Döpfner: Ein Skandal bei Springer oder eine Nickligkeit von Holtzbrinck?

Jetzt wird geradewegs so getan, als sei die "Bild" eine moralische Anstalt und der Vorstandsvorsitzende des herausgebenden Verlags zu vorbildlichem Verhalten verpflichtet wie ein Kirchenvertreter. Dabei ist er nur Chef eines Wirtschaftsunternehmens.

Von Dagmar Henn

Eines geht einem schon beim ersten Blick auf den Skandal um den Springer-Vorstandsvorsitzenden Döpfner durch den Kopf – der weithin vorgetragene Grund, warum er nicht mehr tragbar sein solle, ist mit Sicherheit nicht der wahre. Klar, seine Aussagen bezogen auf den annektierten Teil der Republik sind arrogant und dreist, und für den Satz "die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten" gibt es sicher keine Medaille für Völkerfreundschaft.

Aber wer hat in den letzten Jahren nicht alles in diese Richtung herumgepöbelt; zugegeben, seltener mit dem altertümlichen Begriff Ossi, aber gegen "Coronaleugner", "Impfverweigerer", die immer alle gleich irgendwie "Reichsbürger" und Nazis sein mussten, oder aber "Lumpenpazifisten" und "Russenfreunde". Man hatte vielmehr den Eindruck, dass es zum guten Ton dieser Republik gehörte, insbesondere über die Bewohner der annektierten Gebiete herzuziehen. Warum sollte jetzt bei Döpfner verwerflich sein, was doch zum Standard gehörte?

Und selbstherrliches Verhalten eines Vorstandsvorsitzenden, der noch dazu einer der großen Anteilseigner ist? Der Gründer des Verlags, Axel Springer, hatte nicht umsonst den Spitznamen "Caesar". Auf der Titelseite der Bild stand immer schon "unabhängig – überparteilich", aber dem konnte man so viel Glauben schenken wie den Nachrichten im Blatt selbst. Die Bild war das Blatt, das die DDR in Gänsefüßchen setzte, solange es sie gab, und es gab noch keinen Wahlkampf, den die Zeitung nicht mit führte. Den literarischen Ruhm als Maschine zur zielgerichteten Rufzerstörung, den ihr Heinrich Böll mit seiner Erzählung von der verlorenen Ehre der Katharina Blum verschaffte, hat sie sich ehrlich erarbeitet.

Und da war noch das Attentat auf Rudi Dutschke, dem wochenlange Schlagzeilen vorausgingen, die ihn aufs Gröbste beschimpften. Da war die ausführliche Beschreibung der sensationalistischen Arbeitsweise in "Der Mann, der bei Bild Hans Esser war." Herabwürdigung von Personengruppen? Leute, wir reden von der Bild, nicht von der FAZ, da gehört das zum Konzept. Die Bild ist das Blatt, das aus jedem Streik gleich "Streikterror" macht. Die Bild war der Rammbock, mit dessen Hilfe das Niveau der deutschen Medienlandschaft deutlich tiefergelegt wurde. Sie war das Sturmgeschütz, das gegen den Sozialstaat gerichtet wurde, als es um die Einführung von Hartz IV ging.

Überhaupt, hat irgendwer irgendwo behauptet, ein kapitalistisches Unternehmen sei eine demokratische Einrichtung? Ist es nicht. Mit anderen Worten, wenn sich der Vorstandsvorsitzende so aufführt, als sei er ein kleiner Diktator, dann hat das mit der Tatsache zu tun, dass er das ist. Das mag in den öffentlich-rechtlichen Anstalten anders aussehen, weil man dort unmittelbarer auf das Wohlwollen der Politiker angewiesen ist; bei den großen Medienkonzernen ist das eher andersherum.

Sollte man ernsthaft annehmen, dass diejenigen, die jetzt den Fall Döpfner skandalisieren, an diesen Zuständen etwas ändern wollen? Mitnichten. Man müsste sonst über Medienkonzentration und Marktmacht reden statt über einzelne SMS; man müsste mehr Vielfalt im Meinungsangebot einfordern. Der Tonfall der letzten Jahre war aber, wann immer es um abweichende Meinungen ging, der gleiche – zurück ins Glied oder ab in die Verbannung.

Besonders eigenartig ist der Angreifer. Die Zeit, einstmals ungefähr so vehement für Brandts Ostpolitik wie die Springer-Presse dagegen war, steckt inzwischen auch bis zur Halskrause in den transatlantischen Gesinnungsvorgaben und hat an jedem Punkt in den letzten Jahren brav geliefert, zu Corona ebenso wie zur Ukraine. Ein Frontalangriff gegen die Führungsetage der Konkurrenz geschieht auch im Hause Holtzbrinck nicht ohne den Segen der Eigentümer. An welcher Stelle hat nun wirklich Döpfner die Sünde begangen, die geahndet werden muss?

