Kosovo-Krise: Schwächesignale aus der EU

Der Konflikt im Kosovo eskaliert. Die EU-Beitrittskandidaten Serbien und Kosovo liegen miteinander im Streit. Die EU kann zur Schlichtung nichts beitragen. Der Balkan zeigt die diplomatischen Grenzen der EU, die in schlichtem Freund-Feind-Denken stecken bleibt.

Von Gert Ewen Ungar

Was hat man sich selbst gelobt. Im Oktober trafen die Außenminister der Westbalkanstaaten in Berlin mit der deutschen Außenministerin Baerbock im Rahmen des Berliner Prozesses zusammen.

"Der Berliner Prozess trägt dazu bei, dass der Westbalkan und die Menschen in der Region stärker zusammen­wachsen", ist auf der Webseite des Auswärtigen Amtes dazu zu lesen. Überschrieben war das Treffen mit dem Titel "Damit die Region weiter zusammenwächst".

Anfang November waren die Staats- und Regierungschefs der Staaten des Westbalkan dann bei Bundeskanzler Olaf Scholz zu Gast. Man war sich einig, dass die Staaten rasch in die EU aufgenommen werden sollten. Der Einigungsprozess machte unter deutscher Führung große Fortschritte, lobte man sich im Kanzleramt selbst. 

Schließlich trafen sich die Regierungschefs der EU-Staaten zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel sowie den Regierungschefs der Westbalkanstaaten im Dezember zum Gipfel in der albanischen Hauptstadt Tirana. Man verabschiedete eine gemeinsame Erklärung, in der man sich auf eine weitergehende Integration des Westbalkans in die Strukturen der EU einigte. Das war am 06. Dezember 2022. Alles war auf dem besten Weg. 

Wenige Tage später fiel das Kartenhaus zusammen. Ein schwelender Konflikt zwischen Serbien und Kosovo brach trotz aller Bekenntnisse zu Einheit und Integration in der Region auf und droht zum Krieg zu werden. Damit wurden die Reden von den großen Fortschritten und der sich vertiefenden Einigung als reiner Selbstbetrug entlarvt.   

Der EU ist es in zwei Jahrzehnten nicht gelungen, den Kosovo zu stabilisieren – weder wirtschaftlich noch politisch. Man möchte den Balkan und insbesondere Serbien aus der russischen Einfluss-Sphäre lösen, agiert dabei aber derart ungeschickt, dass eher das Gegenteil erreicht wird. Bereits am 11. Dezember ergriff die deutsche Außenministerin einseitig Partei.

Auch der für seine diplomatische Ungeschicklichkeit berüchtigte EU-Außenbeauftragte Josep Borrell stellte sich sofort gegen die Serben im Kosovo. 

Die Einseitigkeit der Politik spiegelte sich in den Medien wider. In einem Beitrag der taz wird dem Begriff "Serbe" das Attribut "militant" beigeordnet. Damit auch jeder merkt, wer hier der Böse ist, in den ersten zehn Zeilen gleich dreimal. Wiederholung ist das beste rhetorische Mittel, mag sich der Autor gedacht haben, denn für den Leser muss sofort erkennbar sein, wer die Guten und wer die Verachtenswerten im Konflikt sind.

Nach Auffassung der Welt zieht kein Geringerer als Wladimir Putin im Hintergrund die Strippen. Russland sei der große Profiteur der neueren Krise auf dem Balkan. "Er ist der wichtigste Verbündete des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in der Kosovo-Frage", weiß man bei der Welt. Der deutsche Mainstream bleibt seinen Verschwörungstheorien treu. Er trägt erneut das schon im Jahr 1999 falsche Narrativ von den bösen Serben und den unschuldigen Albanern vor, das damals den Überfall der NATO auf Jugoslawien medial vorbereitet und die Kriegsbereitschaft unter den Deutschen erhöht hatte.  

Man wiederholt seine alten Fehler und bleibt in einer schlichten Sichtweise stecken. Die EU befindet sich ihrer Auffassung nach in einem Systemkonflikt mit Russland. Serbien pflegt gute Kontakte nach Russland. Es muss sich daher entscheiden – entweder Russland oder EU. Das erklärt die einseitige Stellungnahme westlicher Diplomaten. Sollte die EU auf ihrer einseitigen Sichtweise beharren, dass sich alle Länder auf dem europäischen Kontinent für eine Kooperation entweder mit der EU oder mit Russland entscheiden müssen, wird Europa als Kontinent nicht mehr zur Ruhe kommen. 

Die EU muss gleich mehrere Dinge lernen. Das wichtigste ist: Die EU hat auf dem europäischen Kontinent nur bedingt Gestaltungsmacht. Sie repräsentiert nicht Europa als Ganzes. Sie ist zudem durch den Ukraine-Konflikt in eine Situation geraten, in der deutlich geworden ist, dass sie nicht in der Lage ist, sicherheitspolitisch sinnvolle und erreichbare Ziele für Europa zu formulieren. Sie setzt weiterhin auf einen militärischen Sieg der Ukraine über Russland. 

Die Radikalität, mit der sich sowohl die EU als auch die deutsche Politik dem Gespräch mit Russland verweigern, sich im Gegenteil zum Richter in einer Sache aufspielen, in der sie wegen ihrer eigenen Beteiligung keine Richter sein können, führt das diplomatische Unvermögen beider im Hinblick auf ihre Kompetenz zur Konflikteindämmung und -lösung vor. Weder die EU noch Deutschland besitzen aktuell die Fähigkeit, Konflikte diplomatisch zu lösen. 

Dieses Unvermögen wird nun in der Kosovo-Krise reproduziert. Die EU verfügt nicht über das notwendige diplomatische Werkzeug und nicht über die diplomatische Manpower, diesen Konflikt zu schlichten. Sollten die beiden Parteien dort es nicht aus eigener Kraft schaffen, ihn einzudämmen, wird er absehbar eskalieren. Die von der EU und Deutschland gefürchteten "Systemopponenten" Russland und China werden keine diplomatische Schlichtungsoffensive starten. Die Region wurde dafür zu deutlich als Einflussbereich der EU markiert. 

Das bedeutet aber auch, dass die EU im Balkan an ihre Grenze stößt. Sie ist dort zu Ende, räumlich, aber vermutlich auch zeitlich. 

Das Projekt der Integration des Balkans in die EU kommt durch den erneuten Ausbruch des Kosovo-Konflikts ins Wanken. Die EU hat nicht die Kraft, ihn zu schlichten. Der erneute Ausbruch ist ein Zeichen der Schwäche der EU und der Erosion ihrer Macht. Sie verliert auf dem eigenen Kontinent an Einfluss. Der Ausdehnungsprozess dreht sich um. 

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