Von Matthieu Buge
Seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine sind westliche Meinungsmacher ziemlich gut beschäftigt. Doch trotz des rasanten technologischen Fortschritts, der die Welt in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, bleiben die Prinzipien der Kriegspropaganda dieselben.
Thomas Hobbes, der englische Philosoph des 17. Jahrhunderts, betrachtete Krieg als den natürlichen Zustand der Menschheit. Sein Kollege aus dem 20. Jahrhundert Carl Schmitt erklärte, Krieg sei die "höchste politische Aktion". Folglich muss der Krieg wie auch die Politik Gegenstand intensiver Propaganda von allen Seiten des Konflikts sein. Kriegspropaganda ist jedoch etwas relativ Neues in der Menschheitsgeschichte. Krieg musste schon immer irgendwie gerechtfertigt werden, aber das Aufkommen der Fotografie, der modernen Kommunikationstechnologie und der Massenmedien hat dazu geführt, dass Propaganda zu einem wesentlichen Bestandteil der Kriegsführung geworden ist.
Geburt und Schicksal der Kriegspropaganda
Die erste moderne Berichterstattung eines Journalisten über einen bewaffneten Konflikt, wird üblicherweise William Howard Russell während des Krimkriegs von 1852 bis 1855 zugeschrieben. Politiker und Armeen begannen jedoch erst mit dem Burenkrieg, der von 1899 bis 1902 zwischen dem britischen Empire und den niederländischsprachigen Republiken im südlichen Afrika ausgetragen wurde, die Auswirkungen des Journalismus auf die Bevölkerung wirklich zu berücksichtigen.
Die britische Regierung sah sich mit einem Mangel an Unterstützung in der Heimat und einer Propagandastrategie der Buren konfrontiert, die ihre Zeitungen und Agenten international anleiteten, in der Hoffnung, ausländische Unterstützung zu gewinnen. Somit musste eine Strategie der Kriegspropaganda ausgearbeitet werden. Und das wurde sie auch.
Wie Kenneth O. Morgan vom Queen's College in Oxford es sagte: "Die Folgen des Burenkriegs auf die Medien und ihre Darstellung dieses Krieges waren unvermeidlich massiv. Die Berichterstattung in den Medien hatte einen wichtigen Effekt, indem sie dazu beitrug, die öffentliche Stimmung gegen diesen Krieg in seinen späteren Phasen zu stimulieren".
Demokratien wie Frankreich und Großbritannien begannen sogar während des Ersten Weltkriegs bei der Propaganda eng zusammenzuarbeiten. In den 1920er- und 1930er-Jahren erarbeiteten sie verschiedene Strategien, einschließlich Radioprogrammen und aus der Luft abgeworfenen Propaganda-Flugblättern, um die gegnerische Bevölkerung dazu zu bringen, sich gegen ihre Führer zu erheben oder zumindest eine Stimmung gegen den Krieg zu fördern. Während eines kriegerischen Konflikts sind jedoch innere Stabilität und Einheit unerlässlich, und als solche muss sich die Kriegspropaganda hauptsächlich auf die heimische Öffentlichkeit konzentrieren.
In einem Text von 1944 mit dem Titel "Was ist Propaganda?", verfügbar auf der Seite der Amerikanischen Historischen Gesellschaft, zog Professor Ralph D. Casey eine ziemlich überraschende Schlussfolgerung:
"Diese einfachen Wahrheiten bestimmen die zugrunde liegenden oder leitenden Prinzipien der demokratischen Propaganda. Die Nazis verbinden ihrem Volk die Augen gegen die Wahrheit. Ganz im Gegensatz zu den Regeln Hitlers müssen die demokratischen Länder in ihrer Propaganda die Wahrheit präsentieren.
Ein freies Volk wird trotz offizieller Unterdrückung und Verdrehung irgendwann die Wahrheit erfahren. Und wenn sich Propaganda als betrügerisch und verzerrt herausgestellt hat, ist sie nicht mehr wirksam. Darüber hinaus muss die demokratische Propaganda das Recht der Menschen auf Kenntnis der Tatsachen beachten, so unangenehm sie auch sein mögen.
Die Strategie der Wahrheit steht nicht nur im Einklang mit den Grundprinzipien der Demokratie, sondern ist auch eine nüchterne und realistische Politik für einen effektiven Umgang mit Verbündeten, Neutralen und sogar mit Feinden."
