Wenn der Spiegel einen "Faktencheck" zu Putins Rede macht

Im Spiegel wurde ein "Faktencheck" zu Putins Rede an die Nation vom Dienstag veröffentlicht, der eine wirklich erstaunliche Aneinanderreihung von Lügen ist. Thomas Röper liefert einen Überblick, wo und wie genau das Hamburger "Nachrichtenmagazin" die Unwahrheit berichtet.

Von Thomas Röper

Im Spiegel ist ein Artikel mit der Überschrift "Faktencheck zur Rede des russischen Präsidenten – Putins verquere Wahrheiten" erschienen, der eine wirklich erstaunlich dreiste Aneinanderreihung von Unwahrheiten ist. Das ist allerdings nicht überraschend, wenn man sich die Autoren des "Faktenchecks" anschaut, denn unter anderem hat Christina Hebel, die Lügenbaronin des Spiegel, daran mitgearbeitet.

Ihr bisher dreistestes Werk war, als sie in einem Artikel so plump gelogen hat, dass der Spiegel den Artikel einige Stunden, nachdem ich die Lügen aufgedeckt hatte, still und heimlich (und natürlich ohne seine Leser darüber zu informieren) umschreiben musste, die Details finden Sie hier.

Der "Faktencheck" der Spiegel-Autoren ist sehr lang, weshalb ich nicht auf alle Unwahrheiten darin eingehen kann, weil mein Artikel dann zu lang würde. Ich will mich daher auf eine Auswahl der Spiegel-Lügen beschränken.

Atomwaffentests

Putin hat in seiner Rede die Aussetzung des New-START-Vertrages angekündigt. Darüber habe ich berichtet und auch die Hintergründe erklärt. Ich will das hier nicht alles wiederholen, Sie können das hier nachlesen.

In dem "Faktencheck" des Spiegel findet sich zu dem Thema New START auch folgende Passage, die dem Spiegel-Leser suggerieren soll, Putin würde die Unwahrheit sagen:

"Er wies sein Verteidigungsministerium und die Atomenergiebehörde Rosatom an, die Infrastruktur für Atombombentests bereitzuhalten. Man wisse mit Sicherheit, dass einige Leute in Washington über die Möglichkeit nachdächten, ihre Atomwaffen zu testen, behauptete Putin. Belege nannte er dafür nicht. Russland wolle nicht zuerst testen, beteuerte er. 'Aber wenn die USA testen, werden wir es auch tun.'"

Durch die Reihenfolge, in der der Spiegel zuerst über Putins Anweisung berichtet, Russland möge sich für Atombombentests bereithalten, wird suggeriert, Russland wolle die Tests grundlos wieder aufnehmen. Erst danach kommt der Hinweis darauf, dass Russland über Informationen verfügt, dass es in Washington Leute gibt, die die US-amerikanischen Atomwaffentests wieder aufnehmen wollen. Das allerdings bettet der Spiegel für den Leser ein, indem es als Behauptung von Putin bezeichnet wird und gesagt wird, dass Putin keine Belege dafür nennt. Damit suggeriert der Spiegel seinem Leser, dass Putins Aussage unwahr sein muss.

Putin braucht gar keine Belege dafür zu nennen, dass es in Washington Leute gibt, die die Atomwaffentests wieder aufnehmen wollen. Das tun US-Medien seit Jahren, was der Spiegel seinen Lesern jedoch nie berichtet hat. Ich habe zum Beispiel schon 2020 darüber berichtet, und der Grund dafür war ein Artikel der Washington Post, die genau das berichtet hat: Die Zeitung hat einen ungenannten Regierungsbeamten zitiert, der berichtet hat, im Weißen Haus sei am 15. Mai 2020 diskutiert worden, einen atomaren "Schnelltest" ("rapid test") als Abschreckung gegen Russland und China durchzuführen. Die Idee sei dann aber (vorerst) verworfen worden.

Aber da der Spiegel seine Leser über diese und andere derartige Meldungen aus Washington nicht informiert, muss der Spiegel-Leser glauben, Putin sage die Unwahrheit.

Keine Nazis in der Ukraine?

