und Pfizer, die fürstlich davon profitieren, ihre Waren mit maximalem Profit zu verkaufen. Profit fällt für sie ab, wenn sie Lohnarbeitern nicht das bezahlen, was sie eigentlich erwirtschaften. Der sogenannte Mehrwert wandert in die Kassen der Konzerne. Das führt zu gegensätzlichen Interessen von Kapitalisten und Lohnabhängigen. Der Staat muss diese Widersprüche managen und verhindern, dass die "kleinen Leute" auf die Barrikaden gehen.
Würde die Regierung tatsächlich "Sozialismus" anstreben, müsste sie erst einmal die Interessen der Lohnabhängigen obenan stellen. Doch seit Jahrzehnten tut sie in Deutschland genau das Gegenteil: Sie kürzte Renten sowie soziale und Gesundheitsleistungen. Sie führte das repressive Hartz-IV-Sanktionsregime ein, das auch für das Bürgergeld gilt. Sie privatisierte Kliniken und Pflegeheime zuhauf. Eine Abkehr davon ist wahrlich nicht in Sicht – eher ist das Gegenteil der Fall – schon gar nicht ist die Regierung in irgendeiner Form "kommunistisch".
In der Theorie soll Sozialismus den Übergang zum Kommunismus bereiten. Die Utopie des Kommunismus beschreibt eine Gesellschaft ohne Herrschaft, Staat und Geld. Die Produktionsmittel sollen der Bevölkerung gehören und kommunal verwaltet werden. Die Menschen sollen selbst bestimmen, was produziert werden muss, um ihren Bedarf zu decken. Statt Konkurrenz ist Kooperation vorgesehen, jeder soll sich nach seinen Fähigkeiten einbringen und nach seinen Bedürfnissen erhalten. Das ist freilich Utopie.
In Deutschland und im gesamten Westen hat jetzt niemand angekündigt, das Kapital zu enteignen und den Staat in die Hände der Arbeiterklasse zu legen, um dann dafür zu sorgen, dass Betriebe nicht mehr für Profit, sondern für die Versorgung der Gesellschaft produzieren. Bei aller Fantasie: Davon sind wir weit entfernt.
Der imperialistische Realkapitalismus
Nun verbindet mancher mit Kapitalismus eine Art friedlichen Gemüsemarkt, wo jeder fröhlich produziert, verkauft und kauft. Die freie Konkurrenz bringt viele schöne Innovationen, und jeder kann je nach Leistung auf- oder absteigen. Das entspricht natürlich nicht der Realität. Und so geht die These um: Was wir erleben, sei überhaupt kein Kapitalismus mehr.
Indessen gab es diesen "friedlichen Gemüsemarkt" zu keiner Zeit. Selbst die freieste Konkurrenz bedurfte vor 200 Jahren eines Staates, der die Widersprüche zwischen Besitzlosen und Besitzenden reguliert. Man musste immer dafür sorgen, dass die Arbeiter ohne zu murren in den Fabriken schufteten. Auch die Konkurrenz zwischen den Kapitalisten bedurfte seit jeher eines politischen Rahmens, damit die Überbietungswettbewerbe nicht im kriminellen Hauen und Stechen enden.
Der Konkurrenzkampf hat natürlich trotzdem dazu geführt, dass der Starke gewinnt und der Schwache untergeht. Die größeren Unternehmen sind gewachsen, haben sich mit dem Geldkapital vereint, daraus hervorgegangen sind riesige Konzernverbände, bei denen sich das Vermögen konzentriert hat. Deren Lobbyverbände, Stiftungen und Beratungsgesellschaften gehen heute bei der Regierung ein und aus, ihre Vertreter sitzen zuweilen selbst in Parlamenten. Zwischen Staat und Kapital passt kaum ein Blatt Papier.
Das System der permanenten, profitablen Kapitalverwertung hat zu dem geführt, was wir heute live erleben. Die fortschreitende Monopolisierung konnte Karl Marx schon vor 150 Jahren voraussehen, und Lenin beschrieb die Verschmelzung von Staat und Finanzkapital zu einer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einheit. Er nannte dies Imperialismus, der zu konkurrierenden Machtblöcken führt.
Aus den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert sind die USA als stärkste imperiale Macht hervorgegangen. Ihr Dollar ist die Leitwährung, ihr weltweit stationiertes Militär mimt eine globale Polizei. US-Konzerne beuten Menschen in aller Welt aus, Regierungen anderer Länder, die der US-Führung nicht passen, wechselt sie aus. Und wer nicht willig ist, den überziehen sie mit Krieg. Weil sie als einzelner Staat die Weltmacht längst nicht mehr sichern können, haben die USA einen Block um sich geschart.
