Von Alexander Männer
In seiner jährlichen Botschaft an die beiden Kammern des russischen Parlaments, die Staatsduma und den Föderationsrat, hat Russlands Präsident Wladimir Putin am 21. Februar erwartungsgemäß kaum einen Bereich der Politik ausgelassen: Wirtschaft, Sozialwesen, Bildung, westliche Sanktionen und der Ukraine-Krieg waren zum Beispiel die Themenbereiche.
Ein Aspekt, den der Staatschef vorgebracht hat, könnte für die globale Sicherheit und den Bereich der Nuklearwaffen jedoch bedeutende Folgen haben: Putin kündigte die Aussetzung der Teilnahme Russlands am "New-Start"-Atomwaffenvertrag mit den USA an, der die strategischen Atomwaffenarsenale zwischen diesen beiden Ländern begrenzt. Zusammen besitzen sie rund 90 Prozent der weltweiten Atomsprengköpfe.
Das russische Außenministerium erklärte in einer veröffentlichten Mitteilung noch am selben Tag, dass man die festgelegten Obergrenzen für Kernwaffen dennoch weiterhin einhalten werde, "um ein ausreichendes Maß an Vorhersehbarkeit und Stabilität im Atomraketen-Bereich zu wahren […]", was von vielen Beobachtern als entscheidend gewertet wurde.
Allerdings war nicht diese Mitteilung des Außenamtes entscheidend, sondern die Rede des russischen Präsidenten, der unter anderem sagte, dass man seine Teilnahme am "New-Start"-Vertrag lediglich aussetze und wenn die Vereinigten Staaten Atomwaffentests vornähmen, Russland das ebenfalls tun werde.
Über Atomtests denkt Washington in der Tat schon seit Jahren nach. Wenn man nämlich bedenkt, dass beide Länder schon seit sehr langer Zeit keine entsprechenden Versuche mehr durchgeführt haben, dann stellt sich die Frage, warum einer der beiden ausgerechnet heute in dieser derart angespannten Weltlage damit wieder anfangen sollte?
Der springende Punkt ist der, dass die USA in naher Zukunft allem Anschein nach Nuklearwaffentests benötigen werden, um ihr veraltetes Atomarsenal erneuern zu können.
US-Atomkraft von Russland abhängig
Dass die US-Arsenale aufgrund der Langzeitlagerung dringend modernisiert werden sollten, haben schon diverse Experten thematisiert. Diesbezüglich verweisen viele von ihnen auf ein Hauptproblem: Die Amerikaner werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten haben, die Uranelemente eigenständig zu ersetzen, da sie gegenwärtig keine Anlagen zur Anreicherung von Uran besitzen. Im Gegensatz zu Russland, dessen Atomindustrie den Weltmarkt für angereichertes Uran dominiert und dessen Kernelemente die USA nach wie vor in Anspruch nehmen. Aus diesem Grund hatte man bislang auch vermieden, russisches Uran in die Sanktionsliste aufzunehmen.
Es ist daher wichtig zu betonen, dass die US-Atomkraft bei der Urananreicherung hauptsächlich von der Kooperation mit Russland abhängt und dies zu ändern könnte sich als sehr kompliziert erweisen – vor allem für die USA. Denn falls die Zusammenarbeit mit den Russen aus welchen Gründen auch immer auf Eis gelegt wird, dann müssten die Amerikaner zwangsläufig ihre eigenen Atomtests durchführen, ungeachtet der weltweiten Kritik und der möglichen Folgen für die atomare Sicherheit in der Welt.
Nicht zu vergessen, dass Washington den zwar noch nicht in Kraft getretenen Kernwaffenteststopp-Vertrag zumindest unterzeichnet und sich damit verpflichtet hat, auf Versuche mit atomaren Waffen zu verzichten.
Dass die US-Führung sich somit in einer misslichen Lage befindet, glaubt auch Mikhail Kowaltschuk, Präsident des renommierten russischen "Kurtschatow-Instituts", das als eine der weltweit führenden Einrichtungen für Atomforschung gilt. Bei einem Treffen mit Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern in Sankt Petersburg am Dienstag sagte Kowaltschuk laut Angaben der Zeitung Izvestija, dass der "Westen" in puncto angereichertes Uran vor Problemen stünde, weil er nicht in der Lage sei, eine eigene Anreicherung durchzuführen. Man verfüge dort über keine entsprechenden Anlagen und Fachkräfte, was für die Erneuerung von Atomwaffen jedoch absolut notwendig sei.
Russland hingegen habe sein Atomwaffenarsenal bereits zu 91 Prozent modernisiert, meint Kowaltschuk: "Neue U-Boote, neue Raketen, neue Sprengköpfe, die gerade erst Dienst gestellt wurden", während der Westen nur alte Systeme besitzen soll.
"Und sein gesamtes Uran kommt von uns. Sie (die westlichen Länder – Anm. d. Verf.) haben keine Möglichkeit, dies zu tun, also haben sie eine tödliche Panik. Nun ja, wenn sie damit beginnen, neue Sprengköpfe herzustellen, dann müssen sie diese testen. Also müssen sie unbedingt mit Tests beginnen", so der Experte.
Moskau in einer guten Ausgangslage
So gesehen befinden sich die Russen in einer guten Position. Sie können sich zurücklehnen und abwarten, was die US-Führung unternimmt. Und sie wollen offenkundig nicht diejenigen sein, die mit der Durchführung von Atomwaffentests anfangen, da sie ansonsten von den USA und dem kollektiven Westen beschuldigt würden, gegen den Kernwaffenteststopp-Vertrag zu verstoßen. Als Reaktion darauf würde Washington mit eigenen Versuchen beginnen und bei Kritik stets auf Russland verweisen.
Moskau hat allerdings auch deutlich gemacht, dass das einseitige Einfrieren des Atom-Abrüstungsvertrages "New Start" wieder rückgängig gemacht werden könne. Aus dem Außenamt hieß es der Süddeutschen Zeitung zufolge unter anderem: "Dazu muss Washington politischen Willen zeigen, sich gewissenhaft für eine allgemeine Deeskalation einzusetzen und Bedingungen für die Wiederaufnahme des vollen Funktionierens des Vertrags schaffen".
Bislang sieht die russische Führung die Lage aber so, dass die USA und die anderen westlichen Staaten de facto einen regelrechten Krieg gegen Russland entfacht haben und nicht gewillt sind, daran etwas zu ändern.
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