Von Dagmar Henn
Wenn ein Bagger irgendwo ein Internetkabel beschädigt und 1.500 Menschen einen Tag lang kein Netz haben, ist das bestenfalls eine Kurzmeldung in der Lokalpresse. Leben diese 1.500 Menschen aber auf einer kleineren Insel, die zu Taiwan gehört, gibt das einen Artikel im Wall Street Journal, in dem darüber spekuliert wird, ob das böse Absicht der Festlandchinesen war oder doch nur ein Zufall, und wie dringend eigentlich Taiwan Musks Starlink bräuchte, das sich in der Ukraine so bewährt hätte.
Zwanzig Mal, das gibt der Autor zu, waren die Kabel im Verlauf der letzten fünf Jahre beschädigt. Aber diesmal seien binnen weniger Tage beide Kabel beschädigt worden, die die Insel Dongyin und ihre Nachbarinseln mit der Hauptinsel verbinden. "Es gibt keinen Beleg dafür, dass Peking absichtlich das Internet des Matsu-Archipels beschädigt hat oder dass es beabsichtigt, in naher Zukunft solche Handlungen gegen Taiwan zu unternehmen." Diese Formulierung ist ein typisches Beispiel, wie man beim Leser einen Verdacht wecken kann, für den es keinerlei Grundlage gibt.
Das wirkliche Problem liegt an ganz anderer Stelle, wird aber nur nebenbei erwähnt: "Taiwan hat nicht die Fähigkeiten, seine beschädigten Unterwasserkabel selbst zu reparieren, sondern muss sich auf private Dienstleister verlassen, die Wochen oder Monate brauchen können, ehe sie ein Reparaturschiff schicken. Diesmal wurde dem Telefonunternehmen mitgeteilt, das Schiff stünde nicht vor dem 20. April zur Verfügung."
Vierzehn Unterseekabel verbinden Taiwans Internet mit dem Festland, heißt es in dem Artikel, und Militäranalytiker wären überzeugt, dass im Falle eines Konflikts China diese Kabel als Ziel betrachten würde.
Was das Wall Street Journal nicht berichtet, ist, dass, wie eine auf Zero Hedge veröffentlichte Karte zeigt, zwar einige dieser Kabel nach Südkorea, Japan, Malaysia oder Vietnam führen, die meisten allerdings nach China.
Eine örtliche Funktionärin der US-geförderten Regierungspartei der Demokratischen Progressiven erklärt gegenüber dem WSJ, "wenn auf Matsu das Internet ausfallen kann, kann das auch auf Taiwan passieren".
Der Artikel verbindet, als wäre es selbstverständlich, die kleine chinesische Insel mit der Ukraine:
"Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, wie lebenswichtig das Internet für ein kleineres Land sein kann, dem eine Invasion droht, sowohl, um internationale Unterstützung zu erhalten, als auch, um den Widerstand zu koordinieren. Wenn China Taiwans Kabel durchtrennen würde, wären große Teile der Insel offline und blieben verwundbar."
Der einzige vergleichbare Angriff auf Infrastruktur erfolgte allerdings nicht durch China oder Russland, sondern durch die USA selbst. Es wird gewissermaßen das Gespenst des Nord-Stream-Anschlags beschworen, um dann China ähnliche Absichten zu unterstellen.
"Wir müssen unser Internet resilienter machen, die Übertragung für kabellose Kommunikation diversifizieren und mehr Alternativen haben, um mit einigen Notfallsituationen umzugehen", darf zum Abschluss der stellvertretende Vorsitzende der nationalen Kommunikationskommission Taiwans sagen.
Wie gesagt, es geht um ein Kabel, das 1.500 Menschen ans Internet anschließt. Aber die USA fahren gerade die Kriegspropaganda gegen China hoch. Da ist dann selbst der sprichwörtliche Sack Reis einen langen Artikel wert.
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