Der Mord an General Soleimani – Zündung für die multipolare Weltordnung

Der Konsens unter zukünftigen Historikern wird unvermeidlich sein: Die 2020er Jahre begannen mit einem teuflischen Mord. Aber daraus könnte eine neue Welt entstehen – hoffentlich gleichberechtigter und gerechter.

Von Pepe Escobar

Flughafen Bagdad, 3. Januar 2020, 00:52 Uhr Ortszeit. Die Ermordung von General Qassem Soleimani, Kommandeur der Quds-Truppen des Korps der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC), zusammen mit Abu Mahdi al-Muhandis, dem stellvertretenden Kommandeur der irakischen Haschd al-Schaabi, durch lasergelenkte AGM-114-Hellfire-Raketen, die von zwei MQ-9-Reaper-Drohnen abgefeuert wurden, war tatsächlich weniger eine Kriegshandlung als ein Mord.

Der Drohnenangriff auf den Flughafen von Bagdad, der direkt vom Entertainer/Unternehmer Donald Trump genehmigt wurde, der damals den Hegemon regierte, stellte einen imperialen Akt dar – konzipiert als krasse Provokation, um eine iranische Reaktion hervorzurufen, der man dann mit dem Vorwand der "Selbstverteidigung" begegnen konnte, verpackt als "Abschreckung".

Das Sperrfeuer des westlichen Narrativs bezeichnete die Tat als "gezielte Tötung": eine präventive Operation, mit der angebliche Pläne von General Soleimani für "bevorstehende Angriffe auf US-Diplomaten und -Truppen" durchkreuzt wurden. Es wurden keinerlei Beweise vorgelegt, um diese Behauptung zu untermauern.

Jeder, nicht nur entlang der Achse des Widerstands in Teheran, Bagdad, Damaskus und bei der Hisbollah, sondern im gesamten globalen Süden, war sich bewusst, dass General Soleimani von 2014 bis 2015 den Kampf gegen ISIS im Irak anführte und dass er maßgeblich an der Rückeroberung von Tikrit im Jahr 2015 beteiligt war. Das war seine wahre Rolle – er war ein wahrer Krieger des Krieges gegen den Terror, nicht des Krieges für den Terror. Für das Imperium war es ein Gräuel, dass seine Aura sogar weit in die Länder des sunnitischen Islams hineinstrahlte.

Es war dann Sache des damaligen irakischen Premierministers Adil Abd al-Mahdi, vor dem Parlament in Bagdad den endgültigen Kontext darzulegen: General Soleimani war in diplomatischer Mission in einen regulären Airbus-A320-Flug von Damaskus nach Bagdad gestiegen. Er war an komplexen Verhandlungen zwischen Teheran und Riad beteiligt, mit dem irakischen Premierminister als Vermittler – und das alles auf Wunsch von Präsident Trump.

Somit ermordete die imperiale Maschinerie – nach jahrzehntelanger Verhöhnung des Völkerrechts – einen diplomatischen Gesandten. In der Tat zwei, weil Abu Mahdi al-Muhandis die gleichen Führungsqualitäten wie General Soleimani aufwies, aktiv die Synergien zwischen dem Schlachtfeld und der Diplomatie verstand und im Irak als absolut unersetzlicher politischer Gestalter galt. Die Ermordung von General Soleimani wurde seit 2007 durch eine toxische Mischung aus US-Neocons und neoliberalen Contras – die in höchstem Maße die Geschichte, Kultur und Politik Südwestasiens ignorieren – zusammen mit den israelischen und saudischen Lobbys in Washington "begünstigt".

Trump, der sich in internationalen Beziehungen und außenpolitischen Angelegenheiten nicht auskannte, konnte das große Ganze und dessen Auswirkungen unmöglich verstehen, solange ihm nur Israel-Dienende, in der Art eines Jared Kushner, ins Ohr flüsterten.

Der König ist jetzt nackt

Aber dann ging alles bergab. Teherans direkte Reaktion auf die Ermordung von General Soleimani, eigentlich ziemlich zurückhaltend angesichts der Umstände, wurde sorgfältig abgewogen, um keine ungezügelte imperiale "Kurzschlusshandlung" zu entfesseln.

