Die nächste Runde Demütigung: Olaf Scholz zum Befehlsempfang in Washington

Ganz allein, sozusagen fast konspirativ, flog Bundeskanzler Olaf Scholz nach Washington und plauschte mit US-Präsident Joe Biden. Eine völlig unnütze Ausgabe, da er ohnehin brav tut, was ihm gesagt wird. Schlimmer noch, sein williges Mittun ist beschämend.

Von Dagmar Henn

Es war ein ungewöhnlicher Staatsbesuch, den Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington absolvierte. Scholz flog, das war noch vor seiner Abreise bereits im Bundestag kritisiert worden, ohne Tross; die sonst übliche Begleitung aus Journalisten und Wirtschaftsvertretern wurde nicht mitgenommen, es gab keine gemeinsame Pressekonferenz, das Gespräch zwischen Scholz und Joe Biden, das 80 Minuten dauerte, fand ohne Dolmetscher statt, und das Bundeskanzleramt veröffentlichte nicht einmal eine Zusammenfassung, wie das bei solchen Gesprächen sonst üblich ist.

Nun hat Biden im Verlauf seiner gesamten Amtszeit erst zehn Pressekonferenzen gegeben; vermutlich eine Risikosituation, die der greise US-Präsident zu vermeiden sucht. Auch, dass er nicht einmal vor das Weiße Haus trat, um seinen Gast zu begrüßen, mag andere Gründe gehabt haben als mangelnden Respekt für Scholz. Die Hauptstadtjournaille jedenfalls hat diese Zurückweisung folgsam weggesteckt und in der Berichterstattung sorgsam vermieden, den Elefanten im Raum zu erwähnen, der Nord Stream heißt.

Die Mitteilung des Weißen Hauses über das Gespräch ist kurz: "Präsident Joseph R. Biden Jr. hieß heute Kanzler Olaf Scholz aus Deutschland im Weißen Haus willkommen, um die starke bilaterale Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu bekräftigen. Ein Jahr nach Russlands brutalem Einmarsch in der Ukraine diskutierten die Regierungschefs die fortgesetzten Bemühungen, der Ukraine humanitäre, wirtschaftliche, politische und Sicherheitsunterstützung zu gewähren, und die Bedeutung, die globale Solidarität mit der Ukraine aufrechtzuerhalten. Sie wiederholten ihre Verpflichtung, Russland Kosten für seine Aggression aufzuerlegen, solange es nötig sei. Die Regierungschefs tauschten auch Ansichten über andere globale Themen aus."

Scholz äußerte sich zumindest per Twitter:

Es wird sicherlich einige in Deutschland geben, die dieses selbstzufriedene Grinsen des Kanzlers, gekoppelt mit seinem Dank für die Freundschaft, mit Widerwillen sehen. Schließlich ist da diese Kleinigkeit in der Ostsee, die als Freundschaftsbeweis zu sehen doch eher schwerfällt. Bei den meisten Analytikern, die sich vorab mit diesem Besuch beschäftigten, wurde das auch als Hauptgrund dafür gesehen, dass die Möglichkeit journalistischer Rückfragen so sorgfältig vermieden wurde – wehe, es hätte auch nur einer die Worte Nord Stream in den Mund genommen. Denn jede, wirklich jede denkbare Antwort hätte nur unsäglich peinlich sein können, gleich, ob Scholz eingestanden hätte, ihn habe der Anschlag erleichtert, oder ob er völlige Ahnungslosigkeit gemimt oder beteuert hätte, nie und nimmer könnten das die USA gewesen sein. Es wäre auf jeden Fall eine deutliche Demonstration seines völligen Mangels an Rückgrat geworden.

Das konnte man ja bereits bei seinem ersten Besuch in Washington sehen, der etwas über ein Jahr zurückliegt und bei dem er auf die Aussage Bidens, man werde Nord Stream 2 zu verhindern wissen, mit abwesendem Lächeln reagierte. Wäre Scholz ein Mann mit Verstand und Gewissen, er müsste sich heute tagtäglich fragen, ob eine Reaktion von seiner Seite zu diesem Zeitpunkt nicht die Durchführung des Anschlags verhindert hätte. Aber hätte Scholz die Größe zu solchen Gedanken, hätte er sie auch besessen, um zu reagieren.

Wie hat das der russische Außenminister Sergei Lawrow jüngst formuliert? Dieser Anschlag sei eine politische und moralische Demütigung Deutschlands gewesen. Er hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Und wer denjenigen, der diese Demütigung zugefügt hat, derart angrinst, wie Scholz das tut, muss eine tief verankerte Freude an der Unterwerfung empfinden.