Die NATO ist der militärische Ausfluss dieser imperialen Herrschaft. Sie soll den wirtschaftlichen Einfluss westlicher Monopole und Politik vergrößern. Es geht um das Beherrschen der Märkte, denn wer diese dominiert, beherrscht die Welt. So marodiert die NATO durch Europa und buhlt um Mitgliedschaften, um ihren Einfluss stetig auszuweiten. Man könnte dies ein wenig mit der Schutzgelderpressung der Mafia vergleichen: "Sicherheit" gegen Unterwerfung.
Konkurrenzkampf auf höherer Stufe
Heute stehen sich im Wesentlichen zwei Machtblöcke gegenüber: die NATO-Staaten in Nordamerika und der EU und die Riesenländer China und Russland. Wer von beiden imperialistischer agiert (Militärbasen, Wirtschaftskriege, Aktivitäten von Konzernen in anderen Ländern, also Kapitalexport und so weiter) kann sich jeder selbst überlegen. Am Ende wird es wohl darauf ankommen, wem sich der Rest von Asien, Lateinamerika und Afrika zuwendet – und da sieht es für Europa nicht gerade gut aus.
Wo Finanzmonopole die Märkte dominieren, die Wirtschaftskreisläufe und Preise bestimmen, kann freilich von freier Konkurrenz nicht mehr die Rede sein. Dennoch existiert die Konkurrenz, allerdings auf einer höheren Stufe, sonst dürfte es nur noch ein Supermonopol geben, das die ganze Welt beherrscht.
Doch selbst ein Supermonopol wäre das Gegenteil von Sozialismus. Die Theorie besagt schließlich nicht, dass die gesamte Weltwirtschaft einem Privatkonzern mit irgendwelchen superreichen Anteilseignern gehören soll, sondern eben allen. Und alle sollen danach bestimmen dürfen, was für ihren Bedarf entwickelt und produziert werden muss. Hier schrillt gewöhnlich bei vielen die nächste Alarmglocke: Planwirtschaft!
Nun ist es ja nicht so, dass es im Kapitalismus keine Planwirtschaft gibt. Vor allem plant jeder Konzern seine Produktion, wovon auch immer, im Voraus und mit dem Ziel des größtmöglichen Gewinns. Dabei geht es nicht darum, was die Bevölkerung so benötigt, sondern darum, was man zu Geld machen kann. Dabei kommen dann auch Produkte heraus, die manche von uns nicht gut finden: Atombomben zum Beispiel oder mRNA-Therapeutika, Billionen von FFP2-Masken für die Gesamtbevölkerung und weiteres in dieser Art.
Jedoch konnten Marx und Lenin noch nicht ahnen, wie weit sich die Technologie entwickeln würde. Die Digitalisierung beispielsweise sahen sie freilich nicht voraus. Diese sorgt ganz offensichtlich dafür, dass der Imperialismus des 20. Jahrhunderts, der unter anderem zu zwei Weltkriegen führte, noch nicht das Ende der kapitalistischen Entwicklung ist, wie Lenin glaubte. Der digitale Fortschritt, aber auch der Vorstoß zur "grünen Energie" haben riesige neue Märkte und Anlagemöglichkeiten für die Kapitalverwertung geschaffen. Ein Ende ist also nicht in Sicht und schon gar kein Sozialismus in Deutschland.
Die gescheiterten Versuche
Nein, Deutschland mit seinen neuen Verelendungstendenzen à la USA droht nicht zu einem "Arbeiter- und Bauernparadies" zu werden. Warum hält sich das Gerücht dennoch so wacker? Das liegt vielleicht auch an verkürzten Vergleichen mit den gescheiterten Sozialismusversuchen in der Sowjetunion, der DDR und im restlichen sogenannten "Ostblock", die mehr oder weniger im Autoritarismus stecken blieben.
Natürlich: Gängelei war dort mehr oder weniger Alltag und die Reisefreiheit stark beschränkt, und China soll doch seine Leute auch extrem durchleuchten. Da liegt der Vergleich mit der Coronapolitik sehr nahe, nur haben die Entwicklungen von damals und heute völlig andere Ursachen.