Es war bestimmt nicht die Unterstützung für Mitarbeiter mit einigen widerlichen Neigungen, wie Dschihadi-Julian Röpcke, der ebenso gern mit Islamisten posiert wie mit Asow-Nazis. Schließlich befindet dieser sich bei Letzterem in bester Gesellschaft von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, und ukrainische Nazis sind gute Nazis.

Holtzbrinck legt übrigens noch an anderer Stelle nach, über die beiden Wirtschaftspublikationen Wirtschaftswoche und Handelsblatt, und das ist dann das, was wirklich wehtut: "US-Investor KKR muss nach Döpfners Entgleisungen endlich Konsequenzen ziehen", lautet die Überschrift der Wirtschaftswoche.

KKR, seit 2020 Großaktionär beim Axel-Springer-Verlag, ist die klassische Heuschrecke – ein Finanzanleger, der mit viel Fremdkapital in Firmen einsteigt und sie nach einigen Jahren ganz oder in Teilen wieder verkauft. KKR teilt sich das Eigentum mit Friede Springer, dem kanadischen Pensionsfonds und eben mit Mathias Döpfner, der von der Erbin mit einem Aktienpaket im Wert von einer Milliarde Euro beschenkt wurde.

Teil des Ziels von KKR mit Springer ist es, eine starke Position auf dem US-Medienmarkt zu erreichen. Da ist Springer nicht das erste deutsche Unternehmen, das das versucht. Auch Bertelsmann hat bereits mehrere Anläufe hinter sich und im Lauf der Jahre vor allem ein Bündel bedeutender US-Buchverlage gesammelt, während die Versuche, mit AOL-Time-Warner den Fernsehmarkt aufzurollen, scheiterten. Mit der Übernahme von Politico jedenfalls ist Springer relativ weit in den US-Markt eingedrungen.

Und das ist der Punkt, an dem womöglich der wahre Grund verborgen liegt. Er sähe Donald Trump "sehr kritisch", aber "manche Entscheidungen zu China oder NATO fand ich richtig", erklärte Döpfner in seiner Stellungnahme gegenüber dem Standard. Aber auch nur Ansätze von Sympathie für Trump genügen, um die erbitterte Feindschaft der US-Neokons zu ernten. Die durchaus geneigt sein könnten, derartige Spielchen zu inszenieren.

Und nicht nur Springer ist in den USA aktiv, auch Konkurrent Holtzbrinck ist es. In Gestalt von Macmillan Publishers gehört ihm eines der fünf größten englischsprachigen Verlagshäuser. Was durchaus bedeuten kann, dass Holtzbrinck in Deutschland gegen Springer schießt, in Wirklichkeit aber die USA gemeint sind.

Klar, die Versuchung für diverse Nebendarsteller in der politischen Landschaft wie den Ostbeauftragten der Bundesregierung, sich jetzt moralisch in die Brust zu werfen und über Döpfner zu empören, ist groß, und vielleicht spielt auch die Spekulation eine Rolle, aus der ganzen Denunziations- und Diskriminierungsorgie seit Corona mit ihrer klaren Schlagseite gegen DDR-Geborene einfach herauszukommen, indem man Döpfner als Sündenbock aus dem Stadttor jagt. Schließlich will niemand in der ganzen Medienmeute wirklich Abbitte leisten müssen für die Blinddärme und andere Vernichtungsfantasien, und es würde gewaltig bei der Arbeit für den aktuellen Stellvertreterkrieg stören, wenn man irgendwo zugeben müsste, sich nicht gerade demokratiekompatibel benommen zu haben.

Aber wenn auf die Veröffentlichung der SMS von Döpfner nicht ähnliche aus der langen Reihe weiterer Medien- und Industriekonzerne und Banken folgen, wenn es dabei bleibt, dass einzig über den Vorstandsvorsitzenden von Springer moralisch Gericht gehalten wird, dann bleibt das ein Theater, dessen wahre Motivation sich erst enthüllen muss. Wer weiß, vielleicht sind Holtzbrinck und Springer schlicht bei ihren Einkäufen in den USA oder andernorts zusammengestoßen, und jetzt wird die Konkurrenz eben mal etwas persönlicher ausgetragen.

Bis dahin bleibt es ein erbärmliches Schauspiel, denn diejenigen, die sich da jetzt zu Richtern erheben, sind selbst am nächsten Tag bereits mit Leidenschaft dabei, wieder alles zu Nazis zu erklären, was nicht die NATO bejubelt, und mit exakt der gleichen Verachtung auf die annektierten Bundesländer zu blicken, die sie gerade eben noch Döpfner zum Vorwurf machen.

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