von Susan Bonath
Journalisten sollen die Realität bestmöglich wiedergeben. Dafür genügt es nicht, ungeprüft aus Pressemitteilungen bestimmter Interessengruppen zu zitieren oder von Kollegen abzuschreiben, schon gar nicht in Kriegs- und Konfliktsituationen. Darum sollen Journalisten recherchieren, am besten vor Ort, und alle Seiten einer Sache beleuchten. Wer diesen Standard verletzt, betreibt Propaganda. In Sachen Ukraine-Krieg ist Propaganda jedoch erwünscht. Wer sich um Objektivität bemüht, landet schnell im Abseits.
Rauswurf nach Medienkampagne
So erging es dem Journalisten Patrik Baab, der schon viele Top-Recherchen für den NDR produziert hat. Als er im vergangenen September im nach wie vor massiv von der ukrainischen Armee bombardierten Osten der Ukraine unterwegs war, um für ein Buchprojekt zu recherchieren, ereilte ihn eine Medienkampagne.
Zuerst ging das vom Werbekonzern Ströer betriebene Webportal t-online auf ihn los, stellte ihn, gespickt mit allerlei Schimpfworten, entgegen der Wahrheit als offiziellen "Wahlbeobachter" beim "Scheinreferendum" dar, der sich von der russischen Regierung habe einspannen lassen. Andere Medien, darunter der Spiegel, das Redaktionsnetzwerk Deutschland und sogar das CAU-Campusradio schrieben von diesem Bericht ab, ohne die Geschichte selbst auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Allein auf dieser Grundlage widerrief die Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel Baabs Lehrauftrag für das folgende Wintersemester. Auch die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin erklärte umgehend, den Journalisten nicht mehr beschäftigen zu wollen.
Gerichtsverhandlung und Widerstand
Baab sieht damit nicht nur seine Grundrechte der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit ausgehebelt, sondern auch grundlegende journalistische Standards verletzt. Wer Journalisten die Recherche verbietet, handle antidemokratisch und funktioniere die Presse zum politischen Propagandaorgan um, so Baab.
Er verklagte daher die CAU auf Rücknahme des Widerrufs seines Lehrauftrags. Das Verwaltungsgericht Schleswig verhandelt seinen Fall am 25. April. Auch andere sind mit seinem Rauswurf nicht einverstanden.
Ein Bündnis, dem auch Studenten angehören, unterstützt die Klage. Auf einer von diesem organisierten Solidaritätsveranstaltung nahm Baab nun selbst Stellung zu den Vorgängen um seine Person. Er sprach von einem Propagandakrieg, in dem Leitmedien und Universitäten wie eine politische Kriegspartei auf ukrainischer Seite agierten. Die Rede liegt der Autorin schriftlich vor.
Recherche unter Beschuss
Baab schildert darin, dass seine Reise in den Donbass seit Monaten geplant war. Dass zu dieser Zeit in den russisch besetzten Gebieten Referenden über den Anschluss an Russland abgehalten werden, habe er weder vorher wissen noch einkalkulieren können. Es sei bloßer Zufall gewesen.
Baab plant, ein Buch über den Konflikt zu schreiben. Dafür habe er die Situation in der Ostukraine vor Ort beleuchten, die Stimmung einfangen und mit Einwohnern reden wollen. Im Vorjahr habe er deshalb bereits die Westukraine bereist. Um ein vollständiges Bild der Lage zu bekommen, sei es notwendig, auch darzustellen, was die Menschen im Donbass wollen und wie die Realität dort aussieht. Zunächst beschreibt Baab, wie er von der Kampagne erfuhr:
"Am 25. September 2022 stehe ich am Fenster des Hotels Park Inn in Donezk in meinem Zimmer im fünften Stock. Ich beobachte, wie eine Artilleriegranate ein Wohnhaus trifft. 800 Meter von mir entfernt kracht ein Teil der Fassade herunter. Etwa zur gleichen Zeit erreicht mich eine Textnachricht von t-online."