Umgekehrt zeigt die Geschichte, dass die Strategien der Kriegspropaganda, die sowohl vor als auch nach der Schlussfolgerung von Casey entwickelt wurden, dieser Empfehlung völlig widersprechen.
"Wenn Krieg erklärt wird, ist die Wahrheit das erste Opfer." Obwohl ihm das Zitat möglich fälschlicherweise zugeschrieben wird, hatte sich der britische Politiker Arthur Ponsonby ausführlich mit dem Thema beschäftigt. Sein Buch "Falsehood in Wartime" (Unwahrheit in Kriegszeiten) von 1928 beschreibt die Lügen, die von den westlichen Demokratien gegen das Deutsche Kaiserreich verbreitet wurden. Im Jahr 2001 systematisierte die belgische Historikerin Anne Morelli Ponsonbys Gedanken und Bemerkungen in ihrem Werk "The Basic Principles of War Propaganda" (Die grundlegenden Prinzipien der Kriegspropaganda). Die meisten ihrer Argumente passen zur Kriegspropaganda jeder Art von Regime, aber westliche Demokratien greifen mit einer außergewöhnlichen Effektivität auf sie zurück. Seit dem Kalten Krieg wird der strategische Ansatz von den USA dominiert, die über die meisten Denkfabriken verfügen, gestützt durch europäische strategische Stiftungen, die weitgehend der NATO nahe stehen.
Kriege für den Frieden
Demokratien wollen keinen Krieg, einzig ihre Gegner sind dafür verantwortlich. Glaubt man der westlichen Rhetorik, können liberale Demokratien nur Ziele und Opfer anderer politischer Regime sein, die ihre Freiheit angreifen, ihre Werte zerstören oder ihr gesellschaftliches Modell untergraben wollen. Nach der offiziellen Version der historischen Ereignisse wollte ausschließlich Deutschland den Ersten Weltkrieg, Deutschland und Japan provozierten den Zweiten Weltkrieg und die Haltung der Sowjetunion war einzig und allein für den Kalten Krieg verantwortlich. Gegenwärtig stellen die westlichen Massenmedien Russland als das einzige Land dar, das für den andauernden Konflikt in der Ukraine verantwortlich ist.
Die Einfachheit dieses politischen Diskurses ist derart, dass die meisten westlichen Bevölkerungen davon überzeugt sind, dass ihr Land keinen Krieg wollen kann, weil es eine Demokratie ist. Mit diesem Werkzeug in der Hand können Wettrüsten und Kriege als einziger Schutz und einziger Weg zur Gewährleistung des Friedens gerechtfertigt werden. George Orwell hat in seinem Buch "1984" davor gewarnt: Krieg ist Frieden.
Ponsonby beharrte schon zu seiner Zeit darauf, dass der deutsche Kaiser im Ersten Weltkrieg systematisch als Verbrecher dargestellt wurde. Dies wurde verwendet und wiederverwendet, da die Personifizierung des Feindes eine viel effizientere psychologische Wirkung auf die Öffentlichkeit hat als die Dämonisierung einer ganzen Bevölkerung. Die Technik ist so offensichtlich, dass die Franzosen den Ausdruck "Hitlérisation de l’adversaire" (Hitlerisierung des Feindes) etabliert haben. Seit 1914 haben nur sehr wenige Konflikte dieses Muster vermieden.
Während des Britisch-Argentinischen Kriegs um die Falklandinseln im Jahr 1982 musste die Rhetorik gegen eine Militärjunta eingesetzt werden. Während des Vietnam- und der Afghanistankriege musste man sich stärker auf ideologische Angelegenheiten konzentrieren. Das Staatsoberhaupt des Gegners zu dämonisieren ist einfach, kostet nichts und erweist sich immer als effizient. Um Francis Bacon zu zitieren: "Wirf deine Verleumdungen kühn; etwas wird sicher haften bleiben."
Folglich verfolgen diejenigen, die gegen die Inkarnation des Bösen kämpfen, keine persönlichen Interessen und können nur einer guten Sache dienen. Man denke an George Bushs Kreuzzug gegen die "Achse des Bösen" oder an die sogenannte noble Aufgabe des Westens, afghanische Frauen zu befreien. Die "Theorie des gerechten Krieges" ist eine Konstante in der Geschichte, die sich bis ins alte Ägypten zurückverfolgen lässt.
