Von Thomas Röper
Der Korrespondentenbericht aus Deutschland ist für mich immer ein Highlight im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens, denn der Korrespondent Michail Antonow zeigt deutlich, wie man außerhalb der deutschen Medienblase auf die deutsche Politik blickt. Das hat er auch an diesem Sonntag wieder eindrucksvoll gezeigt, und ich habe seinen Bericht übersetzt:
Finanzstabilität in der Eurozone droht zu fallen
Diese Woche ist die zweite Schweizer Bank ins Straucheln geraten. Eine Reihe aufsehenerregender Bankenpleiten in den USA hat den Finanzmarkt dazu gezwungen, die Kranken und Schwachen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und nun hat die Credit Suisse, in deren Portfolio selbst ihre Manager nur ungern hineinschauen und deren Risiken bis vor Kurzem von einem Mann namens Lehmann verwaltet wurden, an einem einzigen Tag einen Kurssturz von über 30 Prozent erlitten.
Aber sie ist "too big to fall" – "zu groß, um zu fallen". Wenn das passiert wäre, stellt sich die Frage, ob die Deutsche Bank oder die Société Générale überlebt hätten. Ihre Rettung hätte Hunderte von Milliarden Dollar gekostet, aber bisher wurde die Credit Suisse mit nur 54 Milliarden von der Schweizer Zentralbank gerettet.
Auch die Fusion der Credit Suisse mit der UBS, der Nummer eins in der Schweiz, istkein Rezept zur Rettung der Situation: Man nehme eine Firma, die jedes Jahr sieben Milliarden Dollar Verlust macht, und fusioniere sie mit einer anderen, die dieselben sieben Milliarden Dollar pro Jahr verdient. Das ist kein Kapitalismus mehr, aber dafür ist alles unter Kontrolle.
"Wir beobachten die aktuellen Marktspannungen genau und sind bereit, bei Bedarf zu reagieren, um die Preis- und Finanzstabilität in der Eurozone zu gewährleisten", sagte Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
Der Spaß in der Eurozone wurde zwar verschoben, aber offenbar nicht abgesagt. Die Probleme der Credit Suisse sind nach Ansicht von Experten auf die abenteuerliche Politik während der Pandemie und ebenso riskante Operationen während der Energiekrise zurückzuführen – vielleicht hat man sich zu sehr auf die Worte von Politikern verlassen, die für ihre Worte keine Verantwortung tragen.
Von der Leyen auf der Suche nach einem neuen Schutzherrn
Die Präsidentin der EU-Kommission hat Biden gerade einen Besuch abgestattet. Nächstes Jahr sind Wahlen zum EU-Parlament, und es gibt einen Wechsel an der Spitze der EU. Ursula von der Leyen, die mithilfe ihrer Freundin Merkel Ministerpräsidentin von Europa wurde, braucht einen neuen Schutzherrn, um ihren Sitz zu behalten oder zumindest auf einen anderen warmen Platz zu wechseln, etwa als NATO-Generalsekretärin.
Scholz ist der Rolle des Patrons einfach nicht gewachsen, und Ursula von der Leyen – immer Protegé von irgendwem – bemüht sich nach Kräften, eine unentbehrliche Lobbyistin für US-Interessen in der Alten Welt zu werden. Die Früchte ihrer Aktivitäten sind unübersehbar. "Wir wissen, dass die Pandemie und der Krieg uns eine bittere Lektion über zu große Abhängigkeit erteilt haben. Wenn wir also unabhängig sein wollen, müssen wir dringend unsere Lieferketten mit gleichgesinnten Partnern stärken und diversifizieren", ist von der Leyen überzeugt.
Gut, das ist Politik, aber von der Leyen schlägt eine wertebasierte Wirtschaft für Europa vor. In einer Situation ständiger Rohstoffknappheit wird das nichts Gutes bringen. Man kann das Gegenteil behaupten, so viel man will, schließlich gibt es Norwegen, das europäische Lagerhaus der Reichtümer der Natur. Gemeinsam mit dem norwegischen Ministerpräsidenten und dem scheidenden NATO-Generalsekretär landete von der Leyen auf der "Troll", einer Gasplattform in der Nordsee, und erklärte: "Putin hat versucht, die EU zu erpressen, indem er die Gaslieferungen aus Russland um 80 Prozent gekürzt hat, was 100 Milliarden Kubikmetern entspricht. An diesem Punkt brauchten wir Freunde und Partner. Und das ist es, was Norwegen getan hat, indem es die Produktion erhöht hat, indem es uns in einem kritischen Moment geholfen hat, diesen Winter zu überstehen."
In Wirklichkeit waren es der milde Winter selbst und US-amerikanisches LNG zum sechsfachen Preis und nur zum Teil Norwegen, das die Einnahmen aus seinem Gashandel vervielfacht hat, die geholfen haben, den Winter zu überstehen. Die einzige Frage ist, wie lange das Land der Trolle in der Lage sein wird, russisches Pipelinegas auf dem europäischen Markt zu ersetzen, da seine Reserven stark erschöpft sind.