Putin hat in seiner Rede wieder darauf hingewiesen, dass in Kiew ein Nazi-Regime regiert, was westliche Medien bestreiten. So auch der Spiegel nun wieder:

"Von Neonazis in der ukrainischen Führung kann keinerlei Rede sein. Präsident Wolodymyr Selenskyj (Schreibung wie im Original, Anm. d. Red.), der 2019 in demokratischer Wahl mit 74 Prozent der Stimmen gewählt wurde, hat jüdische Wurzeln. Drei seiner Verwandten wurden während des Zweiten Weltkriegs Opfer des Holocausts. Selenskyjs Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg in der Roten Armee gegen Hitlerdeutschland, wurde mit Kampforden ausgezeichnet."

Ob Selenskij jüdische Wurzeln hat, ist vollkommen unwichtig. Das zentrale Element des Nazismus ist nicht der Antisemitismus, sondern die Lehre, dass das eigene Volk über anderen Völkern steht (Stichwort "Herrenrasse") und daher andere Völker vernichten darf und sogar muss. Bei den deutschen Nazis waren es in erster Linie die Juden, die "vernichtet" werden sollten, bei den ukrainischen Nazis sind es in erster Linie die Russen. Und das setzen die ukrainischen Regierungen seit dem Maidan konsequent um.

Nur weiß der Spiegel-Leser von all dem nichts.

Der Spiegel-Leser hat nie davon gehört, dass Kinder in ukrainischen Ferienlagern mit finanzieller Unterstützung lernen, mit Kalaschnikows umzugehen, um "russische Untermenschen" zu töten, wie sogar Euronews mal berichtet hat. Der Spiegel-Leser weiß auch nicht, dass Andersdenkende in der Ukraine seit dem Maidan ermordet werden, darunter auch regierungskritische Journalisten, hier finden Sie 13 Beispiele.

Der Spiegel-Leser weiß auch nichts von dem ukrainischen Rassengesetz, das Selenskij 2021 eingeführt hat, in dem die Bürger der Ukraine nach ethnischen Gesichtspunkten in drei Kategorien eingeteilt werden, die unterschiedliche Rechte haben. Und der Spiegel-Leser hat auch nie von dem ukrainischen Sprachengesetz gehört, das die Benutzung der Sprachen der ethnischen Minderheiten in der Ukraine (Russen, Polen, Ungarn, Rumänen und andere) unter Strafe stellt, was von Ungarn und Rumänien immer wieder kritisiert wird.

Die Nationalhelden der heutigen, offiziellen Ukraine sind Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg, wie Russland in einer sehr informativen Broschüre zusammengestellt hat. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die berüchtigte "russische Propaganda" oder "Desinformationen", denn auch Israel teilt diese Kritik. So hat die israelische Zeitung Haaretz zum Beispiel am 2. Januar 2023 einen Artikel mit der Überschrift "Der Sieg kommt, wenn das russische Reich 'aufhört zu existieren': Ukrainisches Parlament zitiert Nazi-Kollaborateur" veröffentlicht und darauf hingewiesen, dass die israelische Botschaft bereits ein Jahr zuvor Kritik daran geäußert hat, dass die Ukraine die Geburtstage von Nazi-Kriegsverbrechern feiert. Und der damalige israelische Präsident Reuven Rivlin hat bei seinem Besuch in Kiew 2016 erklärt, es sei inakzeptabel, dass die Ukraine Nazi-Kollaborateure verehrt, die zusammen mit den Nazis Juden ermordet haben. Das waren nur Beispiele, Israel kritisiert den Bandera-Kult in der Ukraine ständig.

Aber auch davon weiß der Spiegel-Leser ja nichts.

Und der Spiegel-Leser weiß auch nichts davon, dass das UNHCR die Lage der Menschenrechte in der Ukraine aus ebendiesen (und noch einigen anderen) Gründen seit dem Maidan heftig kritisiert. Ich berichte regelmäßig über diese Berichte, hier finden Sie meinen Artikel über den 31. Menschenrechtsbericht und hier den Artikel über den 32. Menschenrechtsbericht.

Die NATO bricht Verträge

Putin hat in seiner Rede kritisiert, dass die NATO immer mehr Militärbasen an der russischen Grenze errichtet. Zu dieser Kritik schreibt der Spiegel:

"In der Tat plant und baut die NATO neue Armeestützpunkte etwa in Rumänien, Lettland, Litauen – allerdings entstehen diese auch als Reaktion auf das russische Vorgehen."

