Von Susan Bonath
Die Pharmaindustrie, Rüstungskonzerne, Energieriesen verdienen sich derzeit auf Steuerzahlerkosten die sprichwörtliche goldene Nase. Doch wer in Deutschland als gesetzlich Versicherter krank wird, kann schnell in Not geraten. Die Versorgung ist zunehmend katastrophal. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wirbt darum für seine geplante Reform. Diese würden viele Kliniken ohne sofortige Finanzspritzen aber nicht mehr erleben, beklagte Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zum Auftakt eines Gipfels. Er sprach vom größten Notstand seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Ruinöses Fallpauschalen-System
Das Reformkonzept Lauterbachs soll bis Ende dieses Jahres in ein Gesetz gegossen werden. Es sieht eine teilweise Abkehr vom Fallpauschalen-System vor, das Lauterbach einst selbst mit vorangetrieben hatte. Ab 1996 wurden damit zunächst bestimmte Leistungen, etwa Hüft- oder Knieoperationen, mit einer Fallpauschale vergütet. Ab 2003 weitete der Gesetzgeber dieses System auf fast alle Behandlungen aus.
Das führte dazu, dass Kliniken wenig lukrative Sparten, vor allem Kindermedizin, Geburtshilfe und Frauenheilkunde, abbauten und die Personaldecke ausdünnten. Dies dürfte der Hauptgrund für den immer dramatischeren Fachkräftemangel in Kliniken und Ambulanzen sein. Dies sorgte auch in der Corona-Krise für Überlastungen des Gesundheitswesens. Die Politik schob dies allerdings auf Corona-Fälle und begründete damit ihre Maßnahmen.
Die Krankenhäuser sollen nach Inkrafttreten der Reform mehr Geld für ihre Fixkosten bekommen, um Pflegekräfte und medizinische Geräte für Notfälle bereithalten sowie Notaufnahmen betreiben zu können. Die Fallpauschalen sollen dann einen geringeren Teil der Finanzierung ausmachen.
Die für die klinische Versorgung zuständigen Bundesländer sind sich zwar weitgehend einig, dass ein Schritt in diese Richtung überfällig ist. Sie kritisieren allerdings, dass Krankenhäuser künftig in drei Kategorien streng aufgeteilt werden sollen: Grundversorger, Spezial- sowie Unikliniken. Erstere würden dann weniger Krankheiten behandeln können. Viele schwer Erkrankte hätten dann noch weitere Wege als oft schon jetzt. Die aktuelle Situation beschrieb Lauterbach am Montag selbst als dramatisch. Er sagte:
"Die Lage der Krankenhäuser war noch nie so trist und schwierig wie jetzt. Die Investitionen sind seit Jahren nicht mehr bedient worden. Viele Häuser sind in einem schwierigen Zustand, haben zunehmend Probleme, die Fallzahlen zu erwirken, weil das Personal fehlt."
DKG: Ohne Soforthilfe droht Pleitewelle
Die DKG warnte nach dem Gipfelauftakt, ohne ein sogenanntes Vorschaltgesetz für sofortige Finanzhilfen gingen wohl viele Kliniken pleite, bevor die geplante Reform greifen könne. Bis Ende 2022 sei bereits ein Defizit von knapp sieben Milliarden Euro aufgelaufen, aktuell komme pro Monat rund eine dreiviertel Milliarde dazu. Ohne Finanzspritzen stünden die Häuser zum Jahresende bei minus 15,6 Milliarden Euro und müssten wohl reihenweise Insolvenz anmelden, mahnte DKG-Chef Gaß und fügte an:
"Die Krankenhäuser sind in einer dramatischen Situation wie nie zuvor seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die starke Inflation hat ihre ohnehin schon angespannte wirtschaftliche Lage verschärft. Nur wenige Krankenhäuser können aufgrund der Detailregelungen die von der Bundesregierung versprochenen Energiehilfen in Anspruch nehmen."
Aus dem Energie-Härtefallfonds seien gerade einmal fünf Prozent bei den Einrichtungen angekommen, betonte Gaß. Der Inflationsausgleich fehle damit fast komplett. Die anstehenden Tarifverhandlungen mit voraussichtlich stark steigenden Gehältern setzten den Krankenhäusern weiter zu. Er forderte Soforthilfen, die sich an der Realität orientieren und aufgeteilt würden in Gelder für teurere Sachkosten und die unmittelbare Energiekosten-Steigerung. "Mehr pauschale Mittel wären notwendig", sagte Gaß.
Er warnte vor einem "fortgesetzten wirtschaftlichen Auszehren der Krankenhäuser". Dies lasse am Ende nur "weite Teile der Bevölkerung ratlos zurück" und "beschädigt das Vertrauen in unsere Sozialsysteme". Wissenschaftler aus der Regierungskommission hätten errechnet, dass 100 Milliarden Euro nötig seien, um die Kliniken zu retten. Gaß plädierte für Investitionsprogramme und ein Sondervermögen für Krankenhäuser für die nächsten acht bis zehn Jahre. Außerdem müsse viel Bürokratie abgebaut werden, etwa ausufernde Dokumentationspflichten. Dies binde Fachpersonal außerhalb ihrer Arbeit am Patienten zunehmend.
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