Offensichtlich kommen liberale Demokratien um diesen Schritt nicht herum, da ein moralisch ungerechtfertigter Krieg sehr negative Auswirkungen auf die Wählerschaft hätte. Im anhaltenden Konflikt in der Ukraine greifen beide Seiten darauf zurück. Russland konzentriert sich auf die ukrainischen Neonazi-Bataillone und seine Absicht, die russischsprachige Bevölkerung zu schützen, während der Westen sich auf die Persönlichkeit von Wladimir Putin und die Aufgabe konzentriert, "demokratische Werte" in der Ukraine und in Europa zu schützen.
Die Theorie des "gerechten Krieges" impliziert, dass der böse Feind Gräueltaten begeht, während die eigene edle Seite nur Fehler begehen kann. Diese Manipulation ist weder neu noch selten. Joseph Pulitzer, der berühmteste Journalist der Geschichte, fabrizierte während des Spanisch-Amerikanischen Krieges selbst Geschichten von Gräuelpropaganda. Ponsonby seinerseits wies auf all die Geschichten hin, die über angebliche Verbrechen der Deutschen an Babys in Belgien während des Ersten Weltkriegs verbreitet wurden. Morelli berichtete, dass während der Konflikte im Irak, in Afghanistan und im Kosovo die gleiche Art von Gerüchten und Geschichten verbreitet wurde.
Mit dem Fernsehen wurde diese Technik im Jahr 1990 mit der berühmten "Zeugenaussage" einer jungen Frau namens Nayirah noch mächtiger, derzufolge Soldaten der irakischen Armee Babys in Kuwait "aus Inkubatoren rissen und auf den kalten Boden schleuderten". Diese Behauptung wird heute als komplette Erfindung und als Meilenstein in der Geschichte der Gräuelpropaganda anerkannt. Auch der Einsatz illegaler Waffen wird in fast allen Konflikten häufig als Kriegsverbrechen angeprangert. Colin Powells Ansprache vor der UNO im Jahr 2003 zur Rechtfertigung von Washingtons Krieg gegen den Irak hat am Ende jedoch bewiesen, dass diese Art von Anschuldigungen auf losen Tatsachen beruhen oder vollständig erfunden sein können.
Seit Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine haben die westlichen Massenmedien häufig über mutmaßliche russische Kriegsverbrechen berichtet, während sie die Berichte einiger westlicher Journalisten über Vorwürfe gegen ukrainische Streitkräfte ignorierten. Dies ist eines der wichtigsten Prinzipien der Kriegspropaganda, deren Wurzeln wir im Burenkrieg finden.
Kenneth O. Morgan erklärte dazu:
"Die anschauliche Beschreibung von Emily Hobhouse über das Massensterben in Konzentrationslagern im Jahr 1901 wurde ausführlich im Manchester Guardian, The Speaker und anderen liberalen Zeitschriften veröffentlicht und hatte einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung.
Unmittelbar nach Kriegsende waren die britischen Medien maßgeblich daran beteiligt, ihre Empörung über diese Konzentrationslager und die daraus resultierenden kolossalen Verluste an Menschenleben zum Ausdruck zu bringen. Ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Burenfrauen und -kinder in beiden Burenrepubliken verloren ihr Leben im Zeitraum von etwa fünfzehn Monaten."
Es war klar geworden, dass humanitäre Erwägungen im Mittelpunkt jeder Kriegspropaganda stehen mussten.
Intellektuelle Ermüdung
Da die Legitimierung eines Krieges unerlässlich ist, ist es höchst wünschenswert, Intellektuelle und Künstler zu gewinnen, die diese Bemühungen unterstützen. Hier ist der Westen vielleicht am besten bedient. Da westliche Demokratien stets argumentieren, dass sie nur "gerechte Kriege" führen, ist es die Rolle von Intellektuellen und Künstlern, die einen großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Welt haben, Konflikte von einem fast philosophischen Standpunkt aus zu rechtfertigen.
Sie prägen hochwirksame Floskeln, um den Feind anzuprangern oder das Heldentum der eigenen Seite zu feiern. Das berühmte Engagement prominenter Persönlichkeiten wie Ernest Hemingway, André Malraux oder George Orwell im Spanischen Bürgerkrieg hatte gezeigt, dass Intellektuelle leicht in einen Krieg hineingezogen werden können, wenn sie darin eine gerechte Sache sehen. Das ist sicherlich der Grund, warum der Erste Weltkrieg so viele Intellektuelle und Künstler spaltete: Er hatte keine ideologische Ursache.
