Finnland tauscht seine Zukunftsaussichten gegen einen NATO-Beitritt

Finnland tritt der NATO bei, was natürlich traurig, aber leider derzeit völlig logisch ist. Russland sollte diese Logik schnellstens anerkennen und die nötigen Schlussfolgerungen daraus ziehen. Für Finnland sind die Konsequenzen auf lange Sicht viel unangenehmer.

Von Dmitri Jewstafjew 

In Helsinki ist man leider nie auf die Idee gekommen, mit Russland eine Beziehung aufzubauen, wie sie zwei verantwortungsvollen souveränen Staaten untereinander geziemen würden. Aufmerksame Leser werden an dieser Stelle vielleicht fragen: Welche zwei souveränen Staaten sind denn gemeint? Wahrscheinlich, weil Finnland nie ein souveräner Staat war – sondern historisch erst eine Provinz Schwedens, dann eine autonome Provinz des Russischen Reiches, dann ein faschistischer "Speer" Englands und Frankreichs gegen die UdSSR, und schließlich gar Hitlers Verbündeter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Finnland seine Unabhängigkeit nur dank des guten Willens bei Stalin bewahren, und so folgte die anschließende "Finnlandisierung". Hat es also in der Geschichte dieses Landes überhaupt so viele Episoden verantwortungsvoller Souveränität gegeben?

Dennoch steht auf einem ganz anderen Blatt, dass Finnland bisher wenigstens formell weder mit der NATO assoziiert war noch zum feindlichen "Cordon sanitaire" gegen Russland gehörte – und so hätte Finnland noch sehr lange Zeit weiterhin auf zwei Stühlen sitzen können. Dabei hätte es für sich noch mehr und größere Vorteile herausschlagen können als sogar die heutige Türkei unter Erdoğan – nämlich von der NATO, aber vor allem auch von Russland und anderen Akteuren, die an seinem neutralen Status interessiert waren.

Zum Beispiel von China, für dessen Warenexport nach Europa die Spurbreite der finnischen Eisenbahn – identisch mit der Spurbreite der Eisenbahn im Transitland Russland – im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Ukraine zu einem attraktiven Faktor wurde. Doch in Finnland überwog der Impuls der politischen Russophobie alle rationalen Erwägungen: Der Glaube im offiziellen Helsinki an einen angeblich bevorstehenden Zusammenbruch Russlands wurde irgendwann übermächtig und wenig später war die Chance für einen Rückzieher auch bereits vertan.

Nun hat Finnland also seine Entscheidung getroffen. Grundlage dieser Entscheidung war – bei genauer Betrachtung – der Unwille, ein starkes Russland als Nachbarn anzuerkennen, ein Russland nämlich, das beginnt, die Bedeutung wirtschaftlicher Souveränität wieder zu begreifen und Ordnung in seinen an Finnland grenzenden Gebieten zu schaffen. Finnland wird einen hohen Preis für seine Entscheidung zahlen müssen. Teil  eines Militärblocks zu sein, ist natürlich immer auch eine finanzielle Belastung. Doch Teil eines Militärblocks zu werden und zugleich die wirtschaftlichen Beziehungen zu einem der wichtigsten Partnerländer abzubrechen, ist eine doppelte Belastung.

Finnland allein ist wirtschaftlich nicht das baltische Dreigestirn, das in den 1990er Jahren den abrupten Bruch zu Russlands Industrie durch seinen geografischen Status als wichtige Transitregion für russische Exporte ausgleichen konnte. Finnland ist zwar nicht autark, hat aber mittlerweile eine viel weiter entwickelte Wirtschaft mit hohem Anteil an Verarbeitung – aber die Zeiten sind jetzt für ganz Europa auch weitaus härter. Denken Sie beispielsweise an den Zusammenbruch der ehemals florierenden Fluggesellschaft Finnair. Die wirtschaftlichen Vorteile einer NATO-Mitgliedschaft sind dagegen zweifelhafter als je zuvor in der Geschichte.

Und wir sprechen jetzt gar nicht einmal über das Schicksal Finnlands im Falle ... nun gut, lassen wir das. Darüber hinaus wird diesmal ganz sicher niemand das Land der Seen besetzen wollen, aber die Flugzeit der US-Raketen von etwaigen Stützpunkten in den finnischen Wäldern nach Sankt-Petersburg werden einen Präventivschlag Russlands gegen finnisches Staatsgebiet unumgänglich machen.

Das Wichtigste, was Finnland durch seinen NATO-Beitritt verliert, ist seine Zukunftsperspektive.

Es hätte zum wichtigsten Bindeglied für die entstehende Ressourcen- und Logistikdrehscheibe in der Arktis avancieren können – die in jedem erdenklichen Szenario nach 2030 für Europa und die Welt  zu einer Vorratskammer  und auch zu einem Wirtschaftsmotor des Wachstums werden wird, sofern ein nukleares Inferno verhindert wird. Und die Schlüssel dafür werden in Russlands Hand verbleiben, das gar nicht daran denkt, ein Auseinanderfallen zuzulassen.

Finnland allerdings, das bereits zuvor begonnen hatte, seine wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland sukzessive zu kappen, wird ganz gewiss keine Zugang mehr zu dieser Drehscheibe bekommen, schon allein aufgrund seiner Mitgliedschaft in einem politisch-militärischen Bündnis, das Russland derart feindlich gesinnt ist. Das diktieren die Besonderheiten der Arktis, wo Politik, Militärpolitik und Wirtschaft gar nicht voneinander zu trennen sind.

Falls also eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der NATO vermieden werden kann, wird Finnland künftig im hohen Norden als  "Grenzstaat" (eine Ukraine im ältesten Sinne des Wortes) – zwischen NATO und Russland existieren. Damit wäre Finnland ein industriell degradiertes, wirtschaftlich uninteressantes, stattdessen aber stark militarisiertes Randgebiet der NATO mit einem im Übrigen schwer vorhersehbaren Schicksal.

Aber ist das überhaupt noch ein Leben?

Übersetzt aus dem Russischen.

Dmitri Jewstafjew ist ein russischer Politologe (Amerikanist). Er ist spezialisiert auf militärpolitische Fragen der nationalen Sicherheit Russlands, der Außen- und der Militärpolitik der USA und der regionalen Probleme der Kernwaffen-Nichtverbreitung und Ko-Autor wissenschaftlicher Monographien und zahlreicher Artikel.

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