Merkel – oder: Ein Orden für falsches Spiel

Merkel soll einen Orden für ihre 16 Jahre Kanzlerschaft bekommen, und die Presse moniert daran nicht ihre schlechte Regierung, sondern ihre zu große Freundlichkeit Russland gegenüber. Dabei hat sie die ukrainische Suppe eifrig mit angerührt.

Von Dagmar Henn

Es ist schon putzig. Da könnte man Angela Merkel vieles vorwerfen, aber die deutschen Medien echauffieren sich angesichts der geplanten Ordensverleihung, kriegslüstern wie sie sind, ausgerechnet darüber, sie sei zu freundlich zu Russland gewesen. Dabei hatte sie im letzten Jahr erklärt, ihre Friedensverhandlungen in Minsk, die im Minsker Abkommen mündeten, nie ernst gemeint zu haben, und hat in all den Jahren seit 2015 auch keinen Handschlag getan, um die ukrainischen Regierungen zur Umsetzung dieses Abkommens zu veranlassen. Ihre Komplizenschaft bei der Vorbereitung des NATO-Krieges gegen Russland kann also niemand ernstlich infrage stellen.

"Kritik an ihrer Russland-Politik" werde "für Debatten sorgen". Weil sie zumindest noch die Gepflogenheiten diplomatischen Umgangs einhielt und nicht infantiles Gehabe als "feministische Außenpolitik" verkaufte? Weil sie sich noch veranlasst fühlte, friedfertig zu tun, statt im Gleichschritt mit größenwahnsinnigen Balten unverkennbar auf einen Weltkrieg zuzustreben?

Wie auch immer man es dreht und wendet, man endet bei dem Satz mit dem Einäugigen und den Blinden. Oder der Formulierung "schlimmer kommt immer". Die gepflegte Falschheit lässt wenigstens noch die Option einer Umkehr; der ehrliche transatlantische Fanatismus, den die deutsche Politik derzeit zur Schau trägt, ist ein Weg ohne Wiederkehr. Und der langsame Verfall, den die 16 Jahre Merkel den Deutschen brachten, wurde in aktive Abrissmaßnahmen gesteigert. Aber macht das den langsamen Verfall schon zum Verdienst? Sie hat ihn ja nicht aufgehalten oder behindert, sie hat ihn nur nicht beschleunigt.

Dass Frank-Walter Steinmeier ihr den höchsten Orden verleiht, muss nicht verwundern. Er war schließlich mit beteiligt an der Minsker Täuschung, am Einrühren dieser ukrainischen Suppe, die gerade gelöffelt werden muss. Und betrachtet womöglich die gegenwärtige Riege mit der gleichen Verachtung, die Merkel zeigt, indem sie die jetzige Führung ihrer Partei zu dieser Ehrung nicht einlädt – ein Haufen, dem die Bösartigkeit der Russland-Politik des Duos schlicht deshalb entgeht, weil er zu dumm ist, eine Täuschung zu erkennen.

Eine Täuschung, die auf mehr als eine Weise für das heutige Elend den Weg bereitet hat. Denn wäre nicht all die Jahre über behauptet worden, man stehe hinter den Minsker Vereinbarungen, hätte man nicht stetig erklärt, Russland, und einzig Russland sei schuld daran, dass sie nicht umgesetzt würden, vielleicht wäre darüber berichtet worden, was tatsächlich im Donbass geschieht, und die ganze Mär vom "unbegründeten russischen Angriffskrieg" hätte nie funktioniert. Steinmeier und Merkel haben gemeinsam das Elend vernebelt; haben sich Märchen ausgedacht, dass beispielsweise zuerst die Grenzkontrolle an die Ukraine übergehen müsse oder dass von Mariupol aus eine Landbrücke zur Krim führt; haben die ganzen Jahre über das Schweigen über die verheerende Ideologie der Bandera-Jünger gehegt und gepflegt. Jeder von ihnen wäre im Stande gewesen, dieses Schweigen zu durchbrechen, oder Gelder, die reichlich aus Berlin nach Kiew flossen, von Schritten hin zum Frieden abhängig zu machen, und keiner der beiden hat es getan.