Allerdings hat sich in den vergangenen Jahrzehnten etwas geändert. Wie der französische Experte für Geostrategie Pierre Conesa erklärte, haben Intellektuelle keine militärische Erfahrung mehr und sind nicht bereit, ihre Tastatur für ein Gewehr einzutauschen. Ihre Rolle ist jedoch so groß, dass Conesa sogar von einem "militärisch-intellektuellen Komplex" spricht, der parallel zu seinem militärisch-industriellen Bruder arbeitet.
In Europa ist der wichtigste Anführer dieser Intellektuellen-Armee der berüchtigte französische Philosoph Bernard-Henri Lévy, der um der Demokratie willen fast überall auf Krieg drängt, von Jugoslawien über Libyen bis zur Ukraine. Noam Chomsky bemerkte einmal: "Ich denke, eines der gesunden Dinge an den Vereinigten Staaten ist genau das: Es gibt sehr wenig Respekt für Intellektuelle als solche. Und das sollte es auch nicht geben. Was gibt es zu respektieren? Ich meine, in Frankreich, wenn man Teil der intellektuellen Elite ist und hustet, gibt es eine Titelgeschichte in Le Monde. Das ist einer der Gründe, warum die französische Geisteskultur so absurd ist – sie ist wie Hollywood."
Folglich wird dieser Aspekt der Propaganda eines "gerechten Krieges" von Intellektuellen in Europa und von Künstlern in Hollywood koordiniert. Für die US-amerikanische Bevölkerung ist es Chomskys Logik zufolge viel bedeutsamer, dass der Schauspieler Sean Penn während des Konflikts den ehemaligen Schauspieler Wladimir Selenskij besucht hat. "Sean Penn sagt, die USA habe 'ihre Seele verloren', wenn sie der Ukraine zumutet, allein gegen Russland zu kämpfen", titelte die britische Zeitung The Independent einen Artikel über Penns Besuch in Kiew.
Damit entwickelt sich der legitime Krieg zu einer fast heiligen Sache. Kenneth O. Morgan schrieb dazu: "Die Beteiligung der Medien am Burenkrieg dauerte noch lange nach Kriegsende im Mai 1902 an. Nach dem Krieg versuchten die britischen Medien, eine ritterliche, fast unbeschwerte Natur des Krieges zu projizieren." Die Verluste des Feindes müssen erheblich schwerer dargestellt werden als die eigenen und die Moral der eigenen Truppen erheblich besser als die Motivation der Soldaten des Feindes. Die Begeisterung für die heilige Sache muss vorherrschen.
Dass britische und französische Geheimdienste während des Ersten Weltkriegs ein gemeinsames Misstrauen aufrechterhielten oder dass nicht alle EU-Mitgliedsstaaten für eine Bewaffnung Kiews waren, muss irgendwie verschleiert oder als kleine Holprigkeit betrachtet werden. Die Einheit derjenigen, die das Böse bekämpfen, muss unzertrennlich erscheinen. Wer deren Anti-Kriegs-Gesinnung anzweifelt oder bekundet, gilt daher häufig als Verräter. Gegner der Kosovo-Kriege galten als Komplizen Slobodan Miloševićs; Menschen, die der Ukraine nicht uneingeschränkt Unterstützung entgegenbringen, gelten als Putins Verbündete.
Entweder mit uns oder gegen uns. Die Prinzipien der Kriegspropaganda haben sich im Lauf der Zeit nie geändert. Vor, während und nach dem Konflikt muss die Bevölkerung mobilisiert und eine epische, fast mythische Erzählung komponiert werden. Diese grundlegende Methodik hat sich in 150 Jahren nicht geändert. Und da Propaganda politisch ist, ist die Wahrheit selten Teil des Programms.
Übersetzt aus dem Englischen.
Matthieu Buge hat für das französische Magazin L’Histoire und das Magazin über russisches Filmschaffen Séance gearbeitet sowie als Kolumnist für Le Courrier de Russie. Er ist Autor des Buches "Le Cauchemar russe (Der russische Albtraum).
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