Von Gert Ewen Ungar
Die USA suchen die Konfrontation mit China. Es folgt eine Provokation auf die nächste. Der Wirtschaftskrieg wird immer weiter eskaliert, Taiwan wird von den USA aufgerüstet, man zielt auf eine militärische Konfrontation. Eingekleidet wird die ganze Aggression der USA mit dem typisch westlichen Demokratiegeschwurbel. Taiwan verteidige die Demokratie gegen das autoritär regierte China. Als gehe es nicht um konkrete geopolitische Machtinteressen. Die Argumentation des Westens ist sowohl im Hinblick auf die Ukraine als auch auf Taiwan ein schlechter Witz. Bis auf ein paar Deutsche aus dem grünen Milieu weiß das auch jeder. Es geht in beiden Konflikten nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um Machtinteressen.
Ausgerechnet die USA mit ihrem antiquierten Wahlsystem, in dem zwei rechte Parteien um die Macht buhlen und alle relevanten politischen Posten mit Milliardären besetzt sind, erheben sich zum Maßstab für Demokratie und Repräsentation des Bürgerwillens in der Politik, und alle machen mit. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man schallend lachen. Im Vergleich mit den USA ist die Demokratie in Russland tatsächlich lupenrein. Es gibt ein breites Parteienspektrum von links bis rechts, es gibt Referenden auch auf Föderationsebene, und in der Staatsduma und im Föderationsrat sitzen nicht ausschließlich Milliardäre, wie das in den USA der Fall ist.
Die USA sind eine Oligarchie. Das politische System dient vor allem den Interessen der US-Oligarchen, die angesichts des Bedeutungsverlustes der USA einen Verteilungskampf um die Pfründe führen, bei dem jeder Anstand und der letzte Funke demokratischer Repräsentation der Wählerinteressen auf der Strecke bleiben. Die USA haben aus diesem Grund auch keine Verbündeten, sondern nur willfährige Vasallen und nützliche Idioten. Einer dieser US-Interessen dienenden und sich unterordnenden Staaten ist Deutschland. In diesen Tagen wird das besonders deutlich.
Deutsche Politik und die ihr angeschlossenen deutschen Medien wehren sich im Verbund gegen die Idee von Eigenständigkeit. Das ist objektiv betrachtet ein starkes Stück. Sollten wir nicht nach mehr Autonomie und Souveränität streben? "Nein!"
Der Grund für die deutsche Bereitschaft zur Unterwerfung ist einfach. Die politischen und medialen Karrieren in Deutschland sind an die USA gebunden. Deutschland hat weder medial noch politisch ein eigenes Gesicht, einen eigenen Charakter.
Wer die Nachrichten auf der Tagesschau verfolgt, weiß das. Die Tagesschau ist das reichweitenstärkste Sprachrohr der US-Demokraten in Deutschland. Alles, was von dort kommt, ist gut, was dazu kritisch Stellung bezieht, wird sofort runtergemacht. Es gibt aufs Ganze betrachtet keinen eigenständigen, unabhängigen deutschen Journalismus.
Nun ist ausgerechnet der wichtigste europäische Verbündete Deutschlands, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auf die Idee gekommen, die EU könnte etwas autonomer die eigenen Ziele und Interessen verfolgen. Sie sollte sich zudem nicht in den eskalierenden Konflikt zwischen China und den USA hineinziehen lassen, der den Europäern absehbar schadet und selbst im besten und sehr unwahrscheinlichen Fall eines vollständigen militärischen und wirtschaftlichen Sieges der westlichen Allianz über Russland und China die eigene Position nicht verbessert. Man bliebe den USA in ihrem Herrschaftsanspruch untergeordnet.
Berechtigterweise fordert Macron, die EU solle sich um mehr Autonomie von den USA bemühen, denn bei allem Werte- und Demokratiegeschwurbel der hiesigen Politik sind die geopolitischen Interessen unterschiedlich. Schon jetzt ist deutlich, dass die EU unter den Rückwirkungen der Sanktionen deutlich stärker leidet als die USA. Der Ukraine-Konflikt belastet die EU stärker als die USA. Die Flüchtlinge drängt es in die EU (und nach Russland), aber nicht in die USA. Für die Länder der EU ist die von der EU-Kommission verordnete bedingungslose Gefolgschaft eine Belastungsprobe, denn sie führt immer tiefer in die Krise. Es ist kaum zu vermitteln, warum die EU-Bürger in einem abstrakten Kampf des Westens für demokratische Werte gegen vermeintlich autoritäre Systeme die Hauptlast tragen sollen.
Wenn es schon zu geopolitischen Umwälzungen kommt, warum sollte ausgerechnet die EU die Gelegenheit verstreichen lassen, diese Veränderung auch zum eigenen Vorteil zu nutzen? Für mehr strategische Autonomie beispielsweise. Warum sollten die Länder der EU den Einflussverlust der USA nicht für sich nutzen und versuchen, durch kluge Diplomatie und mit Blick auf die eigenen Interessen nicht als Anhängsel der USA in der völligen Bedeutungslosigkeit zu versinken?