Im Kapitalismus geht es immer noch darum, die Interessen bestimmter Kapitalfraktionen zu bedienen. An Corona-Präparaten etwa verdienten sich bestimmte Pharmariesen eine sprichwörtlich goldene Nase, auch die deutschen Energiekonzerne zockten in den vergangenen Monaten besonders kräftig ab. Der Kapitalismus wird autoritärer, wenn die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr "demokratisch" lösbar erscheinen, sondern nur noch mit Gewalt.
Der damalige "Ostblock" indes litt unter vielen Problemen, er war von imperialem Markttreiben umgeben. Wegen fehlender eigener Ressourcen konnte er nicht wirtschaftlich unabhängig werden. Der "Kalte Krieg" zwang ihn dazu, viel Geld in die Verteidigungsfähigkeit zu stecken. Der Mauerbau in der DDR war vorrangig eine Folge der massiven Abwerbung von gut ausgebildeten Fachkräften, ohne die das kleine Land aufgeschmissen gewesen wäre.
Wir kennen das heute auch: Anstatt eigene Fachkräfte auszubilden und dann gut zu bezahlen, nimmt der deutsche Staat ein Fünf-Millionen-Heer an Arbeitslosen in Kauf und rekrutiert die Gesuchten aus ärmeren Ländern. Das degradiert die Betroffenen zu einer Art Handelsware, zu schnödem Humankapital, und schwächt zugleich ihre Heimatländer. Auch so bewahrt sich der Westen imperiale Vormacht.
Zurück zum "autoritär" strukturierten "Ostblock": Diese Entwicklung damals war sicher eine Reaktion auf äußere Bedrohungen und innere Widersprüche. Die Angst, vom imperialen Westen geschluckt zu werden, war nicht ganz unbegründet, wie man heute weiß. Man kann das nun schlimm finden, Fakt ist aber dennoch, ob DDR, Sowjetunion oder heute China, sie alle schafften es unter schwierigsten Bedingungen, Sozialsysteme aufzubauen, die in der kapitalistischen Welt ihresgleichen suchen. Ein Grund dafür war sicher, dass es, zumindest im damaligen Ostblock, wirtschaftlich nicht um Profit von Privatiers ging.
Gleichwohl haben alle Versuche dieser Art bisher eines gezeigt: Ein sozialistischer Weg nach Lehrbuch ist inmitten des globalen imperialen Treibens schlicht genauso wenig möglich wie beim heutigen Entwicklungsstand der Technologie eine abgeschottete nationale Wirtschaft. Auch China kann man beileibe keine sozialistische Entwicklung nach Lehrbuch bescheinigen, dafür gibt es dort bereits zu viel Privatkapital.
Der glorifizierte Markt
Die Annahme, dass es je einen friedlich-freien Markt mit fröhlich-innovativer Konkurrenz gegeben habe, ist wohl vorwiegend auf die westliche Dauerpropaganda zurückzuführen. Das Wörtchen "alternativlos" spielt darin eine große Rolle. Wir kennen es – ob es um Privatisierung von Kliniken oder die Sanktionen gegen Russland geht – alles ist "alternativlos", man wolle schließlich keinen "bösen Sozialismus".
Grund für alles wirtschaftliche und sozialpolitische Handeln ist stets "der Markt" mit seinem "Wettbewerb", wie man den dauerpräsenten Konkurrenzkampf verniedlichend bezeichnet. Wie ein gottgleiches Etwas ist der glorreiche Markt mal prosperierend, mal verhalten, stellenweise auch unruhig, und wenn die Politik das Rentenalter anhebt oder die Arbeitslosenhilfe kürzt, reagiert sie eben damit auf "den Markt".
Nun ist der Markt aber weder eine Person noch ein Gott, sondern just menschengemacht und politisch geregelt. Er hat dafür gesorgt, dass die Reichen reicher und die Armen mehr werden. Wer sich nichts kaufen kann, verhungert eben. Der Markt ist hart umkämpft, um seinetwillen wird Krieg geführt und sanktioniert, Wasser abgegraben, die Umwelt zerstört, werden die Ozeane verseucht. Der lohnabhängige Mensch muss seine Arbeitskraft auf diesem Markt zur Ware machen, und jeder konkurriert gegen jeden. Das ist eben der Markt, auch wenn das nicht so gut zur Propaganda passt. Wir sollen schließlich alle mitmachen.
Und mit allem geht es munter weiter wie bisher. Und weil es gerade so viele Verlierer gibt, wird die Politik eben zur Diktatur. Ein Sozialismus ist weit und breit nicht in Sicht, die Panikmache von Karsten Hilse völlig unbegründet. Ob das jetzt eine gute oder schlechte Nachricht ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
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