Von David Narmania
Den Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in China würden manche als Fehlschlag bezeichnen. Anfänglich wurde die Reise als ein Versuch betrachtet, einen Keil zwischen Moskau und Peking zu treiben. Und was kam dabei heraus?
"Europa muss für seine strategische Autonomie kämpfen. Wir möchten in kritischen Belangen keinesfalls von anderen abhängig sein. An dem Tag, an dem man in der Energie, in der Verteidigung, in den sozialen Medien, in der künstlichen Intelligenz keine Entscheidungsfreiheit mehr besitzt, weil die entsprechende Infrastruktur nicht mehr zur Verfügung steht, wird man früher oder später aus der Geschichte (der Menschheit) herausfallen", sind die Aussagen von Macron nach seiner Reise.
Anschließend fügte Macron noch hinzu, Europa dürfe sich nicht in die Konfrontation zwischen den USA und China über Taiwan einmischen, man müsse endlich aufhören, sich dem Weißen Haus anzupassen.
Erinnert dies nicht an die "Freiheit als Anführer des Volkes", die zu den Barrikaden im Kampf gegen die amerikanische Herrschaft führt?
Natürlich entging dies nicht der Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten. Zur Antwort wurde Marco Rubio, der Senator aus Florida, berufen. Zweitrangig, bestimmt. Er warnte, dass wenn Europa im Kampf um Taiwan neutral bleiben wolle, es sich überlegen solle, wie man den Konflikt in der Ukraine lösen könne, in den die USA hineingezogen worden seien.
Rubio lügt, das ist ganz natürlich. Denn die Konfrontation ist für Washington von unmittelbarem Interesse. Würde man versuchen, den globalen Wald hinter den Bäumen der ukrainischen Krise zu erkennen, ergäbe sich folgendes Bild: Es geht bei den heutigen Ereignissen nicht nur und nicht so sehr um die Ukraine. Es geht um Europa.
Selbst wenn morgen russische Panzer in Lemberg eintreffen, mögen die Sicherheitsrisiken für unser Land zwar abnehmen, doch werden sie nicht verschwinden. Die NATO wird weiterhin an den Grenzen Russlands operieren und auf keinen Fall weniger feindselig werden. Eine direkte Konfrontation führt zu einer Katastrophe – das versteht man in Moskau, Washington und anderen nordatlantischen Hauptstädten. Man wird versuchen, diese zu vermeiden.
Eine friedliche Koexistenz funktioniert aber auch nicht – Wladimir Putin hat zu Beginn seiner Regierungszeit versucht, Russland in die Allianz einzubinden, doch diese Initiative wurde in Brüssel kühl abgetan. Schließlich wurde die UdSSR im Kalten Krieg nicht "besiegt", um sich mit ihrem Nachfolger anzufreunden. Außerdem macht es keinen Sinn, jemanden in sein Bündnis aufzunehmen, den man als Feind betrachtet.
Gerade deshalb waren die Ereignisse in der Ukraine vorherbestimmt – es war das, was der Westen wollte und Russland blieb keine andere Wahl. Alle Friedensinitiativen Moskaus – ob "Minsk" oder "Istanbul" –, sie dienten dem Westen zur Stärkung der ukrainischen Streitkräfte und nicht dazu, Gegensätze zu beseitigen.
Mit einem Blitzkrieg hätte man zwar den Sieg über die Ukraine errungen, jedoch wären dann anderswo an Russlands Grenzen neue Konflikte ausgebrochen. Aus der Niederlage Kiews hätte niemand eine Lehre ziehen können, genauso wenig wie aus der Niederlage Tiflis' im Jahr 2008.
Die Absicht des Kremls bei dieser Konfrontation ist daher nichts Geringeres als die Zerschlagung der NATO in ihrer jetzigen Form durch die Abspaltung Europas von den Vereinigten Staaten. In der Anfangsphase, als sich der Westen noch sicher war, die russische Wirtschaft mit Sanktionen in die Knie zwingen zu können, sind Paris und Berlin nach Washington geeilt. Mit dem Fortschreiten des Konflikts wird allerdings deutlich, dass die Amerikaner Europa zum Machterhalt benötigen und dafür vor keiner Methode zurückschrecken werden.