Der Satz "Gott sei Dank, wir haben den Winter überstanden" hat sich offenbar für lange Zeit im Lexikon der europäischen Politiker festgesetzt. Dabei kann man darüber nicht nur erleichtert, sondern auch stolz darauf sein, wie Scholz demonstriert: "In nur acht Monaten sind wir unabhängig von russischem Gas, russischem Öl und russischer Kohle geworden. In nur acht Monaten haben wir unsere Energieversorgung mit neuen Pipelines und Terminals für verflüssigtes Erdgas komplett umgestellt. Und niemand musste frieren. Es hat keine wirtschaftliche Katastrophe gegeben, auch keine Schließungen von Industriebetrieben."
Bundeskanzler Scholz fantasiert von deutscher Unabhängigkeit vom russischen Gas
In dieser Woche gab das älteste Stahlwerk Deutschlands, die Eisenwerk Erla GmbH in Sachsen, bekannt, dass es von der Schließung bedroht ist. Die erste Erwähnung dieser Schmiede stammt aus dem Jahr 1380. Sie schmiedete Rüstungen für den Hundertjährigen Krieg und die Kreuzzüge und gießt heute Teile für Automotoren von Mercedes, BMW und Audi.
Der Bundeskanzler prahlt bei allen öffentlichen Veranstaltungen mit der Unabhängigkeit von russischem Gas, aber irgendetwas stimmt da nicht ganz. Anfang letzten Jahres gab jeder zehnte Deutsche an, die Inflation zu spüren, heute sind es laut Focus 58 Prozent, und 17 Prozent der Befragten haben ganz banal zu wenig Geld für die täglichen Ausgaben.
Diese Woche wurde für die Erhöhung der Löhne und Gehälter gestreikt – kurz aufgelistet waren das: die berühmte Charité, der Berliner Willy-Brandt-Flughafen, die Deutsche Post, Erzieherinnen und Erzieher und das Personal des öffentlichen Nahverkehrs. Das passiert im relativ reichen Deutschland. Was ist dann bei den anderen?
Was bei ihnen ist, kann man auch ohne Übersetzung verstehen. An Wochentagen gehen die Tschechen in die Geschäfte, aber am Wochenende versammeln sie sich in Prag zu Anti-Regierungs-Demonstrationen. Die Inflation in Osteuropa ist nicht nur zweistellig, sondern schwankt um die 20 Prozent.
In den baltischen Staaten ist diese Schwelle bereits überschritten und Polen nähert sich ihr mit 18,4 Prozent im Februar souverän. Wichtigster Preistreiber sind die Stromkosten. Der Chef der deutschen Bundesnetzagentur Müller bemerkte, dass "die Zeit der billigen Energie aus Russland vorbei ist", und das Schlüsselwort ist hier "billig". Andererseits gibt es eine Fülle von teuren Projekten.
So denkt der deutsche Energieminister Habeck darüber nach, alle deutschen Haushalte mit Wärmepumpen auszustatten. Die Idee hat er von einer bekannten Elektroautomarke abgeschaut, und er will die Deutschen dazu bringen, bis 2024 vollkommen auf Gas- und Ölheizungen zu verzichten. Nach Habecks Vorstellung wird die Bevölkerung diese "Wärmewende" zunächst aus eigener Tasche finanzieren und dann für klimaneutralen Strom doppelt so viel bezahlen wie bei den derzeitigen – drakonischen – Tarifen. All diese Fantasien werden von den Deutschen bisher toleriert, aber die Niederländer scheinen genug davon zu haben.
Niederländer haben die Nase voll
"Bei den Kommunalwahlen in den Niederlanden feiert eine neue Partei, die Bürgerbewegung der Landwirte, einen sensationellen Sieg und vereint all jene, die von der 'grünen' Politik der Regierungskoalition von Ministerpräsident Rutte gequält werden", erklärte die Parteivorsitzende Caroline van der Plas, das Gesicht des niederländischen Bauerntums. Sie war die einzige Abgeordnete, die sie im Parlament vertrat. Doch nun erhält ihre Partei 15 der 75 Sitze im Oberhaus. Sie wird hörbarer werden. "Wenn die Menschen nicht mehr an die Politik glauben, bleiben sie zu Hause, aber heute haben sie gezeigt, dass sie nicht mehr zu Hause bleiben wollen, sie wollen, dass ihre Stimme gehört wird", sagte van der Plas.
Der Bauernaufstand in den Niederlanden könnte in ganz Europa unterstützt werden, nicht nur von Menschen aus der bäuerlichen Bevölkerung, sondern auch, wie in den Niederlanden, von der städtischen Basis. Und das ist ein sehr unangenehmer Weckruf für das Establishment: Aus dem Nichts, mit einem Fingerschnippen, entsteht eine Kraft, die zu einem politischen Erdbeben fähig ist. Der Boden ist bereitet – in ihm bilden sich innere Klüfte und die Lücken zwischen den Versprechungen der Politiker, den Erwartungen der Menschen und der realen Lage.
