Von Rainer Rupp
Die fast zweistündige Rede, die das ganze Spektrum der russischen Wirtschaft, der sozialen Lage im Land und der politischen und militärischen Entwicklungen im Detail beschrieb, war nicht nur faktisch informativ, sondern in Bezug auf die Ukraine auch eine Generalabrechnung mit dem "kollektiven Westen". Dabei strahlte der russische Präsident Gelassenheit und Selbstsicherheit aus, das Richtige getan zu haben. Zweifel, dass er mit der "militärischen Sonderoperation" zur Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine womöglich einer diplomatischen Lösung mit dem "kollektiven Westen" zuvorgekommen sein könnte, waren jedenfalls nirgendwo zu erkennen.
Dafür hatten Kanzlerin Merkel, Président Hollande, Poroschenko und Selenskij mit ihrer Angeberei, dass man die "blöden Russen" mit Minsk II erfolgreich betrogen hatte, um Zeit für die US/NATO zu gewinnen, die Ukraine zu einem Anti-Russland-Rammbock militärisch aufzurüsten. Genau das hatte NATO-Generalsekretär Stoltenberg Anfang letzter Woche am Rande des NATO-Ministerratstreffens vor Reportern nochmals ausdrücklich bestätigt. Damit hat der auch sonst nicht sehr gescheite Stoltenberg ‒ in seinem Eifer zu beweisen, dass die NATO schon seit 2014 alles getan hat, um die Ukraine aufzurüsten ‒ sein eigenes Narrativ vom "unprovozierten Angriff" Russlands öffentlich widerlegt.
Putin braucht in seiner Rede nicht in die Propaganda-Kiste zu greifen, um auch den Teil der russischen Bevölkerung, der letztes Jahr um diese Zeit noch die Zukunft Russlands im Westen gesehen hatte, von der Hinterhältigkeit der wahren Pläne des "kollektiven Westens" gegenüber Russland zu überzeugen.
Die beiden Reden von US-Präsident Biden in Kiew und Warschau waren dagegen von der zunehmenden Senilität Joe Bidens gezeichnet, der noch dümmer als früher, aber dafür genauso aggressiv daherkam. Was den sichtbaren geistigen Verfall Bidens betrifft, so hatte sich am Montag dieser Woche der ehemalige Arzt des Weißen Hauses, Ronny Jackson, zu Wort gemeldet und die Kabale der Kriegstreiber und "Berater" um ihn herum beschuldigt, Joe Bidens kognitiven Verfall zu "vertuschen". Laut Dr. Jackson ist Bidens "Fähigkeit zu denken und zu argumentieren verschwunden!".
Die Woche zuvor hatte laut Angaben des Weißen Hauses noch eine körperliche Untersuchung Bidens ergeben, dass der Präsident "ein gesunder, kräftiger, 80-jähriger Mann" sei, der "dienstfähig" erscheine. Dagegen moniert Dr. Jackson, dass diese Erklärung "nichtssagend ist". Die Frage "Nimmt er irgendwelche Drogen, um seinen geistigen Verfall zu behandeln?" wurde nicht beantwortet. Das Gesundheitszeugnis sei "ein WITZ". Das Weiße Haus vertusche den Geisteszustand des Präsidenten, twitterte Dr. Jackson und stellte fest, dass kein kognitiver Test durchgeführt wurde.
Dass es um Bidens Fähigkeit zu denken tatsächlich nicht zum Besten steht, zeigt sich jedes Mal, wenn er beim Ablesen seiner Reden die Stelle im Skript verliert und improvisieren muss, so auch bei seiner Rede in Kiew. Pompös auf einem Podium vor einer ukrainischen Flagge stehend, von zwei großen US-Flaggen umrahmt, sagte der Möchtegern-Weltbeherrscher: "Wir haben eine Koalition von Nationen vom Atlantik bis zum Pazifik aufgebaut. NATO, zudem, … im Atlantik. ... Japan im Pazifik. Ich meine, quer durch die Cou – rund um die Welt."
Die beiden Reden selbst brachten, außer dem üblichen antirussischen Gesabber und den Beschwörungsformeln von Demokratie und Freiheit sowie unverbrüchlicher Solidarität von US/NATO mit der Ukraine und ihrem Krieg, wenig Neues, mit Ausnahme, dass in Bidens Redeskript die Wortgruppe "Sieg über Russland" nicht mehr vorkam. Dafür hatte Selenskij in seiner kurzen Rede dreimal den gemeinsamen Sieg über Russland beschworen. Statt "Sie" benutze das Weiße Haus jetzt eine andere Formel. Hier ist, was Biden an Selenskij gewandt in Kiew vorlas:
"Sie und alle Ukrainer, Herr Präsident, erinnern die Welt jeden Tag daran, was die Bedeutung des Wortes "Mut" ist ‒ aus allen Bereichen Ihrer Wirtschaft, aus allen Lebensbereichen. Es ist erstaunlich. Verblüffend. Sie erinnern uns daran, dass Freiheit unbezahlbar ist. Es lohnt sich, so lange zu kämpfen, wie es dauert. Und so lange werden wir bei Ihnen sein, Herr Präsident: so lange, wie es dauert."