Deutsche Medien und deutsche Politik geben darauf keine Antwort. Sie gefallen sich – wie so häufig – in Gestus der moralischen Empörung. Macron sei von allen guten Geistern verlassen, meint beispielsweise der außenpolitische Hardliner der CDU Norbert Röttgen.
Er bekommt für seinen Tadel breiten Raum in den deutschen Konzernmedien. Die Zeit zitiert ihn und untertitelt das Zitat mit der Behauptung: "Frankreichs Präsident schockt mit Aussagen bei seinem Peking-Besuch."
Der Berliner Tagesspiegel stellt eine psychiatrische Diagnose und diagnostiziert bei Macron "Größenwahn". "Scharfe Kritik an Macron" titeln unter anderem die Süddeutsche und das ZDF. In den bunten Reigen der Kritiker reiht sich selbstverständlich auch die Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) ein. Macron habe Europa massiv geschadet, denn Europa sei keine Pufferzone, "sondern es muss auf Seite derer sein, die Demokratie achten und territoriale Grenzen anerkennen".
Dabei hat Macron weder von einer Pufferzone gesprochen, noch will er die viel beschworenen westlichen Werte aufgeben. Dass territoriale Grenzen nur der Westen ungestraft verschieben darf, versteht sich von selbst. Strack-Zimmermann twittert wie auch Röttgen an Macrons Aussagen vorbei. Mit voller Absicht ist zu vermuten, denn es geht ihnen um die Vermeidung jeder inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Diskussion soll im Keim erstickt werden. Diffamierung ist dazu das geeignete rhetorische Mittel.
Erstaunlich ist zudem auch, dass Politik und Medien auf die Frage, ob es ein bisschen mehr Autonomie und Souveränität für die EU und die EU-Länder sein dürfte, kollektiv und reflexartig mit "Nein" antworten, die anderen Mitgliedsstaaten der EU in dieser Frage in guter deutscher Tradition aber einfach übergehen.
Die Abläufe um Macrons Forderung nach mehr strategischer Autonomie deuten auch an, wie wenig Deutschland und deutsche Interessen vom deutschen politisch-medialen Komplex vertreten werden. Es sind nicht die Vertreter unserer Interessen, die da in den Medien und politischen Gremien sitzen, zeigt sich klar.
Der Bundestag und die Bundesregierung vertreten vor allem US-amerikanische Interessen. Besonders deutlich wurde das im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf die Ostsee-Pipeline Nord Stream. Der US-Präsident steht im Verdacht, den Anschlag selbst beauftragt zu haben. Das Interesse an Aufklärung ist in Deutschland nicht vorhanden. Im Gegenteil zünden die Konzernmedien ein Feuerwerk an Ablenkungsmanövern und erzählen eine dünne Geschichte von einer Segeljacht, die mit Sprengstoff beladen durch die Ostsee schippert. Wer Deutschlands Interessen und die seiner Bürger vertritt, ist in diesen Tagen der geopolitischen Umwälzungen besonders unklar. Die Bundesregierung jedenfalls ist es nicht, vermutlich ist es eher noch Macron.
Macron weist auf die Absurdität hin, China zu drohen und gleichzeitig vor den Augen der Welt nicht in der Lage zu sein, den Konflikt vor der eigenen Haustür unter Kontrolle zu bekommen. Die EU und Deutschland halten lediglich Waffenlieferungen und die finanzielle Unterstützung der Ukraine für geeignete Mittel der Konfliktlösung, Diplomatie dagegen nicht.
Die NATO erweist sich im Hinblick auf die Ukraine als genauso hirntot, wie es ihr Macron schon vor einigen Jahren attestiert hat. Das wichtigste Anliegen der NATO ist, nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden und ihn trotzdem zu steuern und zu kontrollieren. Gleichzeitig geht dem kostspieligsten Militärbündnis der Welt die Munition aus. Es ist ein Schauspiel der Lächerlichkeit.
Angesichts der massiven geopolitischen Verschiebungen und der immer offenkundiger werdenden Tatsache, dass aus dem Kalten Krieg übernommene Denkweisen und Institutionen den sich wandelnden Gegebenheiten in keiner Weise mehr angemessen sind, ist der Vorschlag Macrons, die eigene Souveränität zu stärken und sich nicht von den Ereignissen der Geschichte hinwegspülen zu lassen, natürlich mehr als verständlich. Er ist notwendig und war überfällig. Dass der Gedanke in Deutschland rundheraus abgelehnt wird, zeigt, dass die deutsche Souveränität längst preisgegeben wurde – von denen, die sie schützen und vertreten sollen.
Mehr zum Thema – Der andere Blick: Chinesische Zeitung kommentiert den Besuch von der Leyens und Macrons