Wie wär's mit einem Atomkrieg wegen der Krim? Notizen vom Rand der narrativen Matrix

Der einzige Grund, weshalb die meisten Durchschnittsbürger im Westen das Spiel mit dem (nuklearen) Feuer des US-Imperiums gegenüber Russland nicht schreckt, ist der, dass die meisten dieses Spiel gar nicht verstehen.

Von Caitlin Johnstone

Die Kritiker des US-Imperiums haben Monate damit verbracht, Berge von Beweise anzuhäufen, die zeigen, dass das Imperium diesen Krieg in der Ukraine wissentlich provoziert hat. Währenddessen haben tausende Unterstützer des US-Imperiums in den Sozialen Medien Monate damit verbracht, mit Hunde-Memes Fremde zu beschuldigen, angeblich vom Kreml bezahlt zu werden. Es ist klar, wer hier von wem bezahlt wird. 

Bekommt jeder auf der Welt ein Stimmrecht darüber, ob sein Leben wegen einer militärischen Offensive riskiert werden soll, mit der entschieden werden soll, wer auf der Krim das Sagen hat? Oder wird die Administration von Joe Biden diese Entscheidung eigenmächtig im Namen der Menschheit treffen? Es ist völlig verrückt, dass das Schicksal aller Lebenden und aller, die möglicherweise in der Zukunft geboren werden könnten, davon abhängt, wie zwei Staaten einen Konflikt in der Ukraine austragen, nur weil diese beiden Staaten über die meisten Atomwaffen auf der Welt verfügen. Es ist, als würden zwei Leute in einer Bar in eine Schlägerei geraten, durch die anschließend alle Bewohner der Stadt getötet werden. Niemand sonst auf der Welt bekommt ein Mitspracherecht über Entscheidungen, die alles Leben umbringen und der Menschheit für immer ein Ende setzen könnten – nur ein paar Leute in diesen beiden Regierungen und deren Militärs.

Das US-Imperium sagt zu Russland "Ich bin der verrückteste Irre weit und breit, ich werde das Spiel mit dem Feuer weiter anheizen, dir direkt in die Augen schauen und dich herausfordern, deine Atomwaffen einzusetzen", während es zugleich dem Rest der Welt beteuert "Ich bin die einzige Stimme der Vernunft, auf die als eure Führungskraft ihr euch alle verlassen solltet". Das eine Gesicht des Imperiums ist jenes des tugendhaften Verfechters von Freiheit und Demokratie, während das andere Gesicht die einschüchternde Fratze der Bösartigkeit zeigt – wie ein Gefangener, der jemand anderem  auf dem Gefängnishof in den Hals beißt. Mindestens eines dieser beiden Gesichter lügt zwangsläufig.

Buchstäblich der einzige Grund, weshalb die meisten Durchschnittsbürger im Westen das Spiel mit dem nuklearen Feuer des US-Imperiums gegenüber Russland nicht schreckt, ist der, dass die meisten dieses Spiel gar nicht verstehen. Und diejenigen, die es verstehen, denken nicht sehr genau darüber nach. Sie verdrängen es geradezu, darüber nachzudenken, was ein Atomkrieg ist und was er bedeuten würde.

Wann immer ich dieses Thema anspreche, bekomme ich eine Menge Antworten wie "Juhu, das ist die richtige Schlampe, wir stellen uns gegen Putin!" Sie nähern sich dem Thema überhaupt nicht mit jener Ernsthaftigkeit, die sie hätten, wenn sie begreifen würden, was gerade passiert, und ernsthaft darüber nachgedacht hätten, was noch passieren könnte. Sie verstehen nicht, wie entsetzlich gefährlich es ist, wenn das Imperium erwägt, eine militärische Offensive gegen die Krim zu unterstützen. Und sie haben nicht ernsthaft darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn jedes Lebewesen auf Erden auf schreckliche Weise sterben müsste und nie wieder jemand geboren würde.

Unabhängig von Ihrer eigenen Position zu diesem ganzen Konflikt sollten Sie sich der Möglichkeit einer nuklearen Vernichtung mit der tiefsten Ernsthaftigkeit beschäftigen, die man sich vorstellen kann, denn dies ist ohne Übertreibung das Schlimmste, was passieren könnte. Nehmen Sie das ernst oder schweigen Sie dazu.

Wenn ein Atomkrieg zwischen Russland und der NATO ausbricht, wird die Antwort auf die Frage "War es das wert?" ein entschiedenes "Nein" sein. Nicht nur für Leute wie mich, sondern für alle – egal wie sehr sie mit der westlichen Machtstruktur sympathisieren und egal wie sehr sie Russland hassen. Und wenn die Antwort nicht sofort "Nein" lautet, dann spätestens innerhalb weniger Stunden. Wenn diese Menschen den Horror, der auf unserer Welt losgelassen wurde, nicht sofort verstehen, und wenn sie nicht begreifen, dass es nichts gibt, das dessen wert war, so werden sie es doch innerhalb kürzester Zeit noch verstehen lernen.

Der Begriff "Mutually Assured Destruction" (gegenseitig zugesicherte Zerstörung, also sinngemäß: Gleichgewicht des Schreckens) wurde erstmals 1962 von Donald Brennan vom Hudson Institute geprägt, aber er führte ihn auf entlarvend zynische ein, indem er das Akronym "MAD" verwendete, um zu verdeutlichen, dass es eigentlich völlig verrückt ist, Waffen anzuhäufen, die den Weltuntergang verursachen können. Dieses nukleare Spiel, sich gegenseitig zu erschrecken, ist verrückt.

