Von Dagmar Henn
Der Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in China dürfte zumindest für eines gut sein: zur allgemeinen Erheiterung. Angesichts der Tatsache, dass die Chinesen offenkundig die Faxen langsam wirklich dicke haben und unfreundliche Gäste wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen inzwischen auch mal durch die normalen Passkontrollen schicken, kann sich Baerbock gratulieren, wenn sie nicht auf dem Gepäckband abgefertigt wird.
Während die deutsche Berichterstattung zur Ukraine dank des Pentagon-Leaks gerade von einem ungewohnten Maß an Realismus erschüttert wird und das Mantra, die Ukraine müsse siegen, gerade völlig verstummt ist, wird gleichzeitig, im Vorfeld zu Baerbocks Auftritt, die Märchenstunde zu China aktiviert. Als hätte sich das Pentagon damit bereits durchgesetzt und es wäre an der Zeit, den Boden des nächsten Schlachtfelds vorzubereiten.
Baerbock reist ohne Wirtschaftsdelegation. In diesem Fall könnte das damit zu tun haben, dass eine solche Delegation und die Außenministerin inkompatible Positionen vertreten. Schließlich dürften neben BASF noch eine Reihe weiterer deutscher Konzerne aus den hohen Energiekosten in Deutschland nicht die von den USA gewünschte Konsequenz einer Verlagerung dorthin ziehen, sondern eher ihrem größeren Markt folgen und gen China entschwinden, während Baerbock brav im Gefolge ihrer transatlantischen Stichwortgeber die Konfrontation mit China sucht.
Auf dem langen Flug hätte Baerbock noch die Gelegenheit, sich mit der grundsätzlichen Tatsache vertraut zu machen, dass sie ein Land von 84 Millionen vertritt, während in China 1,4 Milliarden leben, und dass die chinesische Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten nur die Position in der globalen Ökonomie wiedererlangt hat, die es über viele Jahrhunderte innehatte. Sie könnte rekapitulieren, welche weltverändernden Erfindungen von China ausgingen, um ihren technologischen Dünkel etwas zu zügeln, und darüber nachdenken, welches Land die besseren Voraussetzungen hätte, Importe zu ersetzen, sollten Sanktionen gegen China verhängt werden. Und sie könnte noch einmal nachlesen, was die Ein-China-Politik bedeutet; dass die Voraussetzung für diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China war, anzuerkennen, dass Taiwan ein Teil Chinas ist, was gleichzeitig bedeutet, dass beispielsweise die chinesische Volksmarine rund um Taiwan fahren kann, wie sie will, weil sie sich damit in ihren eigenen Gewässern bewegt, auch wenn die westlichen Medien das derzeit ganz anders darstellen.
Wie weit die transatlantische Verdummung schon geht, kann man beispielsweise im Tagesspiegel lesen, der sich über Macron beschwert: "Mit seiner Warnung vor 'blinder Gefolgschaft' Europas nach seinem China-Besuch hat der französische Präsident Emmanuel Macron nach Meinung vieler deutscher Außenpolitiker einen Scherbenhaufen angerichtet. Denn das Plädoyer, sich nicht an der Seite der USA in eine mögliche Eskalation um Taiwan hineinziehen zu lassen, konterkariert alle deutschen und westlichen Versuche, einen Angriff auf Taiwan mit Verweis auf schwerwiegende Folgen wie Sanktionen zu verhindern."
Nun nimmt kaum jemand Macrons Äußerung wirklich ernst, er selbst vermutlich auch nicht, denn letzten Endes spielt er das Spiel folgsam mit und gibt nur aus Eitelkeit den Hobby-de Gaulle. Aber das, was Macron hier vorgehalten wird, könnte ebenso aus der Wirtschaftsdelegation zu hören sein, die Baerbock nicht mitgenommen hat. Denn jeder, der sich mit den deutschen Wirtschaftsbeziehungen auskennt, weiß, dass die Auswirkungen der Russland-Sanktionen ein Frühlingsspaziergang sind, verglichen mit den Folgen, die China-Sanktionen hätten. Ganz zu schweigen von der ungeheuren Lächerlichkeit, die darin besteht, wenn der schwächere Wirtschaftspartner den stärkeren bedrohen will.