Man vergleiche die vage Zusage "so lange es dauert" mit den US-amerikanischen Solidaritätsschwüren, dass man die Ukraine unterstützen werde "bis zum Sieg über Russland" oder dass "die Ukraine gewinnen wird, weil sie gewinnen muss". Hat man in Washington angesichts der zunehmend prekären Realität auf dem Schlachtfeld begonnen umzudenken, denn von einem Sieg über Russland ist keine Rede mehr. Ein ähnliches Versprechen der Unterstützung "so lange wie nötig" hatte das Weiße Haus unter Biden auch der Regierung in Afghanistan gegen Ende des US-Besatzungsregimes gegeben. Eine andere Phrase Bidens in seiner Rede in Warschau hat in Russland etliche sarkastische Antworten provoziert. Biden sagte:
"Die Vereinigten Staaten und die Nationen Europas streben nicht danach, die Kontrolle über Russland zu übernehmen oder das Land zu zerstören. Die Vereinigten Staaten planen nicht, Russland anzugreifen ... Millionen Russen, die in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, sind nicht unsere Feinde."
Der russische Blogger Boris Roschin hat darauf auf seinem Telegram-Kanal geantwortet:
"Als die USA sagten, sie wollten die Minsk-II-Vereinbarungen umsetzen, bereiteten sie sich auf einen Krieg vor und dachten nicht daran, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Als die Vereinigten Staaten sagten, dass sie nicht an einer NATO-Erweiterung interessiert seien, bereiteten sie die NATO-Erweiterung vor, direkt nach den Versprechungen an Gorbatschow. Als die USA sagten, sie würden die Nazis und den islamischen Terrorismus bekämpfen, haben sie die islamischen Terroristen und europäischen Nazis für ihre Zwecke benutzt."
"Wenn die USA also sagen, dass sie nicht versuchen, die Kontrolle zu übernehmen und Russland zu zerstören, muss das als 'Wir wollen die Kontrolle übernehmen und Russland zerstören' gelesen werden. Es ist bemerkenswert, dass während Bidens Rede russische Städte mit amerikanischen Waffen beschossen wurden."
"Diese Aussage von Biden ist für die Dümmsten, die die wahren Ziele der Vereinigten Staaten in diesem Krieg nicht verstanden haben."
Dmitri Medwedew reagierte mit einem etwas längeren, aber sehr lesenswerten Kommentar auf seinem Telegram-Kanal zu Putins Rede zur Lage der Nation und Bidens Reden in Kiew und Warschau.
"Gestern hörten wir eine Ansprache des Präsidenten Russlands vor der Föderalen Versammlung, in der er unter anderem die Aussetzung unserer Teilnahme (am Strategischen Rüstungskontrollabkommen) START III ankündigte. Das ist eine längst überfällige Entscheidung, deren Unvermeidlichkeit ich im vergangenen Jahr festgestellt habe. Es ist eine Entscheidung, die durch den Krieg ausgelöst wurde, den die Vereinigten Staaten und andere NATO-Länder unserem Land erklärt haben; eine Entscheidung, die eine große Resonanz in der Welt im Allgemeinen und in den Vereinigten Staaten im Besonderen haben wird."
"Die Argumentation des amerikanischen Establishments war bisher: Wir werden euch bescheißen, wir werden riesige Mengen an Waffen an das Kiewer Regime liefern, wir werden daran arbeiten, Russland zu besiegen, wir werden euch eingrenzen und zerstören, aber strategische Sicherheit ist ein anderes Thema. Es hängt nicht mit dem Gesamtkontext der Beziehungen zwischen den USA und Russland zusammen. Es ist fast eine heilige Kuh."
"Diese Schlussfolgerung ist schlimmer als ein Verbrechen ‒ es ist ein schwerer Fehler der Amerikaner, ein im Größenwahn geborener Fehler, aus ihrem Gefühl der Überlegenheit und Straflosigkeit. Schließlich ist es für alle vernünftigen Kräfte offensichtlich, dass, wenn die USA Russland besiegen wollen, wir am Rande eines Weltkonflikts stehen. Wenn die USA Russland besiegen wollen, haben wir das Recht, uns mit jeder Waffe zu verteidigen, einschließlich Atomwaffen."
