Von Gert Ewen Ungar
Im Jahr 2011 hat die EU Sanktionen gegen Syrien verhängt. Die Sanktionen wurden immer weiter verschärft. Nachdem die westliche Allianz 2019 den Krieg gegen Syrien verloren hatte, verschärfte der kollektive Westen die Sanktionen gegen das Land erneut, mit dem Ziel, über Hungerrevolten am Ende doch noch einen Regime-Change zu erreichen. Die USA blieben als Besatzer im Norden des Landes, auch um die dortigen Ölquellen auszubeuten.
Schon vor dem Erdbeben, das nun die Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien erschüttert hat, war daher die Situation im Land prekär. So macht der außenpolitische Blog German-Foreign-Policy auf eine Studie der Bostoner Tufts University aufmerksam. Diese konnte bereits im Jahr 2022 nachweisen, dass die westlichen Sanktionen nicht nur den Import westlicher Güter und Lebensmittel erschweren, da sie ihre Bezahlung durch die Beschränkungen des Finanzsektors verhindern. Sie schädigen darüber hinaus die syrische Landwirtschaft.
Auch die in Syrien akkreditierte deutsche Journalistin Karin Leukefeld, die sich regelmäßig in dem Land aufhält, hat in zahlreichen Wortmeldungen von den schwerwiegenden Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung berichtet. Leukefelds Beiträge werden von den großen deutschen Medien regelmäßig übergangen. Sie berichtet seit geraumer Zeit von einem durch die westlichen Sanktionen bedingten umfassenden Mangel, unter dem die Menschen leiden. Unter anderem dringend benötigten Medikamente, Technik und auch Lebensmitteln stehen aufgrund der EU-Sanktionen nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Über die Hälfte der Einwohner Syriens sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Darüber hinaus verzögern die Sanktionen den Wiederaufbau in Syrien. Die EU hatte zuletzt am 31. Mai 2022 die Syrien-Sanktionen um ein weiteres Jahr bis zum 1. Juni 2023 verlängert.
Außerdem gibt es glaubhafte Berichte, dass vom Westen unterstützte und finanzierte Organisationen wie beispielsweise die Weißhelme nicht nur humanitäre Hilfe leisten, sondern aktiv in den Krieg in Syrien eingegriffen haben – gegen die amtierende Regierung und aufseiten der Islamisten. Sie werden unter anderem für die Inszenierung von Giftgasanschlägen verantwortlich gemacht, die das Ziel hatten, die syrische Regierung international zu diskreditieren und zu isolieren, und militärische Schläge der westlichen Alliierten – darunter auch Deutschland – gegen Syrien zu legitimieren. Vor allem im Westen ist die Delegitimierung der Regierung von Präsident Assad gelungen, da die Weißhelme die Unterstützung westlicher Medien genossen und ihre Informationen unhinterfragt durchgereicht wurden.
Bisherige, schon vor dem Erdbeben erbrachte Unterstützungsleistungen Deutschlands flossen vor allem in den Norden des Landes und dienten der Unterstützung der oppositionellen Kräfte. Die Regierung in Damaskus ist von dem Zugang zu diesen Hilfsgeldern indes explizit ausgeschlossen.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Forderung Baerbocks nach einer Öffnung der Grenzen für westliche Hilfeleistungen zynisch und geradezu heimtückisch. Sie hat zudem wenig Aussichten auf Erfolg. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass westliche und vor allem auch die deutsche Regierung alle Instrumente nutzen, um ihr Ziel der politischen Einflussnahme und Steuerung in anderen Ländern zu erreichen – einschließlich völkerrechtswidriger und unter ethischen Gesichtspunkten unlauterer Instrumente.
Die Äußerungen Baerbocks in der Sendung Bericht aus Berlin legen den Schluss nahe, dass die Bundesregierung tatsächlich plant, die Naturkatastrophe zur politischen Einflussnahme zu missbrauchen. Baerbock sagte dort:
"Aber auch in Syrien, wo die Menschen unter dem Assad-Regime auf keine Hilfe hoffen können, unterstützen wir so gut es geht ... und (drängen) auf einen humanitären Zugang zu Syrien."
Baerbock plant offenbar Hilfeleistungen unter Umgehung der syrischen Regierung. Warum Baerbock aber glaubt, diese würde dem deutschen Wunsch nach Grenzöffnung zustimmen, bleibt vor dem Hintergrund der unrühmlichen deutschen Einflussnahme in Syrien und dem Festhalten Baerbocks an einem konfrontativen, aggressiven Ton gegenüber der syrischen Regierung auch nach einer Naturkatastrophe unklar.
Vorstellbar ist beispielsweise unter dem Deckmantel humanitärer Hilfeleistungen die Unterstützung islamistischer Kräfte, mit dem Ziel, den Druck auf die syrische Regierung zu erhöhen und den Konflikt erneut anzuheizen.
Zuvor war bereits ein Tweet von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen umfassend kritisiert worden. Die Kommissionspräsidentin versicherte darin die Menschen in der Türkei und in Syrien der vollen Solidarität der EU. Man sei solidarisch und trauere gemeinsam. Von der Leyen versprach zudem umfassende Hilfeleistungen. Angesichts des Sanktionsregimes wirken die Aussagen der Kommissionspräsidentin unglaubwürdig, wurde von vielen Nutzern des Kurznachrichtendienstes angemerkt.
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