Ein Kommentar von Bradley Blankenship
Das Pentagon hat laut einem Bericht der New York Times (NYT) vom 8. März Versuche der US-Bundesregierung unterbunden, Beweise für mutmaßliche russische Kriegsverbrechen in der Ukraine dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag zu übermitteln.
Die Begründung für diese Entscheidung ist laut NYT, dass "amerikanische Militärs es ablehnen, dem Gericht bei Ermittlungen gegen die Russen zu helfen, weil sie befürchten, damit einen Präzedenzfall zu schaffen, der dazu beitragen könnte, dass es den Weg für die Verfolgung von US-Amerikanern ebnen könnte". Dies hat nun einen Streit innerhalb der Administration von Präsident Joe Biden darüber ausgelöst, was richtig und was falsch ist.
Laut NYT und Beamten, mit denen die Zeitung gesprochen hat, "befürwortet ein Teil der Administration, einschließlich der Geheimdienste und des Außen- und Justizministeriums, die Beweise vor Gericht einzureichen". Präsident Biden muss nur noch entscheiden, ob die USA an ihrer Zusage festhalten werde, die europäische Initiative zur Verfolgung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrecher zu unterstützen, oder ob man es ganz vermeiden wolle, diese Büchse der Pandora zu öffnen.
Berichten zufolge hat der Nationale Sicherheitsrat am 3. Februar einen Ausschuss auf Kabinettsebene zusammengetrommelt, um die Angelegenheit zu erörtern. Aber laut der von der NYT zitierten Beamten war Verteidigungsminister Lloyd Austin der Querdenker. Er befürchtete, dass seine eigenen Leute eines Tages in Den Haag vor Gericht gestellt werden könnten, sollte die amerikanische Kriegsmaschinerie erneut ihr hässliches Haupt erheben. Sogar in der Vergangenheit liegende Ereignisse wie die Invasion im Irak oder die aktuellen illegalen Operationen wie die Besetzung von Teilen des syrischen Territoriums und Drohnenangriffe in Pakistan könnten dazu führen, dass US-Amerikaner vom IStGH strafrechtlich verfolgt werden können.
Die Vereinigten Staaten haben seit jeher eine seltsame Beziehung zum IStGH. Der Gerichtshof wurde gemäß dem Römischen Statut aus dem Jahr 1998 eingerichtet, um Vorwürfen von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzugehen, und war eine juristische Bühne für die Ereignisse in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien. Während die USA die Verhandlungen erleichterten, die letztlich zum Römischen Statut führten, blieb es eines von sieben Ländern – zusammen mit China, dem Irak, Israel, Libyen, Katar und dem Jemen – das sich letztlich gegen das Statut stellte.
Zwar unterzeichnete Präsident Bill Clinton das Statut im Jahr 2000,legte es dem US-Senat aber erst dann zur Ratifizierung vor, als weitere Einzelheiten über die Aufgaben des Gerichtshofs bekannt waren. Nachdem Präsident George W. Bush im Jahr 2002 lediglich 60 Stimmen für die Ratifizierung mobilisieren konnte, teilte er den Vereinten Nationen mit, dass die Vereinigten Staaten ihre Unterzeichnung für das Römische Statut – kurz nach der Invasion in Afghanistan und vor der Invasion im Irak – offiziell zurückgezogen hätten. Präsident Donald Trump ging sogar so weit, einzelne Mitglieder des Gerichtshofs per Exekutivverordnung wegen ihrer Ermittlungen zu mutmaßlichen amerikanischen Kriegsverbrechen in Afghanistan zu sanktionieren. Präsident Biden hat diese Sanktionen jedoch inzwischen aufgehoben und die Ermittlungen wurden daraufhin eingestellt.
Das US-Militär und die mit ihm verbundenen Thinktanks standen dem IStGH schon immer kritisch gegenüber, weil das Gericht keine Geschworenen führt, was mit der US-Verfassung nicht vereinbar ist. Beispielsweise bemerkte die konservative Heritage Foundation, dass "die Beteiligung der Vereinigten Staaten am IStGH-Vertrag auch deshalb verfassungswidrig wäre, weil sie den Prozess gegen US-Bürger für Verbrechen ermöglichen würde, die auf US-amerikanischem Boden begangen wurden, für die ansonsten vollständig die Justiz der Vereinigten Staaten zuständig wäre. Der Oberste Gerichtshof hatte seit Langem entschieden, dass nur die Gerichte der Vereinigten Staaten, wie sie in der Verfassung verankert sind, solche Straftaten behandeln können."
Trotz dieser komplizierten und weitgehend ablehnenden Beziehung erkannten die USA die Realität des IStGH an und unternahmen in der Vergangenheit einige Schritte, um mit der Institution zusammenzuarbeiten, insbesondere unter Präsident Barack Obama. Im Dezember 2022 erließ der US-Kongress eine außergewöhnliche Bestimmung in Bezug auf das Gericht, die es der US-Regierung im Rahmen des allgemeinen Haushaltsentwurfs erlaubt, bei "Ermittlungen und Strafverfolgungen von Ausländern im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine, einschließlich der Unterstützung von Opfern und Zeugen" zu unterstützen.
Dies schuf im Wesentlichen eine rechtliche und vielleicht moralische Ausnahme, bei der die USA ihren Teil des Kuchens bekommen und ihn in Bezug auf den IStGH auch essen konnten. Als der IStGH kürzlich einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen angeblicher "Kriegsverbrechen" erließ, reagierte Biden positiv darauf und sagte: "Ich denke, das ist gerechtfertigt" und obwohl die USA den IStGH nicht anerkennen, "glaube ich, dass es ein sehr starkes Zeichen setzt." Moskau hat seinerseits alle Anschuldigungen zurückgewiesen und erklärt, dass der IStGH für Russland nicht zuständig sei, da Russland keine Vertragspartei des Römischen Statuts ist.
Dennoch muss sich Außenminister Austin bewusst sein, dass derselbe Prozess, der jetzt gegen Russland aufgegleist wird, eines Tages auch gegen US-Soldaten geführt werden könnte – angesichts der schier endlosen Liste von Invasionen und der außerordentlich gut dokumentierten Chronik von Kriegsverbrechen, die von den USA begangen und von denen viele von WikiLeaks aufgedeckt wurden.
Welchen Weg Präsident Biden auch einschlagen wird, es wird weitreichende Folgen für das breitere Ansehen der USA sowohl bei Verbündeten und Gegnern gleichermaßen haben. Wenn er sich auf die Seite des Pentagons stellt, wird die US-Regierung als ultimativer Heuchler dastehen – einer, der Russland wegen angeblichen Fehlverhaltens verurteilt, während er Doppelschichten einlegt, um seine eigene Haut zu retten, wenn es um die schlimmsten vorstellbaren Verbrechen geht. Aber wenn Biden sich auf die Seite der Mehrheit seiner Administration stellt, könnte dies eines Tages zur Strafverfolgung amerikanischer Soldaten führen Und das wird ernsthafte Auswirkungen auf die Fähigkeit von Onkel Sam haben, seine ewigen Kriege ungestraft fortzusetzen.
Aus dem Englischen
Bradley Blankenship ist ein in Prag lebender US-amerikanischer Journalist, Kolumnist und politischer Kommentator. Er hat eine Kolumne bei CGTN und ist freiberuflicher Reporter für internationale Nachrichtenagenturen, darunter die Nachrichtenagentur Xinhua. Er twittert auf @BradBlank_
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