Der Redakteur Lars Wienand habe von Baab wissen wollen, ob er "als Wahlbeobachter bei den Referenden in den von Russland besetzten Gebieten" tätig sei. Baab habe dem Autor gegenüber klargestellt, "dass ich einer Journalistengruppe angehöre". Dies sei auch notwendig in dieser Situation.
Baab erläutert weiter: Man könne schon aus Sicherheitsgründen nicht einfach ohne jede Anbindung an regionale Behörden durch eine Region laufen, die ständig bombardiert wird und von Minen übersät ist. Das gehe allen Kriegsreportern so. Diese deshalb als Vertreter einer Seite zu brandmarken, sei unseriös und absurd.
t-online startete Fake-News-Kampagne
Genau so habe t-online-Redakteur Wienand den ehemaligen NDR-Journalisten jedoch dargestellt. Baab berichtet über die ursprüngliche Version des Artikels, der die Medienkampagne einläutete:
"Während mein Begleiter und ich im Donbass Milizen, Scharfschützen, Artilleriegranaten und Minen zu entgehen versuchen, blasen Sitzredakteure in Deutschland zum publizistischen Angriff. Ein Wahlbeobachter sei ich gewesen bei Putins Scheinreferenden, ein Apologet des Kremls, ein Journalist auf politischen Abwegen."
Die Universitäten in Kiel und Berlin seien sofort auf diese Falschmeldungen eingegangen, "die fabriziert wurden, damit jemand darauf hereinfällt", so Baab. Das Portal t-online sei bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Denunziationskampagnen aufgefallen. Für Baab ist das ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, der alle betreffe. Er wandte sich an sein Publikum in Kiel:
"Eigentlich geht es um Sie, um Ihre Meinungs- und Informationsfreiheit, um Ihre Freiheit von Forschung und Lehre. Es geht um Artikel 5 des Grundgesetzes. Es geht darum, wie im Dienst der Propaganda Schreibtischtäter versuchen, öffentliche Meinung zu zensieren, akademisches Leben politisch zu säubern und Existenzen zu vernichten; und so ein Exempel zu statuieren, durch die Erzeugung von Angst vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen – bei Ihnen allen."
Baab berichtete von seinen Erlebnissen im Donbass, vom ständigen Beschuss durch die ukrainische Armee, von Granaten, die ihn und seinen Begleiter nur knapp verfehlt hätten und von einem Angriff auf das Hotel in Donezk, in dem sie wohnten. Er berichtete auch davon, dass ihr lokaler Begleiter, der sie sprachlich und logistisch unterstützt hatte, wenige Wochen nach ihrer Reise durch Beschuss mit westlichen HIMARS-Raketen getötet worden sei.
NATO-konform herausgefilterte Fakten
Im Donbass sei Baab auf örtlichen Pressekonferenzen aufgetreten und habe seine Sicht auf das Referendum offen dargelegt. Seine Kritik daran, dass die Standards geheimer Wahlen offenbar nicht überall eingehalten wurden, zog jedoch keinerlei Konsequenzen nach sich. Zugleich führt Baab an:
"Ich habe aber auch erklärt, dass die Ergebnisse die Stimmung der Bevölkerung abbilden. Denn der Donbass wird seit 2014 von der ukrainischen Armee beschossen, es gab nach UN-Angaben mehr als 14.000 Tote. Aus diesem Grund geriet die Bevölkerung in die Opposition zur Regierung in Kiew."
Doch offenbar, so Baab, dürfe diese Wahrheit deutsche Wohnzimmer nicht erreichen. Sie passe nicht zu den Propaganda-Erzählungen des Westens. Scharf kritisierte er fehlende journalistische Standards:
"T-online präsentierte mich als Wahlbeobachter, obwohl ich deutlich erklärt habe, keiner zu sein. Das Portal suggerierte, Putins Angriffskrieg sei mir egal. Dagegen bin ich juristisch vorgegangen. Mögen mich russische Medien als Wahlbeobachter bezeichnet haben – es wäre die Aufgabe von t-online gewesen, den Vorgang zu prüfen. Medien sind ein Filter, der aussieht wie ein Fenster. Im Journalismus reicht es eben nicht, am Schreibtisch zu sitzen und in den Computer zu gaffen."
