Von Fjodor Lukjanow
Peking hat seit vergangener Woche seine diplomatischen Aktivitäten erheblich intensiviert. Dies liegt nicht nur daran, dass sich China aus der langjährigen Pandemie-Isolation befreit hat, die zuvor seinen Handlungsspielraum einschränkte. Das Hauptmotiv ist, dass Chinas Rolle und sein Gewicht in der internationalen Arena so weit gewachsen ist, dass eine kontemplative geopolitische Distanzierung nicht mehr möglich ist. Dies ist ein wichtiger Wandel im chinesischen Selbstbewusstsein. Die Frage ist nun, zu welchen Veränderungen dies in der Praxis führen wird.
Das Nichthandeln als höchste Tugend und die widerspruchsfreie Durchdringung von Gegensätzen sind Prinzipien einer traditionellen Philosophie, aber auch eine bewährte Art und Weise, sich auf der internationalen Bühne zu bewegen. Eine detaillierte Analyse dieses Phänomens sollte Fachleuten überlassen werden, aber es ist dennoch erwähnenswert, dass der Wandel von einer solchen Weltanschauung hin zu einer ideologischen und geopolitischen Konfrontation stattfand, als China eine – im Grunde fremde – westliche kommunistische Doktrin übernahm.
Mao Zedong versuchte nicht nur die Gesellschaftsordnung, sondern auch die Kultur der Chinesen zu verändern. Seine Regierungszeit endete jedoch mit einem Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, was eine Rückkehr zu einem strategischen Gleichgewicht bedeutete, das dem chinesischen Weltbild besser entsprach. Die gegenseitige Anerkennung bedeutete jedoch nicht Übereinstimmung und Harmonie, sondern entsprach den damaligen strategischen Zielen beider Seiten. Diese Periode in den Beziehungen Chinas zu den USA, die bis vor Kurzem noch Gültigkeit hatte, scheint jetzt an ihr Ende gekommen zu sein.
In den USA wird viel über die vergangenen Jahrzehnte diskutiert, und es wird beklagt, dass China am meisten von der Interaktion zwischen beiden Staaten profitiert hat. Dies mag umstritten sein, aber im Allgemeinen ist es schwer zu bestreiten, dass Peking der Hauptnutznießer war –, zumindest in Bezug auf die Transformation des Landes und seinen Platz auf der internationalen Bühne. Die Strategie von Deng Xiaoping, des ruhigen, allmählichen Aufstiegs des Landes, war ganz im Sinne der Chinesen, und das Ergebnis hat das zweifellos gerechtfertigt. So sehr, dass es für Peking schwierig zu verstehen war, dass diese äußerst günstige und vorteilhafte Periode enden könnte.
Aber dieses Ende erwies sich aus einem einfachen Grund als unvermeidlich: China hat eine Machtposition erlangt, die es ungeachtet seiner Wünsche und Absichten zu einem potenziellen Rivalen der USA macht. Und dies hat zu einer natürlichen Transformation der amerikanischen Herangehensweise an Peking geführt. Schließlich ist der US-Stil das genaue Gegenteil des oben beschriebenen klassischen chinesischen Stils. Und die Versuche Chinas, in den 2010er und Anfang der 2020er-Jahre den wachsenden amerikanischen Druck zu bremsen, sind gegen Washingtons feste Absicht gestoßen, die Beziehung zu Peking in die Kategorie eines strategischen Wettbewerbs zu verschieben. Gleichzeitig wuchs auch Chinas Durchsetzungsvermögen und sein Selbstvertrauen, aber wenn es nur von Peking abhängen würde, hätte die Periode der gewinnbringenden Zusammenarbeit noch einige Jahre andauern können.
Wie dem auch sei, eine neue Ära ist nun angebrochen. Chinas Wiedererwachen in der diplomatischen Arena zeigt, dass Peking keine Angst davor hat, eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen. Die Form seines internationalen Engagements trägt zwar noch die Handschrift der Vorperiode und des sehr traditionellen Ansatzes –, die sterile Präzision der Formulierungen im chinesischen Friedensvorschlag in der Ukraine-Frage zeugt davon. Aber auch das dürfte sich ändern. Chinas Wunsch, eine nach außen gut gemeinte Neutralität zu bewahren, kommt Moskau entgegen. Es ist der Westen, der China leichtfertig Unaufrichtigkeit unterstellt, und das in einem Ton, der den Chinesen gar nicht gefällt. Eine scharfe Kehrtwende von Peking ist zwar nicht zu erwarten, weil es seinem Anstandsgefühl widersprechen würde, aber die Richtung ist vorgegeben.
Es geht nicht darum, ob China die Einschätzung Russlands über die Geschehnisse in der Ukraine teilt. Peking hat es sorgfältig vermieden, eine Meinung zu äußern und Position zu beziehen, weil es diese Angelegenheit nicht als seine Sache betrachtet. Ob man will oder nicht: Die Neuausrichtung der Kräfte auf der Weltbühne nimmt ihren Lauf, mit China und Russland auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten auf der anderen Seite. Und das wird fortan immer deutlicher werden.
In den zehn Jahren an der Spitze seines Landes hat Xi Jinping Chinas Innen- und Außenpolitik verändert. Einerseits hat er deutlicher als seine Vorgänger die klassische chinesische Sichtweise betont, andererseits hat er die mit dem Sozialismus verbundenen Parolen und Ideen gewürdigt. Ersteres impliziert eine autarke Harmonie, während Letzteres dazu neigt, sowohl nach außen als auch nach innen zu schauen. Diese Symbiose wird wahrscheinlich Chinas Positionierung in den nächsten fünf oder zehn Jahren der Herrschaft von Xi bestimmen. Das feindliche internationale Umfeld wird Pekings Fähigkeit, ein akzeptables Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, zunehmend auf die Probe stellen. Viel wird davon abhängen, wie erfolgreich diese Versuche sind – auch für Russland.
Aus dem Englischen
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Valdai International Discussion Clubs.
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