Das Problem dabei ist, dass es ein offener Vertragsbruch der NATO ist, in diesen Ländern Armeestützpunkte aufzubauen. In der NATO-Russland-Grundakte von 1997 hat die NATO im Gegenzug für Russlands Einverständnis für die damalige NATO-Osterweiterung versprochen, keine NATO-Truppen in den neuen Mitgliedsländern zu stationieren. Der Vertrag gilt immer noch, aber die NATO bricht ihn seit 2014 vollkommen offen.

Der Spiegel begründet das mit der angeblichen Annexion der Krim durch Russland. Das Problem dabei ist, dass es trotzdem ein Vertragsbruch ist und dass die Vereinigung der Krim mit Russland, auch wenn man das als "Annexion" bezeichnen will, nichts mit der NATO zu tun hat. Die Ukraine war und ist kein NATO-Mitglied, und Russland hat keinerlei Drohungen gegen NATO-Mitglieder ausgesprochen, die 2014 und in den folgenden Jahren den Vertragsbruch der NATO gerechtfertigt hätten.

Aber der Spiegel-Leser weiß ja auch von diesem Vertragsbruch der NATO nichts, weshalb der Spiegel-Leser auch nicht verstehen kann, warum Russland der NATO und dem Westen nicht nur misstraut, sondern sich von der NATO bedroht fühlt.

In dem gleichen Absatz des Spiegel-Artikels erfahren wir auch noch:

"Das ukrainische Militär verlor Tausende Soldaten. Die schlecht ausgestattete und trainierte Armee modernisierte sich mit westlicher Hilfe und führte auch auf ukrainischem Territorium Manöver mit NATO-Ländern durch."

Stimmt! Und genau das ist erstens ein weiterer Vertragsbruch der NATO und zweitens einer der Gründe, warum Russland sich gezwungen sah, militärisch zu reagieren: Im Minsker Abkommen, immerhin nicht nur ein internationaler Vertrag, sondern per Resolution des UN-Sicherheitsrates in den Rang einer Bestimmung des Völkerrechts erhoben, wurde klar geregelt, dass ausländische Streitkräfte in der Ukraine nichts verloren haben. Artikel 10 des Minsker Abkommens lautet:

"Abzug aller ausländischen bewaffneten Formationen, Militärtechnik und ebenfalls von Söldnern vom Territorium der Ukraine unter Beobachtung der OSZE. Entwaffnung aller gesetzwidrigen Gruppen."

NATO-Soldaten in der Ukraine, unter welchem Vorwand auch immer, widersprechen diesem Punkt eindeutig.

Aber auch davon weiß der Spiegel-Leser ja nichts, weshalb der Spiegel-Leser gar nicht verstehen kann, warum Russland der NATO und dem Westen inzwischen kein Wort mehr glaubt, weil die ständig nicht nur verbal gegebene Versprechen, sondern sogar rechtswirksame Verträge brechen.

Wieder Lügen über das Minsker Abkommen

Der Spiegel schreibt:

"Die Ukraine hat nach dem russischen Überfall auf den ostukrainischen Donbass 2014 jahrelang vergeblich mit Russland über die Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens von Minsk verhandelt. An diesen Verhandlungen im sogenannten Normandie-Format waren Deutschland und Frankreich beteiligt."

Wieder nutzt der Spiegel die Tatsache aus, dass er seine Leser nicht informiert und sie seine Lügen aufgrund dieser Unwissenheit glauben. Das Minsker Abkommen umfasst 13 Punkte, von denen Kiew keinen einzigen umgesetzt hat. Davon, dass Kiew über das Abkommen "verhandelt" habe, kann keine Rede sein. Kiew hat das Abkommen unterschrieben und sich dann geweigert, auch nur einen einzigen der vereinbarten Punkte umzusetzen.

Deutschland und Frankreich haben Kiew dabei unterstützt und dann im November 2021 mitgeteilt, dass sie die Umsetzung zentraler Teile des Abkommens nicht mehr unterstützen, die Details finden Sie hier. Darüber hat der Spiegel jedoch nie berichtet. Genauso wenig hat der Spiegel darüber berichtet, dass Selenskij das Abkommen nie umsetzen wollte und das auch offen gesagt hat.

Spiegel-Leser wissen auch nicht, dass auch Merkel und Hollande, die das Abkommen 2015 für Deutschland und Frankreich unterschrieben haben, nie daran dachten, das Abkommen umzusetzen, wie beide inzwischen ebenfalls in Interviews offen gesagt haben. Sie sagten, dass das Minsker Abkommen für die Ukraine Zeit gewinnen sollte, um sie militärisch aufzurüsten. Es ging immer darum, die Ukraine für einen Krieg gegen Russland aufzurüsten, nicht um Frieden im Donbass.