Ströer-Portal stachelte wohl die Unis auf
Doch der Autor vom Ströer-Portal t-online begnügte sich nicht damit, seine eigene Sichtweise auf der Webseite zu verewigen. Wienand stachelte offenbar auch die Universitäten auf, um einen Rauswurf Baabs zu provozieren. Laut Baab fragte Wienand zunächst bei der HMKW in Berlin an, was sie von Baabs vermeintlicher Tätigkeit als "Wahlbeobachter" im Donbass halte und ob sie diese befürworte.
Die Hochschule war sogleich besorgt um ihren "guten Ruf". Denn bekanntermaßen sieht die tonangebende Erzählung in Deutschland die Russen seit dem Februar 2022 als die alleinigen Übeltäter, wohingegen über der Ukraine als angeblich bloßem Opfer eine Art Heiligenschein leuchtet. Wer von diesem Muster abweicht, kann schnell unter die Beobachtung der Geheimdienste geraten oder vor Gericht landen. Dafür sorgen neue Kreationen dehnbarer Straftatbestände, etwa die "Legitimierung eines Angriffskrieges" oder die "Delegitimierung des Staates".
Nach der HMKW schloss sich auch die CAU der Verleumdungskampagne an. Dieser zufolge legitimiere jeder, der als Journalist vor Ort recherchiert, die örtlichen Machthaber oder gar Putin persönlich. Das entzieht Journalisten jegliche Möglichkeit, die Angaben beider Kriegsparteien mit der Realität abzugleichen; moralisch legitim erscheint nur noch, die Propaganda der eigenen Seite zu verbreiten, wohingegen andere Sichtweisen als "verwerflich" erscheinen. Für Baab bedeutet das:
"Diese Universitäten tragen die Desinformation einer Kriegspartei mit und werden damit selbst zur Kriegspartei. Sie verstoßen damit gegen die im Grundgesetz verankerte Meinungs-, Forschungs- und Lehrfreiheit."
"Intellektuelle verkaufen sich an den Meistbietenden"
Baab spricht von politischer Gleichschaltung, vom Statuieren eines Exempels, und er findet weitere harte Worte für dieses Vorgehen. Er mahnt.
"Der Konformismus wird zur Waffe. Wie bei Ulrike Guérot, die von der Universität Bonn gekündigt wurde, und Gabriele Krone-Schmalz, die massiven Angriffen ausgesetzt ist, geht es dabei um Zensur und Akte politischer Säuberung, die einer Demokratie unwürdig sind."
Diese Kampagnen zielten nicht zuletzt darauf ab, die Existenzgrundlage der Zielpersonen zu zerstören. Das allein, so Baab, offenbare bereits den antidemokratischen Charakter dieses Vorgehens. Es scheine, als soll das soziale Klima vergiftet und die demokratische Öffentlichkeit zerschlagen werden, um eine autoritäre Politik zu etablieren. Medien und Hochschulen hätten daran einen entscheidenden Anteil.
Baab sieht nicht nur seine Zunft, sondern die gesamte akademische Schicht in der Krise. Manch einer meint, resümiert er, die Intellektuellen verweigerten bloß ihre Arbeit. Aber dies treffe den Kern nicht, das Problem liege tiefer im gesamten System verborgen. Baab erklärt:
"Es geht ums Geschäft. Kopfarbeiter verkaufen ihren Kopf an den Meistbietenden. Sie werden bezahlt für ihre Ideen, mit denen sie die kulturelle Hegemonie und Herrschaft der Mächtigen organisieren."
Das herrschende Meinungsklima werde immer mehr zum Maßstab der medialen Berichterstattung. Der Kampf um Klickzahlen und die Anerkennung von oben ersetze mehr und mehr die Recherche. Kein Gericht dürfe dies durchgehen lassen, ist Baab überzeugt.
In der Tat: Wer Journalisten existenziell oder moralisch erpresst, auf Recherche zu verzichten und einseitige Meinungen als Tatsachen zu verbreiten, trägt den Journalismus zu Grabe – und beerdigt die Aufgabe der Presse als sogenannte vierte Gewalt zur Kontrolle der Herrschenden.
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