Von Pjotr Akopow
Die Fantasien von einer Welt ohne Wladimir Putin inspirieren weiterhin die Führer des Westens – der einzige Unterschied ist, wie sie das erreichen wollen. Obwohl die Wette auf einen Staatsstreich in Russland oder auf Wirren im Lande – und diese wurde von einigen angelsächsischen Eliten tatsächlich gesetzt, man erinnere sich nur an Bidens Äußerung, dass "dieser Mann nicht an der Macht bleiben kann" – erfolglos blieb, so wärmt der Glaube die Herzen der Führer der "freien Welt", dass Putin nicht nur verlieren, sondern sogar noch bestraft wird. Neulich, beim Besuch von Wladimir Selenskij in London, beantwortete der britische Premierminister Fragen von Abgeordneten im Parlament. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei fragte Rishi Sunak, ob er damit einverstanden sei, dass Putin und sein Umfeld in Den Haag vor Gericht gestellt werden sollten, wie es nach dem Krieg in Jugoslawien der Fall war. "Das wäre absolut richtig", sagte Sunak und fügte hinzu, dass er mit Selenskij bereits über die britische Unterstützung für einen internationalen Strafprozess gegen die Russen gesprochen habe.
Generell wird die Idee eines bedingten "Den Haag" (basierend auf dem Standort zweier Gerichte, die oft verwechselt werden – dem Internationalen Gerichtshof der UNO und dem davon unabhängigen Internationalen Strafgerichtshof, IStGH) sowohl in der Ukraine als auch im Westen immer wieder angepriesen. Dort werden unterschiedliche Szenarien beschrieben, wie das geschehen könnte, und immer wieder wird an die Erfahrungen des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien erinnert. Der ICTY stellte diejenigen vor Gericht, die nach Ansicht des Gremiums für die Opfer des blutigen Zerfalls der Republik verantwortlich waren. Der wohl bekannteste Angeklagte ist der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milošević, der in Den Haag starb, noch bevor er verurteilt wurde. Weil Milošević der einzige Staatschef war, der vor ein internationales Gericht gestellt wurde (und der ICTY selbst der erste internationale Gerichtshof seit Nürnberg war), wird dieser Fall von allen Antiputinisten besonders geschätzt.
Ihr Unglück besteht darin, dass es der Zustimmung Russlands bedarf, um Putin und die russische Führung vor Gericht zu bringen. Mit anderen Worten, man muss erst einmal Russland (auf dem Schlachtfeld) besiegen, dann den Machtwechsel in unserem Land zugunsten einer Marionettenregierung herbeiführen, woraufhin die neue Regierung dann noch für die Einrichtung eines solchen internationalen Tribunals stimmen muss, faktisch also die Souveränität des eigenen Staates vollständig aufgeben muss. Denn der ICTY wurde auf der Grundlage einer Resolution des UN-Sicherheitsrates geschaffen, für die Russland 1993 gestimmt hat, als unsere Regierung vollends in innenpolitische Kämpfe verwickelt und unsere Außenpolitik fast vollständig dem Westen unterworfen war. Nur Mateusz Morawiecki oder Garri Kasparow sind dazu fähig, sich eine Wiederholung dieser Situation vorzustellen (und eigentlich noch schlimmer, weil sie dann für einen Prozess gegen ihre eigenen Bürger stimmen müssten). Warum aber sprechen dann selbst die mehr oder weniger vernünftigen westlichen Politiker über Putins Tribunal?
Im vergangenen Monat sprach Annalena Baerbock über ein Ukraine-Tribunal, bei dem "die russische Führung keine Immunität genießen sollte", und jetzt ist Sunak an der Reihe. Glauben sie das wirklich selbst? Baerbock schlug in ihrer Rede in Den Haag die Schaffung eines Gerichts auf der Grundlage des ukrainischen Strafgesetzbuchs vor, wobei dieses mit internationalen Bestimmungen ergänzt werden sollte, und lamentierte, Putin könne nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeklagt werden, weil Russland diesen nicht anerkenne.