Dies geschah in Form einer Reihe von Angriffen mit Präzisionsraketen auf den von den USA kontrollierten Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad im Irak. Entscheidend ist, dass das Pentagon vorgewarnt wurde. Und genau diese ausgewogene Reaktion erwies sich als entscheidend. Teherans Botschaft machte deutlich – und für den gesamten globalen Süden sichtbar –, dass die Tage der imperialen Straflosigkeit vorbei waren. Jeder Verfechter der amerikanischen Einzigartigkeit mit einem funktionierenden Gehirn konnte die Botschaft verstehen: Wir können eure Standorte überall im Persischen Golf angreifen – und darüber hinaus zu jedem Zeitpunkt unserer Wahl.

Diese Angriffe mit Präzisionsraketen auf den Stützpunkt Ain al-Assad erzählen die Geschichte einer Mittelmacht, die durch jahrzehntelange Sanktionen geschwächt war und sich einer massiven Wirtschafts- und Finanzkrise gegenübersah, aber auf einen Angriff reagierte, indem sie auf einen imperialen Standort zielte, der Teil des weitläufigen "Imperium der Militärbasen" ist, das sich weltweit auf über 800 Standorte erstreckt. Historisch betrachtet war dies eine Weltpremiere – etwas Undenkbares seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und das wurde in ganz Südwestasien – sowie in weiten Teilen des globalen Südens – klar als das interpretiert, was es bedeutete: Der König ist jetzt nackt.

Vermessung des sich verändernden Schachbretts

Drei Jahre nach dem eigentlichen Mord erkennen wir jetzt möglicherweise mehrere andere Fälle, in denen der Weg in Richtung Multipolarität durch den Mord an General Soleimani geebnet wurde. Es gab einen Regimewechsel beim Hegemon – dabei wurde der Trumpismus durch eine toxische, neoliberale Kabale von Betrügern ersetzt, die von Neokonservativen infiltriert worden war, die ein seniles kriegstreibendes Wesen fernsteuern, das kaum qualifiziert genug ist, um von einem Teleprompter abzulesen.

Die Außenpolitik dieser Kabale entpuppte sich als äußerst paranoid und verärgerte nicht nur die Islamische Republik, sondern legte sich auch mit der strategischen Partnerschaft von Russland und China an. Diese drei letztgenannten Akteure sind zufällig die drei wichtigsten Vektoren im laufenden Prozess der eurasischen Integration.

General Soleimani hat vielleicht vor allen anderen – außer vielleicht dem Oberster Führer Irans, Ajatollah Chamenei – vorausgesehen, dass der JCPOA – das Atomabkommen mit Iran – definitiv zwei Meter tief beerdigt werden wird, wie die jüngste Farce in den vergangenen Monaten in Wien deutlich gemacht hat. So hat Soleimani möglicherweise vorhergesehen, dass Teheran mit einer neuen Regierung unter Präsident Ebrahim Raisi endlich jede Hoffnung aufgeben wird, vom kollektiven Westen "akzeptiert" zu werden, und sich von ganzem Herzen seinem eurasischen Schicksal zuwendet.

Bereits Jahre vor dem Attentat hatte General Soleimani eine "Normalisierung" zwischen dem israelischen Regime und den Monarchien am Persischen Golf vorausgesehen. Gleichzeitig war er sich auch der Position der Arabischen Liga von 2002 sehr bewusst – die unter anderem vom Irak, Syrien und dem Libanon geteilt wurde: Eine "Normalisierung" mit Israel kann ohne einen unabhängigen – und lebensfähigen – palästinensischen Staat, innerhalb seiner Grenzen von 1967 und mit Ostjerusalem als Hauptstadt, nicht einmal ansatzweise diskutiert werden. General Soleimani sah das große Ganze in Westasien, von Kairo bis Teheran und vom Bosporus bis zur Meeresstraße von Bab al-Mandab. Er sah sicherlich die unvermeidliche "Normalisierung" Syriens in der arabischen Welt voraus – und sogar mit der Türkei, was derzeit in Arbeit ist.