"Wie Putin richtig sagte: 'Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Genau aus diesem Grund haben wir START III (vorerst) ausgesetzt. Lasst die Eliten in den USA, die den Bezug zur Realität verloren haben, darüber nachdenken, was sie erreicht haben. Beobachten wir auch die Reaktionen der anderen NATO-Atommächte: Frankreich und Großbritannien. Ihre strategischen Nuklearstreitkräfte wurden in der Regel nicht in das Gleichgewicht der nuklearen Sprengköpfe und Träger bei der Vorbereitung von Abkommen zwischen den USA und der UdSSR (Russland) einbezogen, und es ist höchste Zeit, dies zu tun."
Zu den beiden Reden des US-Präsidenten sagte Medwedew:
"Biden wandte sich vor einer Menschenmenge in Polen an das russische Volk. Tatsächlich hielt er eine Predigt in der traditionellen amerikanischen messianischen Art, angepasst durch senilen Marasmus. Er häufte hohe Worte übereinander, wie wichtig es sei, die Demokratie zu verteidigen, und dass die USA nicht die Absicht hätten, Russland anzugreifen. Es sah unehrlich und lächerlich aus. Wer ist dieser seltsame Großvater, der mit einem verwirrten Blick aus Polen spricht? Warum appelliert er an die Menschen eines anderen Landes in einer Zeit, in der sein eigenes Land bis zum Hals in innenpolitischen Problemen steckt? Warum zum Teufel sollten wir auf einen Politiker aus einem feindlichen Land hören, der Hass auf unsere Heimat predigt? Warum sollten russische Bürger dem Führer der Vereinigten Staaten glauben, die im 20. und 21. Jahrhundert die meisten Kriege entfesselt haben, uns aber der Aggressivität beschuldigen? Warum sollten wir eine Person ernst nehmen, die all ihre schwächlichen intellektuellen Fähigkeiten nur darauf verwendet, sicherzustellen, dass Russland eine 'strategische Niederlage' erleidet?"
"Eine Sache noch. Um einen berühmten Ausdruck zu paraphrasieren, sagte Biden in Warschau: 'Wenn Russland seine Invasion stoppt, endet sie jetzt. Wenn die Ukrainer aufhören, sich zu verteidigen, wird das das Ende der Ukraine sein.' Das ist eine raffinierte Lüge. Die Wahrheit sieht ganz anders aus: Wenn Russland die militärische Sonderoperation stoppt, ohne zu gewinnen, wird es kein Russland geben, es wird auseinandergerissen werden. Wenn die USA aufhören, Waffen an das Kiewer Regime zu liefern, ist der Krieg vorbei."
Derweil hat in New York am vergangenen Dienstag die Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Terroranschlag auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 stattgefunden. Der russische UN-Botschafter sagte in seiner einleitenden Rede dazu Folgendes:
"Der Grad an Zynismus und Vertrauen in die eigene Straflosigkeit, mit dem dieses beispiellose Verbrechen begangen wurde, ist frappierend. Wir haben uns daran gewöhnt, dass unsere amerikanischen Kollegen sich über das Gesetz stellen und behaupten, sie seien das Gesetz. Nur sie können sich ungestraft in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, verfassungswidrige Staatsstreiche durchführen und Aggressionen gegen unabhängige Staaten durchführen. Allein seit dem Ende des Kalten Krieges wurden 251 Fälle von Interventionen durch US-Streitkräfte im Ausland registriert. Das Töten und Foltern von Zivilisten in anderen Ländern, die Weigerung, die Schuldigen an die internationale Justiz auszuliefern, sie alle nennen dies eine Ordnung, die auf Regeln basiert, wo die Regeln von ihnen selbst diktiert werden."
"Dennoch haben diese Regeln bisher nicht die Sprengung von Pipelines von Staaten gutgeheißen, mit denen sich die Vereinigten Staaten nicht im Krieg befanden. Aber jetzt ist dieser Tag gekommen. Und das könnte zum Vorboten einer Ära werden, in der die grenzüberschreitende und transkontinentale Kommunikation zu einem legitimen Ziel für Operationen wird, die darauf abzielen, bestimmte Staaten zu schwächen ‒ eine Ära des Chaos und des unvorstellbaren Schadens für die gesamte Menschheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist extrem hoch, wenn die Verantwortlichen für die Sprengung der Nord Stream-Pipelines nicht gefunden werden und nicht die angemessene Strafe erleiden, und die Länder, die dafür verantwortlich sind, die betroffenen Staaten für den erlittenen Schaden entschädigen, wie es das Völkerrecht vorsieht. Dann und nur dann haben Sie und ich eine Chance, dieses Chaos zu vermeiden."
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