Das Argument für Atomwaffen ist, dass die Androhung ihres Einsatzes die groß angelegten konventionellen Kriege verhindert, die wir im Ersten und Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Aber das funktioniert nur, wenn die Angst vor dem Einsatz von Nuklearwaffen auch von konventionellen Angriffen abschreckt. Das US-Imperium jedoch wird mit seinem Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland immer dreister.

Früher war es eine unbestrittene landläufige Meinung, dass ein heißer Krieg gegen Russland um jeden Preis vermieden werden muss, weil auch Russland eine nukleare Supermacht ist. Jetzt findet jedoch plötzlich die Idee, großangelegte Offensiven zu unterstützen, um Teile der Russischen Föderation abzutrennen, im Mainstream breite Beachtung. Dies zersetzt die – wenn auch unbehagliche – Stabilität, die das Gleichgewicht des Schreckens theoretisch schaffen sollte, weil MAD stets davon ausging, dass die andere Seite nicht verrückt genug sein wird, um eine konventionelle Offensive gegen eine nukleare Supermacht zu starten – aus Angst vor einer sich immer höher schraubenden Eskalationsspirale bis zu einem umfassenden Atomkrieg.

Wenn zwei Personen Pistolen aufeinander richten, kann ein Schusswechsel aus Angst vor Vergeltung vermieden werden. Aber wenn einer der bewaffneten Männer die Pattsituation durchbricht, indem er zusätzlich mit einem Messer in der anderen Hand auf den Gegner losgeht, ist es wahrscheinlich, dass der andere Typ abdrückt.

Ich hasse es, wenn gewisse Leute sagen: "Ich hoffe, wir werden von der Landkarte verschwinden, denn wir sind eine schreckliche Spezies." Es ist eben nicht in Ordnung, dass ein paar Idioten mit dem Leben aller auf diesem Planeten spielen können. Nur weil jemand mit dem Leben hier unzufrieden ist, heißt das nicht, dass es auch alle Unschuldigen auf der Welt sein müssen, und es heißt auch nicht, dass die Tiere, die Insekten und die Pflanzen es sind. Desillusionierte eigene Gefühle sind kein triftiger Grund, dieses nukleare Monster nicht mit Zähnen und Klauen zu bekämpfen. Bewahrt uns vor solchen Omnizid-Fantasien.

Menschen im Westen formulieren jetzt gerne den Vorwurf, dass Nationen wie Russland und China "ihre Nachbarn angreifen" würden, als ob das irgendwie unmoralischer wäre gegenüber der Tatsache, dass die USA Nationen auf der anderen Seite des Erdballs angreifen, auch wenn die unmöglich eine Bedrohung für deren nationale Sicherheit darstellen können. Russland kann zumindest argumentieren, dass seine Invasion in der Ukraine aufgrund der dortigen US/NATO-Militarisierung in seinem unmittelbaren nationalen Sicherheitsinteresse lag. Und China könnte ähnliche Argumente vorbringen, falls es jemals Taiwan angreifen sollte. Die Kriege der USA wurden und werden dagegen ausschließlich geführt, um die Weltherrschaft der USA zu verteidigen, nicht die USA als Nation.

Bei den Liberalen geht es vielfach darum, Privilegien zu überprüfen, außer wenn es um westliche Privilegien geht. Denn dann sind sie mehr als glücklich, alles und jeden in die Luft zu jagen, weil sie an ihre innewohnende ideologische Überlegenheit und ihr Recht glauben, über jedes einzelne Land der Erde herrschen zu dürfen.

Facebook, Instagram und WhatsApp betrachten das Neonazi-Regiment Asow nicht länger als "gefährliche Organisation". Um es klar zu sagen: am Regiment Asow hat sich eigentlich nichts geändert. Es sind immer noch dieselbe Leute, getrieben von derselben Ideologie. Was sich geändert hat, ist nur die offizielle Erzählweise darüber. Jahrelang, noch bis Ende Februar des vergangenen Jahres, hatten auch die Mainstream-Medien keine Scheu anzuerkennen, dass die Ukraine ein Neonazi-Problem hat, und auch kein Problem, die Asow-Neonazis als das zu bezeichnen, was sie sind. Was sich jetzt nur geändert hat, ist, dass wir in ein Informations-"Ökosystem" einer aggressiven Kriegspropaganda manövriert wurden.

Keine noch so große Umfirmierung und PR-Aktion wird die Neonazis von Asow auf magische Weise in geistig Gesunde und Gemäßigte verwandeln können. Man kann den Markennamen Kentucky Fried Chicken zwar zu KFC ändern, aber es landet immer noch das gleiche Zeug im Pappbecher.

Übersetzt aus dem Englischen

Caitlin Johnstone ist eine unabhängige Journalistin aus Melbourne, Australien. Ihre Arbeit lebt vollständig von der Leserunterstützung. Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, erwägen Sie bitte, ihn zu teilen. Man kann Johnstone auf FacebookTwitterSoundCloud oder Youtube folgen, eine Ausgabe ihres monatlich erscheinenden E-zine erwerben oder etwas Geld in ihre digitale Trinkgeld-Büchse auf Ko-fiPatreon oder PayPal werfen. Wer mehr lesen möchte, kann auch ihre Bücher kaufen. Johnstone erteilt jedem, ausgenommen Plattformen mit rassistischen Inhalten, die Erlaubnis, ihre Arbeiten zu teilen – oder alles andere, was sie geschrieben hat – auf beliebige Weise kostenlos erneut zu veröffentlichen, zu verwenden oder zu übersetzen. Für weitere Informationen darüber, wer Johnstone ist, wo sie steht und was sie mit ihrer Plattform beabsichtigt, klickt man hier. Alle Arbeiten entstehen zusammen mit ihrem amerikanischen Ehemann Tim Foley. Ihre Webseite ist hier zu finden.

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