Er hatte sich wohl den möglichen Zeitplan ausgerechnet, dem das Imperium des Chaos folgen wird, bis es Afghanistan vollständig im Stich lässt – wenn er auch sicherlich nicht das Ausmaß der Demütigung des Abzugs vorhersehen konnte und wie dies die Spielkarten in West- und Zentralasien neu mischen würde.

Was Soleimani sicherlich nicht wusste, war, dass das Imperium Afghanistan deshalb verlassen wird, um seine Strategie des Chaos auf die Ukraine zu konzentrieren, in einem mörderischen Stellvertreterkrieg gegen Russland. Es ist jedoch durchaus möglich, dass General Soleimani vorausgesehen haben könnte, dass Muhammad bin Zayid (MbZ) aus Abu Dhabi – der Mentor des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) – gleichzeitig auf ein Freihandelsabkommen zwischen Israel und den Golfemiraten und eine Entspannung mit Iran setzen wird.

General Soleimani hätte Teil des diplomatischen Teams sein können, als sich der Sicherheitsberater von MbZ, Scheich Tahnoun bin Mohammed Al Nahyan, vor über einem Jahr mit Präsident Raisi in Teheran traf und mit ihm sogar den Krieg im Jemen besprach. Soleimani hätte vielleicht auch vorhersehen können, was Anfang Januar in Brasília, am Rande der dramatischen Rückkehr von Lula in die brasilianische Präsidentschaft, geschehen ist: Saudische und iranische Offizielle diskutieren auf neutralem Territorium über eine mögliche Entspannung zwischen beiden Ländern.

Während das gesamte Schachbrett in ganz Westasien in rasender Geschwindigkeit neu konfiguriert wird, ist die einzige Entwicklung, die General Soleimani vielleicht nicht hätte vorhersehen können, die Entstehung des Petroyuan, der den Petrodollar "im Zeitraum von drei bis fünf Jahren" verdrängen wird, wie vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei seinem jüngsten wegweisenden Gipfeltreffen mit dem Golf-Kooperationsrat (GKR) in Riad angekündigt.

Ich habe einen Traum

Der tiefe Respekt gegenüber General Soleimani, der von allen Schichten der iranischen Gesellschaft – von der Basis bis zur Führung – zum Ausdruck gebracht wird, hat sich sicherlich in einer Würdigung seines Lebenswerks niedergeschlagen, indem Iran seinen verdienten Platz in der Multipolarität gefunden hat.

Iran hat sich in Südwestasien nun als einer der Schlüsselknoten der Neuen Seidenstraße (BRI) etabliert. Die strategische Partnerschaft zwischen Iran und China, die durch den Beitritt Teherans zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) im Jahr 2022 gestärkt wurde, ist geoökonomisch und geopolitisch ebenso stark wie die ineinandergreifenden Partnerschaften mit zwei anderen BRICS-Mitgliedern, Russland und Indien. 2023 soll Iran Mitglied von BRICS+ werden.

Parallel dazu wird die Triade Iran-Russland-China tief in den Wiederaufbau Syriens eingebunden sein – komplett mit Projekten im Rahmen der BRI, die von der Eisenbahnverbindung Iran-Irak-Syrien-Östliches Mittelmeer bis in naher Zukunft zur Iran-Irak-Syrien-Gaspipeline reichen – jenes Vorhaben, das wohl der Schlüsselfaktor war, der den US-amerikanischen Krieg gegen Damaskus provozierte.

Soleimani wird heute im Imam-Reza-Schrein in Maschhad, in der al-Aqsa-Moschee in Palästina, im schillernden spätbarocken Duomo in Ragusa im Südosten Siziliens, in einer Stupa hoch im Himalaya und auf einem Wandgemälde in einer Straße in Caracas verehrt. Überall im globalen Süden liegt ein Gefühl in der Luft: dass eine neue Welt am Entstehen ist – hoffentlich gleichberechtigter und gerechter, wie es sich auch das Opfer des Mordes, der die "wütenden 2020er" auslöste, irgendwie erträumt hat.

Dieser Artikel erschien zuerst auf englischer Sprache bei presstv.ir. Die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Genehmigung.

Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Er wurde von Facebook und Twitter aus politischen Gründen verbannt aber man kann ihm auf Telegram folgen.

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