Die Medienberichte deuten an, Ursula von der Leyen sei eingeladen worden, habe aber noch nicht zugesagt. Von der Leyen, die damals als Flintenuschi so gerne deutsche Truppen in den Donbass geschickt hätte. Die heute als EU-Kommissionspräsidentin von einer russischen Wirtschaft deliriert, die "in Fetzen" ginge. Wenn jemand Bürge dafür ist, dass in Angela Merkel kein Quäntchen mehr Freundlichkeit Russland gegenüber steckt als in Annalena Baerbock, dann ist das Ursula von der Leyen, die Ostlandreiterin aus Brüssel.

Nein, nicht einmal, wenn man sich vorzustellen versucht, ob Angela Merkel die Sprengung von Nord Stream so kriecherisch hingenommen hätte wie Bundeskanzler Olaf Scholz, gelangt man zu einer günstigeren Antwort. Vielleicht hätte sie einen schwarzen Blazer getragen. Aber Vorwürfe, sie habe sich nicht an die transatlantische Agenda gehalten, sind verfehlt; sie hätte vermutlich bei jener Pressekonferenz mit US-Präsident Joe Biden ebenso brav den Mund gehalten wie Scholz. Der Unterschied liegt in der B-Note, weil selbst das oft tölpelhaft Plakative der Merkel-Auftritte, 2014 etwa mit einem weißen Blazer für Poroschenko und einem schwarzen für Putin, verglichen mit der Nilpferddynamik einer Baerbock fast elegant scheint.

Längst hat sich herausgestellt, dass in acht Jahren sorgfältiger Kriegsvorbereitungen niemand, weder in Washington noch in Brüssel oder gar in Berlin, auch nur die erforderlichen Hausaufgaben erledigt hat, die erledigt sein sollten, ehe man solche Abenteuer vom Zaun bricht. Mehr als ein einmaliges Zählen ukrainischer Panzerbestände scheint nicht stattgefunden zu haben, und selbst nach der Einführung der Sanktionen, die dann die Erdgaspreise in Europa in die Höhe katapultierten, brauchte es fast ein ganzes Jahr, ehe der Financial Times auffiel, dass ohne Ammoniak auch der Sprengstoff knapp wird und deshalb beim besten Willen nicht mehr Granaten an die Ukraine geliefert werden können. Das ist auf der einen Seite günstig, weil es das Scheitern der NATO-Pläne garantiert, aber auf der anderen Seite zum Erbarmen lächerlich. Und nicht einmal Merkel, die als Physikerin doch eine gewisse Nähe zur materiellen Wirklichkeit besitzen sollte, kam in all den Jahren darauf, auch nur über die Sinnhaftigkeit dieser Pläne nachzudenken ...

Es ist schon so, die 16 Jahre Merkel haben die Saat der heutigen Idiotie gelegt, und sie trägt mit die Verantwortung für die Ernte, die jetzt eingefahren wird. Und wenn man die beiden anderen Ordensträger betrachtet, so passt sie nicht schlecht dazu. Adenauer war der Vater der deutschen Teilung ("lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb") und derjenige, der die Nazieliten wieder an die Hebel der westlichen Republik beförderte, und Helmut Kohl sorgte dafür, dass es einen Anschluss gab, keine Wiedervereinigung, und das Resultat ohne eine Verfassungsdebatte nach Westen orientiert blieb. Den Tiefpunkt deutscher Selbstachtung in Gestalt eines Olaf Scholz haben alle drei auf ihre Weise vorbereitet.

Wirklich freuen kann man sich vor allem darauf, wenn die ganze geifernde Journaille, der eine treue NATO-Intrigantin wie Merkel nicht antirussisch genug ist, eines Tages begreift, dass der Westen verloren hat und anfängt, hektisch in die Gegenrichtung zu rudern. Ob Merkel von ihrem Kumpan Steinmeier noch einen Orden erhält, wird günstigenfalls eine historische Fußnote. Schließlich reden wir spätestens seit Nord Stream von einer Bananenrepublik.

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