Allerdings, in diesem Raum war nicht nur ein (unsichtbarer) Elefant namens Nord Stream, sondern auch ein (ebenfalls unsichtbarer) Drache namens China. Das ist, was sich hinter dem Sätzchen "tauschten auch Ansichten über andere globale Themen aus" verbergen dürfte. Genauer genommen, die US-Pläne, nun zu Sanktionen gegen China überzugehen, zu deren Beförderung in den letzten Wochen bereits Wetterballons gejagt und chinesische Waffenlieferungen an Russland herbeifantasiert wurden. Scholz hätte als deutscher Kanzler darauf mit der Bemerkung erwidern können, er als Deutscher wisse, dass Zweifrontenkriege keine gute Idee sind, aber auch dazu ist er vermutlich nicht imstande.

Nein, er dürfte höchstens einmal kurz geschluckt haben, als ihm Biden das neue Pflichtenheft in die Hand drückte, mit dem das Entschwinden der deutschen Industrie von deutschem Boden endgültig besiegelt würde (auch wenn mindestens die Hälfte davon entgegen US-Erwartungen nicht in die USA, sondern eben nach China entschwinden dürfte). Scholz hat so wenig persönliche Würde, dass ihm nicht einmal bewusst ist, dass der Verzicht auf Dolmetscher zwar die Sicherheit des Gesprächs erhöht, aber gleichzeitig, da dieses Gespräch kaum auf Deutsch geführt worden sein dürfte, bedeutet, dass er als Vertreter eines Landes dessen Sprache preisgibt. Das ist in wirklich privaten Situationen unproblematisch, aber in der Welt der Diplomatie, in der alle Gesten mit Bedeutung beladen sind, eine weitere Unterwerfung. Und leider, weil Scholz seine devoten Neigungen nicht auf der Reeperbahn, sondern in der Weltpolitik auslebt, ein weiterer Akt mit Folgen für das gesamte Land.

Was das bedeutet, konnte man bei Annalena Baerbocks Eintreffen in Indien sehen. In ihrem Fall wartet man geradezu darauf, wann sie sich auf den Boden wirft, losplärrt und mit den Fersen schlägt; das Trotzverhalten Dreijähriger dürfte die ihr am nächsten liegende Reaktion sein. Aber sie hat es letztlich sich selbst zu verdanken, wo sie so blind ist für eigenständige deutsche Interessen. Es ist schlicht Zeitverschwendung, sich mit Bauchrednerpuppen zu unterhalten, wenn jede Art von Entscheidung nur durch den Bauchredner selbst erfolgen kann.

Und man sollte jetzt nicht erklären, die Bundesregierung sei unter Druck gesetzt worden und müsse so handeln. Denn selbst in diesem Falle gibt es noch die Option, ebendiesen Zustand sichtbar zu machen. Wie das etwa der serbische Präsident Aleksandar Vučić tut, der offen erklärt, dass ihn die EU nötigt. Oder indem man nicht nach Washington fliegt, sondern die US-Anweisungen durch den Botschafter überbringen lässt, vor laufenden Kameras. Es ist möglich, sich Druck zu beugen, ohne willig mitzuspielen, und auf diese Weise zumindest die Würde zu bewahren.

Der Schaden, den der Anschlag auf Nord Stream hinterlassen hat, geht weit über die Zerstörung einer Pipeline und den Verlust einer verlässlichen und bezahlbaren Energieversorgung hinaus; das wird jetzt deutlich sichtbar. Wie oft will Scholz noch seine Reisen allein unternehmen? Werden jetzt an sämtlichen Reisezielen auf diesem Planeten die Pressekonferenzen gestrichen, weil selbst in Zentralafrika eine Frage nach Nord Stream gestellt werden könnte?

Wie lange wird es dauern, bis Baerbock ihre Reisen auf die Länder des Westens beschränkt, weil diese sich zumindest verpflichtet fühlen, so zu tun, als hätten sie oder das Land, für das sie steht, etwas zu sagen? Selbst ohne ihre Großtuerei mit "feministischer Außenpolitik" würde jede westafrikanische Marktfrau (die natürlich auch längst von Nord Stream gehört hat) sie abschätzig von oben nach unten anblicken und ihr dann raten, nach Hause zu fahren und ihrem Mann die Wäsche zu waschen, wie weiße Frauen das so tun, und die richtigen Geschäfte erwachsenen Frauen zu überlassen.

Was von Scholz' Besuch in Washington übrig bleiben dürfte, ist nur, dass er selbst auch noch den Postboten für die nächste Runde Demütigung gespielt hat. Er hätte sich das Pflichtenheft auch vom US-Botschafter vorbeibringen lassen können. Es ist ohnehin allen Beteiligten klar, dass jeder Widerstand von seiner Seite nur geheuchelt ist und in Kürze dahinschwinden wird. Vielleicht dachte er auch, solange er den Kanzler gibt, sollten wenigstens noch ein paar Reisen drin sein. Dann sollte er sie aber von seinem Salär privat finanzieren; dann kann er sogar mit Biden auf Englisch plauschen, ohne damit weiteren Schaden anzurichten. So aber wünscht man nur, sie mögen alle das Reisen einstellen, um zumindest den Spott, den sie durch den verleugneten Schaden verdient haben, nicht noch herauszufordern.

Mehr zum Thema - Medienbericht: USA mobilisieren Verbündete für neue China-Sanktionen