Warum wir das aktuelle Regime in der Ukraine als nazistisch bezeichnen

Trotz zahlreicher offen zutage tretender Anzeichen leugnet der europäische Mainstream den faschistischen Charakter des aktuellen ukrainischen Staates. Es lohnt, sich immer wieder klarzumachen, dass wir es dort mit Nazismus in Reinkultur zu tun haben. Lew Werschinin fasst das Offensichtliche in prägnante Worte.

Von Lew Werschinin

Die Frage, warum ich die Ukraine in ihrem gegenwärtigen Zustand seit 2014 als nazistisch bezeichne, wird mir sowohl von Gleichgesinnten als auch von denjenigen Gegnern gestellt, die noch nicht restlos hirngewaschen sind, mit denen noch ein Gespräch möglich ist (ja, auch solche gibt es in der Ukraine). 

Die Gegner führen verschiedene Argumente gegen mein Urteil an. Am beliebtesten ist dabei der Einwand: "Der Präsident der Ukraine ist doch ein Jude, wie kannst du die Ukraine da als faschistisch oder nazistisch bezeichnen?" Dabei ist dies der primitivste aller Einwände, und leicht zu widerlegen. Kann ein Jude etwa kein Nazi sein? Ein Jude kann Totschläger sein, er kann Gangster sein. Dass ein Mensch Jude ist, ist weder ein Minuspunkt noch ein Pluspunkt. Nazismus ist eine Ideologie und der Antisemitismus ist nicht sein Wesenskern. Kann ein Jude Kommunist sein? Na klar. Kann er ein Liberaler sein? Ja! Warum kann er dann kein Nazi sein? In Mussolinis Großem Faschistischen Rat war Anfangs ein Viertel der Mitglieder jüdischer Abstammung, erst ab 1941 gab es in Italien diskriminierende Gesetze und verfolgt wurden Juden dort ab 1943, als Mussolini bereits eine machtlose Marionette in den Händen Hitlers war. Ist Mussolini dadurch weniger Faschist?

Juden werden in der Ukraine derzeit nicht verfolgt. Ja, und? Beim Genozid in Ruanda ist auch kein Jude aus den 500 dort lebenden jüdischen Familien zu Schaden gekommen. Auf wen der Hass geleitet wird, wird von Fall zu Fall und von Land zu Land festgesetzt. Im Fall der Ukraine hat man die Russen zu Juden ernannt. In Ruanda waren Tutsi die Juden. In der Türkei vor 100 Jahren hat man die Armenier dazu bestimmt. Der Sündenbock ist austauschbar.

Die Menschen, die von mir eine Erklärung fordern, wieso ich es mir erlaube, das aktuelle Kiewer Regime nazistisch zu nennen, führen ein weiteres Argument an, das in ihren Augen unwiderlegbar ist: "Und was ist mit Russland? Gibt es da etwa keine Faschisten und keine Nazis?" Meine Antwort darauf: "Klar gibt es die dort." Es gibt auch in Russland Faschisten und Nazis, es gibt sie überall, auch in Deutschland und in den USA. Doch sind sie dort anders als in der Ukraine nicht Teil staatlicher Strukturen und bestimmen nicht die Ideologie des Staates.

Darauf meine Gesprächspartner: "Und gibt es in Russland nicht dies, das und jenes?" Sie wollen damit auf sogenannte "Merkmale des Faschismus" hinaus. Ja, auch die gibt es aktuell überall, mal das eine Merkmal, mal das andere, mal eine Kombination. Aber diese Merkmale, die den Faschismus auf eine autoritäre Herrschaft einer Einzelperson, einer Gruppe oder einer Klasse reduzieren wollen, sind zu beliebig und helfen nicht weiter. Will man konkret werden und den Nazismus als die extremste und konsequenteste Form des Faschismus auf den Punkt bringen, so lässt er sich – wenn auch nicht streng wissenschaftlich – an drei Kriterien festmachen. 