Ein anschauliches Beispiel liefert Deutschland: Vor dem Februar war es der wirtschaftliche Motor der Europäischen Union mit einer zuverlässigen Rohstoffversorgung und fortschrittlichen Technologien. Nun ist es ein Satellit der Vereinigten Staaten, wobei der Energiesektor vollständig vom überseeischen Partner kontrolliert wird. Im Weißen Haus will man die Zuständigkeit für Europa an Polen delegieren – man denke nur an die Geschichte von Nord Stream und Baltic Pipe. Interessanterweise trägt Berlin selbst aktiv zu diesem Szenario bei: Deutschland ist der größte Geber wirtschaftlicher Hilfe für die EU, und Polen ist ihr Hauptempfänger.
Unterstützt wird all dies auch durch Warschaus Kurs der Militarisierung und das Bestreben, Berlin den Ruf als "Verteidiger Europas im Osten" abzusprechen. Die umfangreichen Rüstungskäufe, einschließlich der neuesten koreanischen Panzer, und Pläne zur Errichtung von Munitionsfabriken mit abgereichertem Uran sind ein deutlicher Beweis dafür. Polen träumt davon, in der EU eine Art Stephen aus "Django Unchained" für die USA zu werden, der bei Versuchen, seinem Herrn nicht zu gehorchen, als Erster entrüstet sagt: "Was erlaubt sich dieser Europäer?"
Ein Paradebeispiel: Es waren die polnischen Medien, die über Frankreichs Blockade des EU-Beschlusses zur Lieferung von Munition an die Ukraine berichtet haben. Paris wird vorgeworfen, den eigenen Rüstungsunternehmen in diesem Konflikt einen Vorteil verschaffen zu wollen. Erlaubt ist das aber nur den Vereinigten Staaten!
Die traditionelle Führung der Europäischen Union kann mit einem solchen Arrangement nicht glücklich sein, um aber ernsthaft damit zu beginnen, die eigenen nationalen Interessen anstelle der amerikanischen zu vertreten, bedarf es anscheinend schwerwiegender wirtschaftlicher Turbulenzen und wahrscheinlich eines Generationenwechsels der herrschenden Eliten.
Russland ist in der Lage, den Sanktionen entgegenzutreten, wie aber kann es die EU und die USA in der wirtschaftlichen Konfrontation überbieten, wenn nur das Geld die europäischen Eliten zur Vernunft bringen kann? Und hier kommt China ins Spiel, die führende Wirtschaftsmacht der Welt und wichtigster Handelspartner der EU ab dem Jahr 2020. Diese Position konnte Peking trotz der immer komplexeren Logistik nach dem Start der militärischen Spezialoperation beibehalten. Und gerade die Volksrepublik China ist imstande, Europa den benötigten Handlungsspielraum zu verschaffen, um seine Souveränität zurückzuerlangen. Ebenso wie andere Partner Russlands, die es wagen, eine unabhängige Politik zu verfolgen. Generell alle, die es nicht geschafft haben, in der "zivilisierten Welt" anzukommen.
Doch warum sollte Russland für die Souveränität Deutschlands und Frankreichs kämpfen? Weil sie sonst Teil einer feindlichen Organisation bleiben, die sich, wie wir festgestellt haben, offen auf eine bewaffnete Konfrontation vorbereitet hat. In erster Linie kämpft Russland für sich selbst, und eine weitere Nichteinmischung hätte die Situation nur noch verschlimmert. So funktioniert es halt in der Politik: Wenn man nicht zu den Akteuren des großen Spiels gehört, ist man die Beute in diesem Spiel.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
Mehr zum Thema - Politico: USA planen beispiellose Beschränkungen für Investitionen in China