Von Pepe Escobar
Der Hammer-Bericht von Seymour Hersh darüber, wie die Regierung der Vereinigten Staaten im vergangenen September die Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee in die Luft gesprengt haben, löst weiterhin heftige geopolitische Wellen im gesamten Spektrum aus. Außer natürlich in der parallelen Blase der US-Mainstream-Medien, die diesen Bericht völlig ignoriert haben – oder sich in einigen ausgewählten Fällen entschieden, auf den Überbringer der Nachricht zu schießen und Hersh als "diskreditierten" Journalisten, "Blogger" und "Verschwörungstheoretiker" zu brandmarken.
Ich habe über diesen Bericht eine erste Analyse angeboten, in der ich auf die zahlreichen Vorzüge dieses scheinbar gründlichen Reports eingegangen bin, aber auch einige schwerwiegende Widersprüche hervorgehoben habe. Der Moskauer Auslandskorrespondent alter Schule, John Helmer, ist sogar noch weiter gegangen und was er aufdeckte, könnte so heiß sein wie der Bericht von Seymour Hersh selbst.
Der Kern von Hershs Report betrifft die Zuschreibung der Verantwortung für einen de facto wirtschaftlichen Terroranschlag – überraschenderweise nicht an die Adresse der CIA. Die Zerstörung der Pipelines falle direkt auf das toxische Planungstrio, bestehend aus Jake Sullivan, Antony Blinken und Victoria Nuland zurück – alle drei neoliberale Neocons und Teil der Biden-Combo. Das ultimative grüne Licht sei dann vom obersten Entscheider geommen: vom senilen, Teleprompter ablesenden Präsidenten höchstselbst. Während die Norweger die Rolle der fleißigen kleinen Helfer besetzten. Das wirft ein erstes ernsthaftes Problem auf: Nirgendwo in seinem Bericht bezieht sich Hersh auf den MI6, auf die Polen mit ihrer russophoben Regierung und ihrer fähigen Marine, auf die Dänen oder sogar auf die deutsche Regierung.
Es wird zwar erwähnt, dass Bundeskanzler Scholz ab Januar 2022 "nach einigem Hadern nun fest im amerikanischen Team stand." Laut der Quelle von Hersh war der Plan zur Zerstörung der Pipelines zu diesem Zeitpunkt bereits seit mindestens ein paar Monaten im Gespräch. Das bedeutet also, dass Scholz bis zum Anschlag selbst, im September 2022, "im amerikanischen Team" geblieben ist. Über die Briten, die Polen und über alle NATO-Übungen, die mehr als ein Jahr vor dem eigentlichen Anschlag vor der dänischen Insel Bornholm abgehalten wurden, war in den russischen Medien – von Kommersant bis RIA Nowosti – ausführlich berichtet worden.
Die militärische Sonderoperation in der Ukraine (MSO) wurde am 24. Februar vor fast einem Jahr begonnen. Die Zerstörung von Nord Stream 1 und 2 ereignete sich am 26. September 2022. Hersh versichert, dass es "mehr als neun Monate lang eine streng geheime Debatte innerhalb des nationalen Sicherheitsapparates in Washingtons darüber gab, wie man die Pipelines sabotieren könne." Dies bestätigt, dass der Beginn der Anschlagsplanung nicht nur dem Beginn der MSO um Monate vorausging. Sondern vor allem auch dem Schreiben zu Sicherheitsfragen, das Moskau im Dezember 2021 an Washington übergab, wo eine ernsthafte Diskussion über die "Unteilbarkeit der Sicherheit in Europa" gefordert wurde, unter Einbeziehung der NATO, Russlands und des post-sowjetischen Raumes. Dieser Vorstoß wurde bekanntlich durch eine abweisende amerikanische Nicht-Antwort beantwortet.
Während Hersh über die Hintergründe einer terroristischen Aktion als Antwort auf ein ernstes geopolitisches Problem schrieb, mutet es seltsam an, dass ein erstklassiger journalistischer Profi wie Hersh sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, den komplexen geopolitischen Hintergrund zu untersuchen: Die Furcht vor einem deutsch-russischen Bündnis, das auf China ausgedehnt wird – in der Tat das ultimative Mackindersche Anathema für die herrschenden Klassen der USA, und das parteiübergreifend. Zumal ein solches Bündnis bedeuten würde, dass die USA in der Folge aus Eurasien vertrieben würden, und dieser Umstand bestimmt alles, was eine amerikanische Regierung denkt und tut mit Hinblick auf die NATO und Russland.
Hersh hätte auch auffallen müssen, dass das Timing der Vorbereitungen zur Sabotage der Pipelines das offizielle Narrativ der US-Regierung völlig zunichtemacht, demzufolge der kollektive Westen eine gemeinsame Anstrengung unternimmt, der Ukraine gegen eine "nicht provozierte russische Aggression" beizustehen.
Diese undurchsichtige Quelle
Der Bericht lässt keinen Zweifel daran, dass die Quelle von Hersh – wenn nicht sogar der Journalist selbst – das befürwortet, was als geltende US-Politik gilt: "Russlands Bedrohung der westlichen Dominanz in Europa entgegenzutreten."
Wenn das Ganze also nach einer verdeckten Operation der US-Marine aussieht, so könne sie laut Hersh als eine fehlgeleitete bezeichnet werden. Jedoch nicht so sehr wegen der schwerwiegenden geopolitischen Folgen, sondern vielmehr, weil bei den Planungen zu diesem Angriff das US-Gesetz, "dass der US-Kongress im Voraus über solche Operationen informiert werden muss" absichtlich umgangen wurde. Das ist eine extrem engstirnige Interpretation internationaler Beziehungen. Oder, um es deutlicher zu sagen: Es ist eine Rechtfertigung für die "Einzigartigkeit" der USA.