Das erste Merkmal eines nazistischen Staates ist gegeben, wenn sich der Staat auf offizieller Ebene auf Ideen nazistischer Theoretiker beruft.

In der Ukraine findet genau das statt. Die Ideologie, die durch ukrainisch-nazistische Vordenker wie Donzow und Michnowski ausgearbeitet wurde, stellt das Fundament des aktuellen ukrainischen Staates dar. Das erste Kriterium ist somit erfüllt: Die Staatsideologie der Ukraine beruht auf dem Fundament nazistischer Theorien. 

Dmitro Donzow (1883–1973) griff Ideen von Friedrich Nietzsche, Georges Sorel und Charles Maurras auf. Er wurde zum wichtigsten Ideengeber der 1929 gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Er sympathisierte offen mit den Achsenmächten, übersetzte Werke von Mussolini und Hitler ins Ukrainische und stellte den deutschen NS-Staat als Vorbild für eine unabhängige Ukraine dar. Mikola Michnowski (1873–1924) gilt als Chefideologe der ukrainischen Staatlichkeit und ist Urheber der Parole "Die Ukraine den Ukrainern". Er forderte, dass "Flüsse von Blut" strömen müssen und alle "Fremdstämmigen" aus der Ukraine zu vertreiben sind. Alle Menschen wären Brüder, schrieb er, aber Russen, Polen, Ungarn, Rumänen und Juden wären Feinde, die vernichtet werden müssen. Seine "Zehn Gebote der Ukrainischen Nationalpartei" verboten es einem Ukrainer, einen Ehepartner aus einem anderen Volk zu wählen.

Das zweite Merkmal eines nazistischen Staates: Wenn ein Staat in sein offizielles Heldenpantheon Figuren aufgenommen hat, die den Nazismus praktiziert haben, wenn dieser Staat stolz auf diese Figuren und ihre Handlungen ist, sie glorifiziert, sie der jungen Generation als Vorbild andient, Straßen nach ihnen benennt und Denkmäler für sie aufstellt (während Denkmäler, die an den Sieg über den Faschismus erinnern, abgerissen werden), ist dies ein nazistischer Staat.

Auch dieses Kriterium ist in der Ukraine erfüllt. Eigenhändig am Holocaust Beteiligte sind offiziell ins Heldenpantheon der Ukraine aufgenommen worden: die Täter von Babi Jar, die Mörder von Lwow und Wolyn. Jeder Versuch, die ukrainischen Machthaber zur Vernunft zu rufen nach dem Motto "Jungs, schmeißt doch wenigstens die offensichtlichen Mörder über Bord, verurteilt sie!" stößt auf eine Mauer der Uneinsichtigkeit: "Nein, das sind unsere Helden und das ist gut so", um Selenskij wörtlich zu zitieren. Ja, selbst wenn dieser Appell von Unterstützern der Maidan-Ukraine wie Polen ausgeht, stößt er auf taube Ohren.

Schließlich das dritte Merkmal: Nazistisch ist jeder Staat, der – egal, mit welchen Mitteln – die Auslöschung einer – gleich, welchen – ethnischen Gruppe betreibt. Ich habe nicht ohne Grund betont, dass die Mittel hierbei nachrangig sind. Es muss sich nicht zwingend um die physische Vernichtung mittels Erschießungen oder Gaskammern handeln, es reicht völlig, wenn die Politik des Ethnozids, also der Auslöschung der Identität dieser Gruppe, vorangetrieben wird. Ethnozid geschieht insbesondere durch die zielgerichtete Unterdrückung und Verbannung der Sprache und Kultur der zum Sündenbock für alle Probleme und Hassobjekt für das gemeine Volk bestimmten Ethnie. 

Auch das dritte Merkmal ist in der Ukraine mit der Diskriminierung der russischen Sprache, der Abschaffung russischer Schulen, dem Canceln der russischen Kultur und den allgegenwärtigen Hasspredigten gegen Russen und deren Geschichte erfüllt. 

