Von Andrei Rudaljow
Es ist mit bloßem Auge sichtbar: Die UNO ist zu einer parteiischen, einseitig engagierten Struktur verkommen. Dieser Trend ist nicht neu, aber jetzt ist es nicht mehr zu übersehen, wann immer Fragen auftauchen, die für diese internationale Organisation unbequem sind.
Kürzlich gab es einen vielsagenden Präzedenzfall, der die Parteilichkeit der UNO allen Interessierten deutlich vor Augen führte. Spitzenbeamte der Organisation hatten auf die Erklärungen einiger europäischer Staats- und Regierungschefs über den wahren Charakter der Minsker Vereinbarungen zu reagieren sowie ihr Geständnis zu bewerten, dass es nie geplant gewesen sei, den Friedensplan umzusetzen. Es waren Erklärungen, Geständnisse, die nicht von Außenstehenden kamen, sondern unmittelbar von jenen, die als Garanten der Minsker Verträge auftraten und stets über Frieden und Konfliktverhütung sprachen. Es waren Geständnisse von Betrügern, die sich selbst entlarvt haben.
Es war ein eklatanter Vertrauensbruch, der das gesamte System der völkerrechtlichen Verträge untergrub, als die Abkommen zu einem Instrument der Täuschung und Manipulation wurden und den Geständnissen der Garanten zufolge nur abgeschlossen wurden, um eine der Parteien auf eine offenbar von vornherein beabsichtigte militärische Konfrontation vorzubereiten.
Hätte dies nicht in den Zuständigkeitsbereich der UNO fallen müssen, und hätten hohe Beamte dieser Organisation nicht eine unparteiische Bewertung der Geschehnisse vornehmen müssen? Schließlich haben die Ereignisse zu einer blutigen Konfrontation in der Ukraine geführt und die Gefahr eines globalen Zusammenstoßes heraufbeschworen.
Doch die UNO hüllte sich in Schweigen und entschied sich dafür, den Weg der Vorgängerorganisation, des praktisch handlungsunfähigen Völkerbundes zu gehen.
Es sei daran erinnert, dass der UN-Sicherheitsrat im Jahr 2015 eine Resolution verabschiedet hatte, in der er die in Minsk geschlossenen Vereinbarungen zur Beilegung der innerukrainischen Krise billigte und deren vollständige Umsetzung forderte. Die Aufsicht über die Erfüllung dieser Resolution war somit eine unmittelbare Pflicht des UN-Generalsekretariats. Nach den Enthüllungen von Merkel und Hollande, sind folglich auch an die UNO berechtigte Fragen zu richten: Ist man sich im Generalsekretariat der wahren Natur der stattfindenden Prozesse nicht bewusst oder sind die UNO-Beamten vielleicht sogar direkt in die Täuschung involviert gewesen, haben sie einer der Konfliktparteien wissentlich und absichtlich zugespielt?
Kurze Zeit später wiederholte sich das Muster beim Umgang der UNO mit der russischen Forderung nach einer internationalen Untersuchung der Sprengung der Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Auch hier gab es keinerlei vernehmbare Reaktion. Man hat den Eindruck, dass der derzeitige Generalsekretär Guterres Angst vor der unbequemen Wahrheit oder auch nur einer Andeutung dessen hat. Dabei war diese Sabotage ebenfalls ein ungeheuerlicher Fall. Das Fehlen einer angemessenen Reaktion darauf kann als Legitimierung von Staatsterrorismus empfunden werden, – nach dem Motto: Ein gewisser Jemand dürfe alles.
Wie der russische Außenminister Sergei Lawrow feststellte, "weichen der Generalsekretär und sein Stab jeder Gelegenheit zur Stellungnahme aus". Er erinnerte daran, dass Russland im UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf mit der Bitte um eine unparteiische Untersuchung vorgelegt habe. Der Diplomat formulierte seine Hoffnung: "Ich denke, dass sie nicht ungehört bleiben wird."
Die UN-Beamten verstecken sich und treten nur dann aus dem Gebüsch hervor, wenn sie die Gelegenheit haben, eine höchst zweifelhafte und parteiische Position zu vertreten. So geschehen, als Guterres nach einem kürzlichen Treffen mit Selenskij in Kiew von der "Notwendigkeit der Entmilitarisierung" des Kernkraftwerks Saporoschje faselte. Dies, obwohl die IAEA für ein Abkommen wirbt, das dieses AKW zu einer nuklearen Sicherheitszone erklärt. Fühlt sich der Generalsekretär durch Selenskijs Reden geschmeichelt?