Erstaunlich ist das. Russland erkennt die vom Westen geschaffenen Strukturen nicht an, und der Westen kann kein Gericht durch einen UN-Beschluss einrichten, weil Russland (und auch China) einen solchen Beschluss einfach nicht unterstützen würde. Schlimmer noch, selbst westliche Staatsorgane können Putin gerichtlich nicht verurteilen: Letzte Woche hat das "internationale Untersuchungsteam", das von den Niederlanden und der Ukraine im Zusammenhang mit dem Abschuss der malaysischen Boeing MH17 im Jahr 2014 eingesetzt wurde, die strafrechtlichen Ermittlungen eingestellt, weil es "an seine Grenzen gestoßen ist und alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind" (Russland war dort bereits für schuldig befunden worden), und hat gleichzeitig erklärt, dass "Putin als Staatsoberhaupt über Immunität verfügt, sodass er in diesem Fall nicht strafrechtlich verfolgt werden kann".
Eine Sackgasse? Nein, der Westen wird weiterhin von einem "Putin-Prozess" sprechen. Aber warum?
Zum einen, weil dies ein Bestandteil des Informations- und Psychokrieges ist: Im Westen glaubt man daran, dass eine ständige Einschüchterung der russischen Staatsführung (und im weiteren Sinne der Eliten) durch "Den Haag" früher oder später zu einer Spaltung des Staates und einem Machtwechsel führen wird. [Anm. d. Red.: Oder man lenkt die eigene Bevölkerung von der widerrechtlichen Handlung der eigenen Staaten ab.] Man holt offensichtlich Inspiration aus dem serbischen Beispiel, da Belgrad selbst Milošević an die "internationale Justiz" ausgeliefert hat. Russland ist aber nicht Serbien, und Putin ist nicht Milošević. Selbst das Aufkommen unseres eigenen Zoran Đinđić (der Ministerpräsident, der die Auslieferung des Ex-Präsidenten beschloss und dafür erschossen wurde) ist nicht vorstellbar. Außer, wenn Russland als solches nicht mehr existiert, aber dann gibt es niemanden mehr, der Putin verurteilen könnte. Hoffentlich erinnern sich alle gut an die Worte des Präsidenten über eine Welt ohne Russland, nicht wahr?
Zum anderen muss der Westen seinen eigenen Bürgern gegenüber Kampfgeist zeigen: Wir werden siegen, es wird keine Kompromisse mit Russland geben, wir werden bis zum Ende gehen, wir werden Putin in einen Käfig sperren. Glaubt die westliche Öffentlichkeit daran? Zweifellos glaubt ein Teil von ihr daran – denn das verleiht den heutigen Staats- und Regierungschefs im Westen eine dringend benötigte Männlichkeit und Entschlossenheit.
Das ganze Gerede über "Putins Prozess" ist für uns also nur ein Indikator über den Gesundheitszustand der atlantischen Eliten: Je mehr sie davon reden, desto schlechter sieht es für sie aus. Ausschließlich die Geschichte wird über Putins Rolle und seinen Platz in den zeitgenössischen Ereignissen entscheiden, und das wird nicht bald sein, doch das Urteil über diejenigen, die gerade versuchen Punkte zu sammeln mit ihrem Geschwätz über ein Tribunal gegen Russland und seinen Präsidenten, das werden wir schon sehr bald hören, wortwörtlich in den kommenden Jahren. Die Wahlzyklen im Westen sind von kurzer Länge, sodass Putin nicht einmal mehr weiß, wie viele dieser atlantischen "Schwergewichte", die ihn ausspielen, überbieten oder ächten wollten, er bereits durchlebt hat. Und er wird noch mehr durchleben – ohne dass er sich herablässt, auf sie zu reagieren.
Zuerst erschienen bei RIA News. Übersetzt aus dem Russischen.
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