Wenden wir umgekehrt diese drei Kriterien auf die Russische Föderation an und fragen uns: Sind sie dort ebenso erfüllt? Die Antwort liegt auf der Hand: nein. Weder hat Russland eine staatliche Ideologie, die auf den Werken nazistischer Vordenker beruht, noch hat es Nazi-Kollaborateure wie Wlassow in das nationale Heldenpantheon aufgenommen. Das russische Heldenpantheon wird weiterhin von Antifaschisten, Soldaten und Offizieren, die im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler kämpften, und historischen Figuren aus weiter zurückliegenden Zeiten bestimmt. Der russische Staat verfolgt die kommunistische Ideologie nicht mit repressiven Mitteln, wie es in der Ukraine der Fall ist. Russland schränkt in keiner Weise die bestehenden Rechte seiner zahlreichen ethnischen Minderheiten ein: Nationale Autonomien haben nach wie vor Bestand und die Verwendung der zahlreichen Sprachen der Minderheiten ist geschützt und uneingeschränkt praktizierbar. 

Was zeigt sich nun im Ergebnis? Auf der einen Seite der Frontlinie steht ein klar nazistischer Staat: die Maidan-Ukraine. Er mag keine Souveränität mehr haben, er mag ein Instrument des Westens sein, das ist in diesem Kontext nachrangig. Die Ukraine ist ohne Abstriche ein nazistischer Staat. 

Auf der anderen Seite steht ein kränkelnder, schwer krisengeschüttelter, aber jedenfalls nicht nazistischer Staat: die Russische Föderation. 

In dieser Lage stellt sich einem logisch denkenden und anständigen Menschen gar nicht erst die Frage, auf welcher Seite er zu stehen hat. Verständnis habe ich lediglich für diejenigen, die unmittelbar von Kriegshandlungen betroffen sind und keine Muße haben, sich diesen einfachen logischen Gedankengängen zu stellen. Um deren Heilung wird man sich nach dem Krieg kümmern müssen, vorausgesetzt die Nazi-Ukraine verliert ihn. 

Abschließend noch eine Begebenheit, die den Geisteszustand der ukrainischen Maidan-Anhänger illustriert: Als der inzwischen zurückgetretene Berater des ukrainischen Präsidenten, Alexei Arestowitsch, einräumte, dass das Wohnhaus in Dnjepropetrowsk nur deshalb von einer russischen Rakete getroffen wurde, weil diese über der dicht besiedelten Stadt von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen wurde, schrieben zahlreiche nationalistische Ukrainer in den Kommentaren auf seiner Facebook-Seite und sonst in sozialen Netzwerken: "Selbst wenn es die Wahrheit ist, wer braucht denn so eine Wahrheit?!" 

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass die ukrainische Gesellschaft inzwischen so weit ist, dass ein großer Teil die Wahrheit nicht braucht und sie ablehnt. Wenn Maidan-Ukrainer die Wahrheit hören oder lesen und irgendwo im Unterbewusstsein verstehen, dass es die Wahrheit ist, sie aber nicht in ihr Weltbild passt, dann verlangen sie, dass sie selbst und andere belogen werden. Es sind Kinder Satans, des Fürsten der Lüge. Und auch deshalb sage ich: Ucrainam delendam esse

Lew Werschinin ist ein ukrainischer Fiction- und Fantasy-Schriftsteller, Publizist, promovierter Geschichtswissenschaftler und politischer Analytiker. Er wurde 1957 in Odessa geboren und ist jüdischer Abstammung. Nach einer kurzen politischen Karriere in der unabhängigen Ukraine sah er sein Leben von kriminellen Strukturen bedroht und ging im Jahr 2000 ins Exil nach Israel. Seit 2007 lebt er in Spanien. Seit dem Sieg des Euromaidan im Jahr 2014 hat Werschinin sich zu einem der schärfsten Kritiker des aktuellen Kiewer Regimes entwickelt. Seine nahezu täglichen Publikationen können im LiveJournal (wo er seit vielen Jahren unter dem Pseudonym Putnik1 schreibt) und auf Telegram verfolgt werden.

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