"Der UNO-Generalsekretär hat die einseitigen ukrainischen Forderungen eindeutig gebilligt", kommentierte Lawrow diesen Auftritt von Guterres. Er erinnerte daran, dass der Generalsekretär laut UN-Charta – als internationaler Beamter, als Hauptverwaltungsperson der UNO – eine neutrale Position einzunehmen habe. Etwas, das Guterres immer wieder misslingt.
Es hat den Anschein, dass die UNO einen vorgefassten Standpunkt vertritt und auf alle Ereignisse, die diesen infrage stellen, mit einem "ich sehe nichts, ich höre nichts" reagiert. Man erinnere sich auch an die sehr schleppende Reaktion auf Informationen über die von der ukrainischen Armee an Kriegsgefangenen begangenen Gräueltaten: Es gab lediglich Bekundungen der Besorgnis. Eine solche "totale Passivität" ist ein Zeichen der Degeneration.
Es kann festgestellt werden, dass sich viele Weltinstitutionen während der Zeit der unipolaren Hegemonie daran gewöhnt haben, (vor dem Hegemon) stramm zu stehen, seine Befehle auszuführen und über das dazu nötige hinaus schlicht degradiert sind. Die UNO ist da keine Ausnahme. Die Organisation ist zu einer bürokratischen Struktur am westlichen Haken und im Dienste eines Hegemons verkommen, dessen Personal nur um die eigene Stellung auf der Karriereleiter und um die Wahrung von Privilegien besorgt ist.
Während die UNO ursprünglich als Garant der Nachkriegsweltordnung auftrat, zeigen die aktuellen Realitäten, dass sie ihre Aufgabe jetzt in der Verteidigung der Interessen der westlichen Demokratien und insbesondere ihres Hegemons, der Vereinigten Staaten, sieht. Von den letzten Überbleibseln der ursprünglichen Idee der UNO sind nur die Mitgliedschaft Russlands im Sicherheitsrat und sein Vetorecht geblieben. Deswegen werden immer wieder Stimmen laut, die eine Reform der Organisation fordern. Nimm Russland aus dem Sicherheitsrat heraus – und wer wird verhindern, dass sich derselbe Generalsekretär schließlich in einen typischen westlichen Politiker verwandelt, dessen Arbeitsspeicher voll von Russophobie ist?
Es ist anzumerken, dass der Westen und Russland den Zweck der Organisation unterschiedlich verstehen. Für Russland ist die UNO eine Schlichtungsstruktur, ein Garant für die Wahrung des Gleichgewichts in der Welt. Die Geschichte hat die Wirksamkeit dieses Formats bewiesen, da es während des Bestehens der UNO zu keiner größeren globalen Konfrontation gekommen ist.
Die USA hingegen sehen die UNO als eine Tribüne, von der sie ihr Diktat verkünden und als Instrument ihrer Weltherrschaft, das die von Washington ausgegebenen Weisungen an den Rest der Welt weiterzuleiten hat. Die USA betrachten die UNO zudem lediglich als Fassade, hinter der sie und nur sie das alleinige Recht haben, zu richten und zu begnadigen, Konflikte zu schüren und zu lösen.
Die UNO versucht, diesen (US-amerikanischen) Vorstellungen gerecht zu werden, tritt zunehmend für das Recht des Stärkeren ein – für den Anspruch des Hegemons, Hegemon zu sein. Deshalb ist es den USA auch möglich, in Räumen der UNO mit Reagenzgläsern zu wedeln, ohne dass jemand den Lügnern und Täuschern ins Gewissen redet. Warum sollte man sich überhaupt noch darüber wundern, dass so etwas in der Organisation toleriert und als Norm akzeptiert wird? Das erklärt auch die für die UNO typisch gewordene Nichtreaktion auf Verbrechen und Vergehen des Hegemons und seiner Satelliten.
Es ist auch festzustellen, dass der Standort der Organisation nicht mehr den geopolitischen Realitäten entspricht. Dieses Thema wird schon seit Langem diskutiert. Es liegt auf der Hand, dass ein neutraler Status ein neutrales Gebiet erfordert. New York ist kein neutrales Gebiet. Der Sitz des Hauptquartiers ist auch ein Druckmittel, das regelmäßig eingesetzt wird, von dem Zwang für eine Reihe von Ländern, "richtig" abzustimmen, bis zu Skandalen, bei denen ganze Delegationen nicht in die USA gelassen wurden.
Und dann ist da noch der zögerliche Generalsekretär Guterres, der durch sein Handeln das Ende der UN-Ära näher rückt. Eine eklatante Passivität zu einem Zeitpunkt, an dem Entschlossenheit gefragt ist, weil zu viel auf dem Spiel steht.
Übersetzung aus dem Russischen.
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