Hersh schreibt von einem "abhörsicheren Raum im obersten Stockwerk des Old Executive Office Building, das auch Sitz des Beirates über ausländische Geheimdienstaufklärung des Präsidenten ist". Angeblich war dies der Ort, an dem die Planung des Terroranschlags jeweils besprochen wurde. Also schauen wir uns doch diesen Beirat einmal genauer an: das President Intelligence Advisory Board (PIAB). Alle Mitglieder werden vom jeweiligen amtierenden Präsidenten, in diesem Fall Joe Biden, ernannt. Wenn wir uns die Liste der derzeitigen Mitglieder des PIAB genauer ansehen, sollten wir theoretisch die Quelle von Hersh finden können.
Hier sind die von Biden ernannten Mitglieder des PIAB: Sandy Winnefeld; Gilman Louie; Janet Napolitano; Richard Verma; Evan Bayh; Anne Finucane; Mark Angelson; Margarete Hamburg; Kim Cobb und Kneeland Youngblood. Zu allen genannten Namen gibt es Wikipedia-Einträge.
Die Quelle von Hersh behauptet laut seiner Erzählung – und ohne jeden Zweifel aufkommen zu lassen – , dass "die russischen Truppen sich stetig und bedrohlich an den Grenzen der Ukraine formierten" und "in Washington die Alarmglocken zunehmend schriller tönten." Es ist schwer zu glauben, dass diese angeblich gut informierte PIAB-Bande nichts von dem Zusammenziehen NATO-geführter ukrainischer Truppen an der ursprünglichen Kontaktlinie wusste, die sich darauf vorbereiteten, einen Blitzkrieg gegen den Donbass loszutreten. Was zu diesem Zeitpunkt bereits jeder wusste, war, dass die Combo hinter Biden fest dazu entschlossen war, die Nord-Stream-Pipelines mit allen erforderlichen Mitteln zu beenden. Nach dem Beginn der MSO fehlte nur noch ein Mechanismus für eine plausible Leugnung der Beteiligung an dieser Tat.
Trotz der akribischen Recherche von Hersh, bleibt das unausweichliche Gefühl, dass das, was er in seinem Bericht anklagt, die Terrorverschwörung der Biden-Combo ist. Und nicht etwa der allgemeine Plan der USA, Russland zu einem Stellvertreterkrieg mit der NATO zu provozieren, wobei die Ukraine als Kanonenfutter geopfert wird.
Darüber hinaus könnte die Quelle von Hersh in höchstem Maße unzuverlässig sein. Er – oder sie – sagte, laut Hersh, Russland habe auf den Terroranschlag auf die Pipelines deshalb "nicht reagiert", weil "sie sich vielleicht die Möglichkeit vorbehalten wollten, dasselbe den USA anzutun." An sich könnte diese Aussage Beweis dafür sein, dass die Quelle nicht einmal Mitglied des PIAB war und den geheimen PIAB-Bericht nie erhalten hat, der Putins entscheidende Rede vom 30. September bewertete, in der er die "verantwortliche Partei" nannte. Wenn das der Fall ist, dann steht die Quelle von Hersh lediglich mit einem PIAB-Mitglied in Verbindung, wurde selbst aber nie zu den Planungstreffen eingeladen und ist sich sicherlich nicht der feineren Details des Krieges bewusst, den die US-Regierung in der Ukraine führt.
In Anbetracht der herausragenden Erfolgsbilanz von Seymour Hersh im investigativen Journalismus hätte es für ihn ziemlich erfrischend sein können, diese Ungereimtheiten aufzuklären. Das hätte auch den Nebel der Verleumdungen vertrieben, in dem seine Recherche als bloßer Blog-Beitrag verunglimpft wurde.
Wenn man bedenkt, dass es innerhalb der US-Oligarchie mehrere "Zapfsäulen" für Informationen gibt – mit den entsprechenden dazugehörigen Apparaten dahinter –, und dass Hersh mit fast allen von ihnen seit Jahrzehnten seine Kontakte pflegt. Dann steht es außer Frage, dass die angeblich privilegierten Informationen über die Nord-Stream-Saga von einer sehr präzisen Quelle stammen – eine mit einer sehr genauen Agenda.
Wir sollten also betrachten, wen seine Geschichte tatsächlich anklagt: sicherlich die neokonservative und neoliberale Betrüger-Combo hinter Biden, und den tattrigen Präsidenten selbst. Wie ich in meiner Eröffnung betont habe, kommt die CIA in der ganzen Geschichte unbeschadet davon. Zudem sollten wir nicht vergessen, dass sich die großen Narrative derzeit sehr schnell ändern: der neuerliche Bericht der RAND Corporation, der im krassen Gegensatz zu dessen Vorgänger formuliert wurde, die drohende NATO-Demütigung in der Ukraine, die Ballon-Hysterie, und die UFO-Psychosen.
Die eigentliche "Bedrohung" bleibt – wer sonst – China. Und was uns allen übrig bleibt ist, in einen Sumpf einzutauchen, der voll ist mit abservierten Sündenböcken, zwielichtigen Ablenkungsgeschichten und Schrott von den Geheimdiensten. In dem Wissen, dass diejenigen, die wirklich die Fäden ziehen, niemals ihre Hand entblößen.
Übersetzt aus dem Englischen.
Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Er wurde von Facebook und Twitter aus politischen Gründen verbannt, aber man kann ihm auf Telegram folgen.
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