Zum Beispiel in Großbritannien. Dem Spiegel zufolge sinkt der Lebensstandard in Großbritannien so schnell wie seit 70 Jahren nicht mehr. Und, wie überraschend, nicht jedem gefällt, wie der von einem Haufen Konservativer gewählte Premierminister die Staatsgelder ausgibt. "Es wurde eine Aufstockung der Mittel um fünf Milliarden Pfund angekündigt, um unsere fantastischen Streitkräfte zu unterstützen, mit der Absicht, die Mittel im Laufe der Zeit noch weiter zu erhöhen", sagte der britische Premierminister Rishi Sunak.
Und das alles, weil die Welt gefährlicher geworden sei, so Sunak, und obwohl die britischen Streitkräfte bereits "fantastisch" seien. Andererseits ist es ein Zeichen von Lüge, wenn man seine Rede so ausschmückt. Möglicherweise tarnt die britische Regierung Militärhilfe für das Kiewer Regime unter dem Deckmantel der Ausgaben für die eigene Armee, um den Briten nicht immer wieder erklären zu müssen, wozu das nötig ist.
Fliegender Schrott für die Ukraine
In dieser Woche ging es bei dem ukrainischen Thema in Europa vor allem um zwei Dinge: Artilleriegeschosse des Kalibers 155 – eine Million davon werden benötigt, und die EU-Verteidigungsminister haben sich geeinigt, dafür zwei Milliarden Euro auszugeben – und Kampfjets. Dreizehn MiG-29 aus sowjetischer Produktion sollen von der Slowakei und zehn Maschinen sollen von Polen übergeben werden.
"Es sind die letzten Jahre ihres Einsatzes, was ihre technischen Fähigkeiten angeht, aber in den meisten Fällen sind sie noch in gutem Zustand. Buchstäblich in den nächsten Tagen übergeben wir der Ukraine vier Flugzeuge, wenn ich mich recht erinnere, in voll funktionsfähigem Zustand", sagte der polnische Präsident Andrzej Duda.
Mit anderen Worten: Schrott, aber er fliegt noch. Auch in Kiew wurde die Qualität der Flugzeuge nicht gewürdigt, aber Grund zur Beschwerde gibt es nicht. Das gilt umso mehr, als die EU, wie schon bei den anti-russischen Sanktionen, bei den Waffenlieferungen an die Ukraine an die Grenzen ihrer verfügbaren Mittel stößt. Nicht nur materiell, sondern mancherorts auch politisch.
In Spanien beispielsweise ist die sozialistische Regierung von Pedro Sánchez in der Frage der Bewaffnung der Ukraine deutlich gespalten, denn die Koalitionspartner von der ultralinken Podemos-Partei sagen, es sei genug. Einige im EU-Parlament geraten darüber natürlich in Panik. "Wenn es in Spanien Minister gibt, die auf der Straße gegen die NATO protestieren, und dann der NATO-Gipfel in Madrid stattfindet, bedeutet das, dass die spanische Regierung gegen den NATO-Gipfel protestiert, sorry, aber das ist verrückt. Das ist einfach verrückt. Die linke Podemos-Partei, die an der Regierung beteiligt ist, stimmt gegen ihre eigene Regierung, gegen weitere Unterstützung für die Ukraine, das ist die Situation in Madrid. Was ist das, sagen Sie es mir?!", erregte sich Manfred Weber, der Fraktionschef der Konservativen im EU-Parlament.
Vielleicht ist bei Sánchez alles gar nicht so schlimm und Herr Weber drängt darauf, sich vor allem bei den jungen Europäern – den Balten und den Polen – zu rehabilitieren, denn sie waren es, die 2019 verhindert haben, dass er, ein Kritiker der osteuropäischen Demokratien, Präsident der EU-Kommission wurde, weshalb von der Leyen in Brüssel auftauchte. Nächstes Jahr kann er seinen Versuch wiederholen – er muss nur so viel wie möglich tun, um irgendwo in Warschau zu gefallen.
Andererseits gibt es Grund zur Sorge, denn Spanien übernimmt Mitte des Jahres die EU-Präsidentschaft. Es muss wie ein Fels in der Brandung stehen, aber es sieht nicht wie ein Fels aus. Außerdem sind dort im Dezember Parlamentswahlen, und es könnte sein, dass das Königreich genauso wie das niederländische Königreich erschüttert wird.
Aber das sind alles Ereignisse der zweiten Jahreshälfte. Nächsten Donnerstag findet ein EU-Gipfel statt. Ukraine, gemeinsame Gaseinkäufe, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie …
Bei dem Gipfel wird Bundeskanzler Scholz eine gute Gelegenheit haben zu bekräftigen, dass in Deutschland alles in Ordnung ist, aber dann muss man sich anhören, was die Deutschen darüber denken: Am 27. März sollte man besser nichts Wichtiges planen, denn dann wird das Land durch einen großen Streik gelähmt.
Übersetzt von Thomas Röper. Zuerst veröffentlicht am 19. März auf dem Medienportal Anti-Spiegel.
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