Der ehemalige britische Premierminister fasste die Position des Westens treffend zusammen, als er das Minsker Abkommen und die Gespräche im Normandie-Format als "diplomatische Imitation" bezeichnete.

Aber auch davon wissen Spiegel-Leser nichts.

Noch mehr Lügen über angebliche Verhandlungen

Der Spiegel schreibt:

"In den Wochen vor Beginn des großen Angriffskrieges verhandelten Moskau und die NATO ebenfalls intensiv über Russlands Forderung nach 'Sicherheitsgarantien'. Putin wollte die Ukraine ein für alle Mal zur russischen Einflusszone erklären lassen. Als die NATO sich nicht bereit zeigte, auf diese Forderung einzugehen, die in die Souveränität zahlreicher Staaten eingegriffen hätte, ließ Wladimir Putin seine Truppen ins Nachbarland einmarschieren."

Der Spiegel-Leser hat nie erfahren, worum es bei den gegenseitigen (das Wort ist entscheidend) Sicherheitsgarantien, die Russland im Dezember 2021 gefordert hat, ging. Daher kurz zur Erinnerung, die Details können Sie hier nachlesen. Die Kernpunkte von Russlands Vorschlag waren:

  1. Wiedereinhaltung der NATO-Russland-Grundakte und
  2. Einen Korridor entlang der Grenzen der NATO mit Russland, in dem beide Seiten keine Militärmanöver keine Militärmanöver abhalten dürfen
  3. Einen Sicherheitsabstand, den Kriegsschiffe und Militärflugzeuge beider Seiten zur Grenze des jeweils anderen einhalten
  4. Keine weiteren NATO-Erweiterungen nach Osten
  5. Keine Stationierung von Atomwaffen außerhalb des eigenen Landes
  6. Europa als faktisch Atomwaffen-freie Zone, wobei Russland seine Atomwaffen hinter den Ural zurückziehen würde

Davon, die Ukraine zur "russischen Einflusszone" zu machen, war nicht die Rede, im Gegenteil: Russland hat eine neutrale Ukraine gefordert. Es war und ist der Westen, der die Ukraine in seine Einflusszone ziehen und in die NATO holen will.

Auch davon weiß der Spiegel-Leser jedoch nichts.

Und mehr noch: Sogar die Behauptung, "vor Beginn des großen Angriffskrieges verhandelten Moskau und die NATO ebenfalls intensiv über Russlands Forderung nach 'Sicherheitsgarantien'", ist gelogen. Es gab gar keine Verhandlungen. Russland hat die Vorschläge Mitte Dezember 2021 gemacht, danach haben USA und NATO sechs Wochen lang darüber nachgedacht, ob sie bereit sind, darüber zu verhandeln. Zum Monatswechsel Januar/Februar 2022 haben NATO und USA Russland schriftlich und in einem sehr arroganten Ton mitgeteilt, dass Verhandlungen für sie nicht infrage kommen.

Obwohl deren Antworten (siehe die verlinkten Artikel) öffentlich geworden sind, haben Spiegel-Leser auch davon nie etwas erfahren.

Fazit

Ich könnte noch sehr viel mehr schreiben, denn der Spiegel-Artikel über Putins Rede enthält noch sehr viel mehr Lügen, aber ich will es bei dieser Auflistung von Beispielen bewenden lassen.

Das belegt einmal mehr meine These, dass "Lügenpresse" gar nicht so gefährlich ist, weil Leser eine Lüge bemerken können. Wirklich gefährlich ist "Lückenpresse", weil Leser, wenn sie die nötigen Informationen nicht haben, nicht einmal bemerken können, wenn sie belogen werden.

Und für Spiegel-Leser gilt nun einmal: Spiegel-Leser wissen weniger!

Und daher kann der Spiegel seine Leser in sogenannten "Faktenchecks" nach Lust und Laune belügen, ohne dass sie das auch nur bemerken können.

Thomas Röper ist Herausgeber und Blogbetreiber der Webseite Anti-Spiegel. Dieser Artikel wurde zuerst am 23. Februar auf Anti-Spiegel veröffentlicht.

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