Josep Borrell, der ursprünglich mit Baerbock reisen sollte, ist rechtzeitig erkrankt. Vermutlich ahnte er, dass seine kolonialistischen Garten-Metaphern nicht willkommen sind, und fürchtet sich davor, wie von der Leyen zur Touristenabfertigung geschickt zu werden. Aber er braucht sich bei Baerbock keine Sorgen zu machen; im Gegensatz zu Macron würde sie nicht einmal um des Showeffekts willen so tun, als sähe sie deutsche Interessen, die von den US-amerikanischen abwichen. Das kann sie ebenso wenig denken wie viele andere Dinge.
US-Politiker hatten höchst aggressiv auf Macrons Bemerkungen reagiert. So twitterte der republikanische Senator aus Florida, Marco Rubio: "Wenn Macron für ganz Europa spricht, und es jetzt ihre Haltung ist, dass sie zwischen den USA und China bezüglich Taiwan keine Seite wählen... dann sollten wir vielleicht grundsätzlich sagen, wir konzentrieren uns auf Taiwan und die Bedrohung, die China darstellt, und ihr kümmert euch um die Ukraine und Europa."
Auf diese Weise wäre das Problem Ukraine tatsächlich relativ schnell gelöst. Aber so freudig die chinesische Global Times auf Macrons Aussagen reagiert und so optimistisch sich darin mehrere chinesische Analytiker äußern, dass die Stimmen für eine europäische Unabhängigkeit von den USA Gewicht gewinnen, solche Hoffnungen gerade in diese deutsche Regierung zu setzen dürfte verfrüht sein.
Denn es ist nicht nur Baerbock, die die Zündeleien der USA via Taiwan unterstützt; da ist auch die FDP-Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger, die Ende März als erstes Mitglied einer Bundesregierung seit 25 Jahren Taiwan besuchte und damit deutlich gegen die Ein-China-Politik verstieß, was die chinesische Botschaft mit einem Protestschreiben beantwortete; und selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung steht in diesem Fall hinter dem amerikatreuen Kurs Baerbocks: "Baerbock hat nun die Möglichkeit, in ihren persönlichen Gesprächen vor Ort abermals auf eine Einflussnahme Pekings auf Russland zu drängen. Selbst wenn die Erfolgschancen derzeit wohl eher gering sind, könnte sie damit bei ihrem China-Besuch ein wichtiges Zeichen für die Einigkeit Europas setzen."
Die einzige etwas kritischere Stimme in Deutschland stammte vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der meinte: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Partei in einem Großkonflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China werden. Europa muss schon versuchen, eine eigenständige Rolle soweit wie möglich zu formulieren und nicht als Anhängsel der USA dort in der Region auch zu erscheinen." Er ging davon aus, dass Baerbocks Besuch wenig erfolgsträchtig sei; ihre Haltung sei ohnehin bereits bekannt. "Sie hat sich ja sehr – zumindest aus Sicht Chinas – undifferenziert in dieser Situation eingelassen."
Mützenich hat allerdings nicht einmal seine eigene Fraktion hinter sich. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, sein Genosse Michael Roth, stieß sich an Mützenichs Sympathie für Macrons Äußerungen, Europa dürfe nicht blind den USA folgen: "Ich sehe keine blinde Gefolgschaft in Europa. Ich sehe hingegen in Washington ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein für Frieden und Stabilität in Europa." Es bleibt also bei Mützenich als einsamem Rufer im Wald. Allerdings bleibt abzuwarten, wie gut die Behauptung von dem "Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein" die weitere Entfaltung der Pentagon-Leaks übersteht.
Baerbock jedenfalls kann sich noch sicher sein, dass das überhebliche Auftreten, das sie aller Wahrscheinlichkeit nach liefern wird, von der Mehrheit der politischen Klasse in Deutschland gedeckt wird und die Medien ihren undiplomatischen Unfug als heldenhaften Einsatz für Menschenrechte verkaufen werden. Aber der Rest der Welt, dieses rätselhafte Kontinuum von Lateinamerika über Afrika bis Asien, wird sicher wieder ein hübsches Bildchen finden oder einen dahingestolperten Satz, an dem ihre koloniale Attitüde sichtbar wird, und darüber lachen. Und das wird mehr über diesen Besuch aussagen als alle Artikel in den deutschen Medien zusammengenommen.
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